Patriarch Kirill hat im Herzen des Moskauer Kremls eine Predigt gehalten, in der er Russlands Bürger aufgerufen hat, sich um Moskau zusammenzuschließen und sich anderen „mächtigen Machtzentren“ zu widersetzen. Er begründete das göttliche Wesen der „vertikalen“ Organisation der Menschheit. Der Patriarch lenkte das Augenmerk darauf, dass der Gottesdienst in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale des Kremls zelebriert werde, die die historische Sukzession Moskaus hinsichtlich der westlichen russischen Gebiete, darunter in Bezug auf Kiew symbolisiere.
„Heute bedarf unser Volk besonders einer inneren Einheit. Nicht alles gestaltet sich einfach um unser Vaterland herum… Und daher muss sich unser Volk heute besonders um dieses historische Zentrum der ganzen Rus – um die Stadt Moskau – zusammenschließen, wobei es begreift, dass nur in der Einheit unsere Stärke liegt. Und solang wir geeint und stark sind, solang wir den Glauben in den Herzen bewahren und solang wir durch das große Vorbild unserer Vorgänger inspiriert werden, solang wird Russland auch unbesiegbar sein“, heißt es in der Predigt des Patriarchen. Nach Meinung des Oberhaupts der Russischen orthodoxen Kirche wollen „sehr viele“ in Russland wirre Zeiten verursachen und ihre „Pseudowerte“ aufzwingen, und zwar „das Bewusstsein des Menschen von einer vertikalen Dimension des Landes, die den Menschen mit Gott verbindet, zu einer Horizontalen, auf die alle Bedürfnisse des menschlichen Leibs aufgepfropft werden, zu überführen“.
Mit vertikalen Beziehungen meint der Patriarch die Treue gegenüber den traditionellen Werten der russischen Orthodoxie, „unserer wahrhaftigen Unabhängigkeit von den mächtigen Machtzentren, die heute auf der Erde existieren“. „Bewahre Gott unser Heer, unsere Herrschenden und all jene, von denen heute besonders der Schutz unseres Vaterlandes abhängt“, rief der Patriarch aus.
Er lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass der Gottesdienst in der Uspenski-Kathedrale (russifizierter Name der Mariä-Entschlafens-Kathedrale – Anmerkung der Redaktion) zelebriert werde, die im 15. Jahrhundert als Zeichen für die Vereinigung der russischen Gebiete im Zusammenhang mit der Verlegung des Sitzes der Metropoliten Kiews aus Wladimir nach Moskau und früher aus Kiew errichtet worden war. „Wenn du in diesen Mauern betest, wenden sich die Gedanken unwillkürlich der Vergangenheit zu. Sie war nie eine leichte für unser Volk und für unser Land gewesen“, sagte das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche. Die Geschichte der Kathedrale erlangt in der Tat eine besondere politische Relevanz im Kontext der gegenwärtigen politischen Ereignisse rund um die Ukraine. Die Grundsteinlegung der Kathedrale im 14. Jahrhundert steht mit der Person von Metropolit Peter (im Amt 1308–1326) in einem Zusammenhang. Diese historische und religiöse Persönlichkeit, die aus Wolhynien stammte, stand zu Beginn ihrer Kirchenkarriere mit dem Fürstentum Galizien – in unserer Zeit ist dies das Territorium der südwestlichen Ukraine – in einem Zusammenhang. Im Weiteren wählte er jedoch Wladimir, die Hauptstadt der Nordöstlichen Rus, zum Wohnsitz. Und später, während der Auseinandersetzung zwischen Twer und Moskau, stellte er sich auf die Seite der künftigen Hauptstadt Russlands unter der Verwaltung von Fürst Iwan (I.) Kalita. Der Patriarch von Konstantinopel Nephon II. war über Peter ungehalten. Der Metropolit der neuen Hauptstadt des russischen Staates erhielt jedoch in der Goldenen Horde von Muhammed Usbek Khan (Sultan Mohammed Öz Beg), der zu jener Zeit den Islam angenommen hatte, ein Yarlik (Urkunde des Khans).
Da im heutigen russischen Politikum historische Konzeptionen den Charakter von Manifesten oder gar eine Anleitung zum Handeln erlangen, ist die Predigt von Patriarch Kirill im Kontext des aktuellen Konflikts von Moskau mit dem Westen und der existenziellen Wende gen Osten zu verstehen.