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Die Richtung des präventiven Schlages


Bei seiner Ansprache vor den Paradeeinheiten auf dem Roten Platz der Hauptstadt erklärte Wladimir Putin am 9. Mai, dass zum Beginn der Operation in der Ukraine die Schaffung einer inakzeptablen Bedrohung für Russland“ geworden sei.

Nach seinen Worten erfolgte an den Grenzen unseres Landes „offen die Vorbereitung zu einer neuen Strafoperation im Donbass, zu einem Vormarsch auf unseren historischen Boden inklusive der Krim. In Kiew signalisierte man das mögliche Erlangen von Kernwaffen. Und der NATO-Block hat eine aktive militärische Erschließung der an uns angrenzenden Territorien begonnen“. Das Staatsoberhaupt fügte hinzu, dass Moskau stets für die Schaffung eines Systems einer gleichen und unteilbaren Sicherheit ungeachtet politischer Meinungsverschiedenheiten eingetreten sei und im Dezember vergangenen Jahres dem Westen vorgeschlagen hätte (in einem recht ultimativen Ton – Anmerkung der Redaktion), einen entsprechenden Vertrag abzuschließen und einen Kompromiss zu finden. „Alles war vergebens! Die NATO-Länder wollten uns nicht erhören“.

Zu einem Symbol der Konfrontation des Ostens und des Westens wurde der Buchstabe „Z“, der letzte unter anderem im deutschen bzw. lateinischen Alphabet. Er dient als eine Kennung, die für taktische Zwecke an Radfahrzeugen und gepanzerter Technik der West-Gruppierung der russischen Truppen, die an der sogenannten militärischen Sonderoperation in der Ukraine teilnehmen, aufgetragen wird.

Die russischen Militärs verwenden gleichfalls die Buchstaben „V“ und „O“. Sie werden auf die Technik aufgetragen, die im Bestand zwei anderer, in anderen Richtungen eingesetzter Gruppierungen handelt. Jedoch hat gerade das Zeichen bzw. der Buchstabe „Z“ die größte Popularität bei jenen gewonnen, die für die Handlungen der russischen Armee zur vom Kreml deklarierten Säuberung der Ukraine von Neonazis und deren Komplizen ihre persönliche Unterstützung zum Ausdruck bringen wollen. (Schaut man sich freilich in der Hauptstadt um, so entsteht der Eindruck, dass deren Zahl nicht allzu groß ist. – Anmerkung der Redaktion) Als die Geografie der Unterstützung für die militärische Sonderoperation durch das Volk sich über die gesamte Welt auszubreiten begann (vor allem durch russischstämmige Menschen – Anmerkung der Redaktion), beeilten sich die Regierungen einzelner Länder des Westens, ein Verbot für die Verwendung der einzelnen Buchstaben „Z“ und „V“ als Symbole der von Präsident Putin am 24. Februar befohlenen Sonderoperation zu verhängen bzw. auf Gesetze zu verweisen, die eine bewusste Propagierung von Kriegen und Hass gegen andere Völker unter Strafe stellen.

Derweil weitet sich der Kampf gegen das „Kiewer Regime“ (Sprachgebrauch der russischen offiziellen Medien – Anmerkung der Redaktion) dadurch aus, dass sich ihm die im Verlauf der militärischen Sonderoperation besetzten ukrainischen Territorien anschließen. Unter ihnen sich das Verwaltungsgebiet Cherson der Ukraine, aber auch der Asowschen Meer gelegene Teil des Verwaltungsgebietes Saporoschje. Die dort von den russischen Militärs etablierten Militär- und Zivilverwaltungen lehnen eine Verwendung der Attribute des „Kiewer Regimes“ ab, organisieren ein normales Funktionieren der Wirtschaft und des sozialen und kommunalen Bereichs, unternehmen alles, um die Reichweite der russischen TV-Kanäle und Hörfunksender auf die gesamten besetzten Gebiete auszudehnen, und stellen die Handelsbeziehungen mit der Krim wieder her.

Die laut dem offiziellen russischen Sprachgebrauch „befreiten“ Ortschaften im Süden der Ukraine werden an das russische Internet über Krim- und Donezker Betreiber angeschlossen. Wiederhergestellt wurden die Bahnverbindungen, die die Krim mit Cherson, Melitopol und anderen Städten im Süden der Ukraine verbinden. Somit fällt die Transportblockade der Halbinsel, die vor acht Jahren durch die ukrainischen Nationalisten organisiert worden war, der Geschichte anheim. Es erfolgt ein Prozess der Wiederherstellung des Frachtgut- und Passagierverkehrs unter Einsatz nicht nur von Bus-, sondern auch von Bahnverbindungen.

Dies erfolgt vor dem Hintergrund eines Transportkollaps auf jenem Teil des Territoriums der Ukraine, der unter der Kontrolle Kiews bleibt. Schließlich versucht Russland durch zielgerichtete Schläge gegen Objekte des Eisenbahnnetzes, der Ukraine erheblichen Schaden zuzufügen und damit westliche Waffenlieferungen zu unterbinden. Die Bahnverbindungen der westlichen Verwaltungsgebiete mit den östlichen sind größtenteils unterbrochen worden (Stand: Ende April – Anfang Mai). Mehrere dutzend Trafostationen, die das Streckennetz der ukrainischen Bahn versorgen, sind mit hochpräzisen russischen Waffen vernichtet worden. Vom Wesen her habe Kiew selbst eine derartige Entwicklung der Ereignisse herausbeschworen, meinen zynisch kremltreue Beobachter und Kommentatoren, da die Ukraine aktiv begonnen hätte, Züge für die Beförderung von Gefechtstechnik und Munition, die von den westlichen Ländern erhalten wurden, einzusetzen, wobei die erwähnten kremltreuen Kräfte auch der Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung absprechen. An dieses Recht hatte erst jüngst Papst Franziskus in seinem Interview für die Zeitung „Corriere della Sera“ erinnert.  In den ukrainischen Regionen ist immer akuter ein Mangel an Benzin und Dieselkraftstoff zu spüren.

Nach Meinung des ehemaligen Abgeordneten der Werchowna Rada (des ukrainischen Parlaments) Alexej Schurawko (von der nicht mehr existierenden Partei der Regionen, tauchte selbst lange in Russland unter und kehrte im April dieses Jahres ins Gebiet Cherson zurück – Anmerkung der Redaktion) sei der Platz der südlichen Regionen nicht im Bestand des ukrainischen Staates. „Das Kiewer Regime wird bereits nie wieder seine nazistische Kontrolle über das Verwaltungsgebiet Cherson zurückbringen. Seinen Weg werden Nikolajew und Odessa gehen. Dies sind russische Städte. Und sie haben stets historisch zu Russland gehört und sich nach ihm gesehnt“, erklärte der 48jährige Schurawko.

Zuvor hatte einen ähnlichen Gedanken der frühere Kommandierende von Russlands Luftlandetruppen, Generaloberst Wladimir Schamanow, geäußert. Nach seiner Meinung würden nach der Einnahme von Mariupol die nächsten Aufgaben der russischen Armee die Einkreisung und Vernichtung der Gruppierung ukrainischer Truppen, die zwischen Dnepr und Isjum in einen Würgegriff genommen wurden, aber auch die Befreiung Odessas sein.

Der stellvertretende Vorsitzende der sogenannten Militär- und Zivilverwaltung des Verwaltungsgebietes Kirill Stremousow ist der Auffassung: „Leider haben jene, die die Ukraine die letzten drei Jahrzehnte verwalteten, sie zu einem Zerfall und einer Vernichtung geführt. Dies ist bereits unweigerlich und eine Frage der Zeit. Die Region wird anstreben, zu einem Subjekt der Russischen Föderation zu werden“. Eine derartige Entwicklung der Ereignisse bestätigt der Sekretär des Generalrates der Kremlpartei „Einiges Russland“, Alexander Turtschak, der Anfang Mai im Rahmen eines Show-Acts das Verwaltungsgebiet Cherson besuchte. „Es wird keinerlei Rückkehr in die Vergangenheit geben. Wir werden zusammen leben, dieses reiche Verwaltungsgebiet entwickeln, das reich an einem historischen Erbe, das reich durch seine Menschen, die hier leben, ist“. Den Status des Gebietes würden seine Bewohner bestimmen. Und Russland werde helfen, die Fragen im Zusammenhang mit der humanitären Hilfe, mit der Vornahme der Aussaatarbeiten und der Vorbereitung auf den Winter 2022/23 zu klären.

Die Bestimmung des weiteren Status der Donbass-Republiken DVR und LVR kann entsprechend dem analogen Schema erfolgen. Das Oberhaupt der Lugansker Volksrepublik Leonid Pasetschnik erklärt: „Unsere erste Aufgabe ist, die Kampfhandlungen auf dem Territorium der Republik zu beenden. Es vollkommen von den Nationalisten-Bataillonen zu säubern, sich mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft, der Bereitstellung von Arbeitsplätzen und der Wiederherstellung und Verschönerung der befreiten Territorien zu befassen. Und in der Perspektive, und ich denke, dass diese Zeit unbedingt kommen wird, werden wir zu einem Teil der Russischen Föderation“, sagte Leonid Pasetschnik.

Vor den russischen Militärs steht die Aufgabe, die Entmilitarisierung der Ukraine zu Ende zu bringen und ihr das für die Russische Föderation gefährliche Militärpotenzial zu nehmen. „Wenn wir nicht jetzt diese Frage mit der Ukraine lösen, werden die künftigen Generationen von Soldaten und Offizieren Russlands zu ihr zurückkehren müssen“, meint der Ex-Kommandierende der russischen Luftlandetruppen und Vorsitzende der Vereinigung der Helden, Generaloberst Wladimir Schamanow.

Eine analoge Meinung äußerte auch Scott Ritter, ein ehemaliger Offizier der US-Marineinfanterie und im Weiteren UN-Inspekteur zur Beobachtung der Vernichtung von Massenvernichtungswaffen im Irak und heute ein im Westen umstrittener unabhängiger Militärexperte. Er betonte, dass die militärische Sonderoperation nicht so geführt werde, wie die USA und NATO-Länder im Irak agiert hätten, wahllos nicht nur Militär-, sondern auch zivile Objekte vernichtend, in erster Linie große Brücken und Kraftwerke.

„Wir müssen begreifen, dass die Russen alles getan haben, was in den menschlichen Kräften steht, um den Schaden für die Zivilisten in der Ukraine und für die zivile Infrastruktur zu minimieren“, behauptete Scott Ritter. „Dies ist kein Krieg, denn, wenn dies ein Krieg wäre, so würde es die Ukraine heute nicht geben. Sie wäre vernichtet worden. Die russische Seite ergreift die ganze Zeit Maßnahmen zur Evakuierung von Menschen aus der Zone der Kampfhandlungen. Wenn Sie dies nicht tun, so nutzen Sie vom Wesen die Menschen als lebendes Schutzschild aus“. Die ukrainischen Nationalisten handeln oft direkt auf eine entgegensetzte Art und Weise, indem sie Menschen und Technik in Ortschaften ohne eine Evakuierung der Bevölkerung stationieren.

Das Wichtigste, worauf der 60jährige Scott Ritter das Augenmerk lenkt, sei die aktive Nutzung der Konzeption eines manövrierenden Führens von Kampfhandlungen durch das russische Kommando. Und er erläutert deren Wesen: „Man muss den Gegner lähmen. Wenn Sie eine große Konzentration feindlicher Technik und Militärs sehen, muss man sie fest an diesen Ort binden. Wenn nötig, ist eine Scheinattacke in einer zweitrangigen Richtung vorzunehmen, wobei der Feind veranlasst wird, Reservekräfte dorthin umzulenken. Und solange er auf solch eine Art und Weise beschäftigt ist, bereiten Sie ein Umgehungsmanöver mit einer anschließenden Einkreisung vor, einen Kessel, in dem sie den Gegner bis zu seiner völligen Vernichtung „schmoren“ werden“.

Die Ansicht von Scott Ritter unterscheidet sich ernsthaft von der im Westen vorherrschenden Meinung über die Handlungen der russischen Armee und wird gern von den russischen Staatsmedien verbreitet. Deren Wesen läuft auf die Behauptung hinaus, dass der „Blitzkrieg Putins“ nicht geklappt habe, da das russische Kommando die Truppen von Kiew und Charkow abgezogen und das Anlanden in Odessa vertagt hätte. Folgendes meinte dazu Scott Ritter:

„Die Russen hatten sich nicht angeschickt, Kiew einzunehmen. Und Odessa einzunehmen, haben sie auch nicht einmal versucht. In diesen Richtungen hat es ausschließlich Ablenkungsoperationen gegeben, um dort große Konzentrationen ukrainischer Truppen zu binden und dabei die eigenen Aufgaben im Süden und Südosten zu realisieren. Eben daher sage ich auch, dass die Russen gewinnen und dass sie recht bald einen entschlossenen Sieg erringen werden“.

Während zeitweilig Kräfte der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet von Kiew und Odessa gebunden wurden – etwa jeweils 80.000 bis 100.000 Soldaten und Offiziere, führten die russischen Militärs massive Schläge gegen Orte zur Lagerung von Treibstoffen, Munition und Gefechtstechnik. Und die ukrainische Technik kann nun aufgrund eines Mangels an Kraft- und Schmierstoffen nicht zum Einsatz gebracht werden.

Das Lähmen von drei großen Gruppierungen der ukrainischen Streitkräfte und die Einnahme von Mariupol wurden zu Teilen der sogenannten ersten Phase der militärischen Sonderoperation, die bereits den 81. Tag andauert. Und der US-amerikanische Experte bezeichnete sie als eine „Vorbereitung des Schlachtfeldes“. Im Verlauf von mehr als zwei Monaten haben die russischen Militärs viele Tanklager in der Ukraine vernichtet, wobei in Moskau die Umweltschäden im Übrigen ignoriert werden.

„Womit betankt man Panzer – mit Dieselkraftstoff? Womit fährt ein LKW, wenn nicht mit Benzin? Die Russen haben das Schlachtfeld für sich umgemodelt, indem sie Brenn- und Schmierstoff-Basen und Munitionslager vernichteten. Gleichzeitig haben sie dabei lokale Aufgaben zur Vorbereitung eines großangelegten Umgehens der Hauptgruppierung der ukrainischen Streitkräfte im Donbass erfüllt. Wenn sich die Zange schließt, werden die ukrainischen Soldaten kein Essen, Wasser, keine Munition und Nachrichtenverbindungen mit dem Kommando haben. Sie durch einen Schlag von außen her freizubekommen, wird nicht gelingen. Die große Gruppierung im Gebiet von Kiew kann sich aufgrund des Kraftstoffmangels nicht von der Stelle wegbewegen“, behauptet Scott Ritter.