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Bergkarabach will man zum Zentrum der turksprachigen Welt machen


In der großen Stadt Bergkarabachs Şuşa auch Schuscha, die im Herbst des Jahres 2020 unter die Kontrolle der aserbaidschanischen Armee gelangte, hat man vorgeschlagen, einen „Summit“ der religiösen Führungskräfte der turksprachigen Länder abzuhalten. Es ist schwierig, sich vorzustellen, mit welch einem Gefühl die Christen Kasachstans und Kirgisiens in die Stadt kommen werden, die auf einem Berg über Stepanakert, der Hauptstadt der nichtanerkannten armenischen Enklave, in die Höhe ragt. Der Wiederaufbau von Şuşa symbolisiert das Dominieren der Moslems in der Region.

Der Vorsitzende der Verwaltung der Moslems des Kaukasus, Scheich al-Islam Allahschükür Paschazade, teilte gegenüber Journalisten mit, dass in Şuşa ein Treffen religiöser Spitzenvertreter der turksprachigen Länder stattfinden werde. Nach Aussagen des gebürtigen Aserbaidschaners sei geplant, diesen gewissen Gipfel Ende September-Anfang Oktober dieses Jahres durchzuführen. Er betonte, dass eine Teilnahme religiöser Spitzenvertreter Kasachstans, Kirgisiens, Usbekistans, Turkmenistans, der Türkei und Aserbaidschans an der Veranstaltung erwartet werde. „ich hoffe, dass es in der Zukunft möglich wird, derartige Konferenzen und Treffen auch auf anderen befreiten Territorien durchzuführen“, sagte Paschazade, wobei er Ortschaften von Bergkarabach im Blick hatte, aus denen die armenischen Truppen und die Zivilbevölkerung vertrieben worden sind. „Damit werden wir der internationalen Öffentlichkeit die aserbaidschanischen Realitäten und den armenischen Vandalismus auf den befreiten Territorien zur Kenntnis bringen können“.

Interessant ist, dass, als in Bergkarabach die Kampfhandlungen zu Ende gingen, die mit einem Erfolg für Aserbaidschan endeten, man in Kasachstan überall und mit aller Macht ein eigenes Projekt zur Etablierung eines „geistlichen Zentrums der turksprachigen Welt“ entwickelte. Wie die „NG“ geschrieben hatte, führte zu jener Zeit der „Vater der Nation“ Nursultan Nasarbajew die Aufsicht über großangelegte Bauarbeiten in der Stadt Turkestan, im Bereich des Naturschutzgebietes „Hasret Sultan“. Die Ereignisse vom letzten Januar haben jedoch die Stellung Kasachstans auf der hypothetischen Karte des Vorhabens „Großes Turkan“ erschüttert. Das Land versucht derzeit, zwischen Russland, China und dem Westen unter den Bedingungen zu lavieren, die durch die am 24. Februar begonnene militärische Sonderoperation der Russischen Föderation in der Ukraine und durch die westlichen Sanktionen gegen Moskau diktiert werden. Noch hoffnungsloser ist die Lage des Kämpfers für ein Eurasientum Nursultan Nasarbajew. Im Ergebnis der Januar-Unruhen ist sein Einfluss auf Null reduziert worden.

Der hinsichtlich der Konfrontation Russlands und des Westens neutrale Status von Aserbaidschan hat dagegen zugenommen. Die Nähe zur Türkei und die Forcierung des Gasexports nach Europa verschafften Baku die Möglichkeit, sich als „Nomadenzentrum“ der turksprachigen Welt zu fühlen. Außerdem herrscht im benachbarten Armenien eine komplizierte innenpolitische Situation. Dort dauern seit dem 17. April Protestaktionen und Straßenunruhen an. Der Vorposten der islamisch-turksprachigen Welt, die Stadt Şuşa, die sowohl physisch als auch symbolisch über der christlichen Ökumene schwebt, ist wirklich ein sinnfälliges Symbol für den Triumph des turksprachigen Islams.

Es sei jedoch angemerkt, dass Paschazade von einem Zusammenkommen überhaupt von religiösen Führungskräften und nicht nur von Moslems gesprochen hat. Im einstigen sowjetischen Mittelasien besteht nach wie vor eine bedeutende Präsenz des orthodoxen Christentums. Ja, und in Aserbaidschan an sich existiert eine Metropolie der Russischen orthodoxen Kirche, die allerdings unverändert eine absolute Loyalität gegenüber den Herrschenden in Baku demonstriert. Dennoch kann die Anwesenheit von Vertretern der Russischen orthodoxen Kirche bei dem Forum, bei dem zweifellos eine scharfe Kritik an der Armenischen apostolischen Kirche laut werden wird, die eine Zerstörung und Schändung moslemischer Denkmäler Bergkarabachs zugelassen hatte, keine vollends konstruktive Rolle in den zwischenchristlichen Beziehungen spielen. Derweil ist das Moskauer Patriarchat im Zusammenhang mit den Ukraine-Ereignissen auch so schon in eine bestimmte Isolation hinsichtlich vieler christlicher Gemeinschaften der Welt geraten. Folglich ist ungewiss, ob die Idee für das Forum in Şuşa überhaupt eine Realisierung erfahren wird.