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In Kischinjow befürchtet man, dass sich Russland beide Ufer des Dnestrs zurückholen will


In Moldawien sind in der letzten Zeit die Lieferungen von Waffen und die Schaffung einer kampffähigen Armee das am meisten diskutierte Thema. Die Offiziellen sprechen jeden Tag darüber, wobei sie versichern, dass man nur so imstande sei, die Neutralität des Landes zu verteidigen. Dass die Verstärkung der Armee nicht dem Neutralitätsstatus widerspreche, erklärte zuerst die Präsidentin der Republik Moldowa, Maia Sandu, danach der Leiter des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und europäische Integration, Nicu Popescu. Er betonte, dass er vor dem Konflikt in der Ukraine „dutzende Male daran erinnerte, dass man sich auf das gesamte Spektrum von Szenarios vorbereiten muss“. Und er fügte hinzu: „Es ist offensichtlich, dies schließt eine Ausbildung der Armee ein. Wir haben sehr gute Partnerschaftsbeziehungen mit der EU und gute bilaterale Beziehungen mit einer Reihe von Ländern. Wir werden zusätzliche Details darüber vorlegen, wie die Regierung, die nationale Armee, der Oberkommandierende und die Präsidentin beabsichtigen, unsere Sicherheit zu verbessern“.

Am Mittwoch sprach M. Sandu mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über die Sicherheit Moldawiens. Und er erklärte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kischinjow, dass Frankreich Moldawien helfen werde, die Sicherheit zu verstärken. Genannt wurde einer Zahl der anfänglichen Militärhilfe aus Paris – 40 Millionen Euro.

Die linken und moskautreuen Parteien sind mit dem Handeln der Offiziellen nicht einverstanden. Kommunistenchef und Ex-Präsident Wladimir Woronin schlägt vor, die Frage zu stellen: Brauche denn Moldawien überhaupt eine Armee? „Vor wem werden wir uns verteidigen, wenn einerseits die Rumänen unsere Freunde, sogar Brüder sind? Einige reden so. Und andererseits da die Ukrainer mit all ihren Problemen sind? Wir müssen einen Vertrag mit verschiedenen Ländern abschließen, die Garanten für unsere Souveränität und Unabhängigkeit sein werden und im Bedarfsfall verteidigen“.

In Transnistrien befürchtet man, dass eine „Militarisierung“ (in der Lesart von Tiraspol) Moldawiens gegen die nichtanerkennte Republik gerichtet sei. Zumal man sich in der letzten Zeit in Kischinjow oft an die „russischen Truppen, die man abziehen muss“, erinnert und dabei die Bewohner von Transnistrien aufgrund ihrer guten Haltung gegenüber der Russischen Föderation kritisiert. Transnistriens Außenminister Vitalij Ignatjew hat dieser Tage Moldawien angeboten, sich friedlich zu trennen und die Sache nicht bis zu einem neuen Konflikt zu bringen.

Derweil ist der US-amerikanische Militär-Analytiker Edward Luttwak davon überzeugt, dass Moldawien heute nichts bedrohe, außer eine Vereinigung mit Rumänien. „Wenn Rumänien solch einen Stand der sozial-ökonomischen Entwicklung erreicht, auf dem es die Moldawier nötigen wird, dafür zu stimmen, oder die Regierung (von Moldowa) ein Bündnis mit Rumänien fordert“. Nach seiner Meinung sei dieser Zeitpunkt nicht mehr fern. Rumänien sei nicht nur Mitglied der Europäischen Union. Und auch das Lebensniveau im Land nehme erheblich zu. Es habe „eine arbeitende Wirtschaft, eine funktionale Regierung, alles, was gebraucht wird“. Aber eine Zukunft zusammen mit Rumänien passt nicht Transnistrien, aber auch nicht der Gagausen-Autonomie im Süden Moldawiens.

Somit hat sich in der moldawischen Gesellschaft eine Spaltung abgezeichnet, deren Tiefe bisher unklar ist. Begonnen hätte aber alles damit, behaupten moldawische Politiker, dass ein hochrangiger russischer Militär mitteilte: In der zweiten Etappe der militärischen Sonderoperation werde die Russische Föderation einen Korridor nach Transnistrien durch das ukrainische Verwaltungsgebiet Odessa anlegen. Dieses imperiale Szenario ist auf allen russischen staatlichen Fernsehkanälen diskutiert worden. Diese Erklärung hatte verständlicherweise sofort die gesamte moldawische Gesellschaft aufgeschreckt. Denn, wenn Russland beginnen werde, sich die Territorien zurückzuholen, die früher zum russischen Zarenreich gehört hatten, so werde irgendwann einmal auch Moldawien von den Moskauer Pläne zur Neuziehung der Nachkriegsgrenzen in Europa erfasst werden. In Kischinjow befürchtet man nicht, dass sich die Russische Föderation Transnistrien zurückholen werde, sondern dass es möchte, sich auch Moldawien zurückzuholen. Und man vertritt daher die Auffassung, dass man sich absichern müsse, indem man eine kampffähige Armee schafft.

Weshalb russische Militärs eine Erklärung abgegeben haben, die Moldawien Angst machte, ist unbekannt. Damit haben sie aber das Land, in dem viele Menschen eine Erweiterung der Beziehungen mit der Russischen Föderation begrüßten, zu einer Aufrüstung angestoßen und die Region aus dem Gleichgewicht gebracht.