Kabinettschef Michail Mischustin besuchte am Mittwoch das Verwaltungsgebiet Wladimir, wo er die Bauarbeiten für den Abschnitt der Autobahn von der Hauptstadt bis nach Kasan beurteilte. Man zeigte ihm die Arbeit von Robotern und Heizkörper, die man per Internet steuern werden kann. Experten der „NG“ betonen, dass sich die durch die westlichen Sanktionen ausgelöste Konfrontation in den Regionen bisher nicht stark auswirke, doch die Risiken für eine Einschränkung der Produktion seien für die industriell entwickelten Regionen am größten.
Michail Mischustin weilte am vergangenen Mittwoch im Verwaltungsgebiet Wladimir. Zuerst schaute er sich von einem Hubschrauber aus die Bauarbeiten für die Autobahn M12 bei Wladimir an, danach machte er sich mit der Arbeit des industriellen Technoparks „Iskel“ in Kirschatsch vertraut, zu dem neun Unternehmen gehören und wo rund 2.500 Menschen arbeiten. Dort demonstrierte man dem Premier die Arbeit eines Schweißroboters an einer Produktionslinie zur Herstellung von Klima-Technik. Mischustin gefielen die „intelligente“ Plattenheizkörper, die man per Wi-Fi steuern könne. Und er äußerte gar sofort den Wunsch, die alten Heizkörper im Regierungsgebäude gegen diese neuen auszutauschen.
Dem 56jährigen Kabinettschef gefiel gleichfalls die Fertigung von Platten für schnell zu errichtende Wohnhäuser mit einer geringen Anzahl von Etagen. Für die Errichtung eines Hauses sind unter deren Verwendung zwei Wochen erforderlich. Und für den Endverbraucher werde dies 60.000 Rubel (umgerechnet etwa 1010 Euro) je Quadratmeter kosten. Mischustin machte sich auch mit der Tätigkeit des Forschungszentrums des Unternehmens „Generium“ bekannt, das sich auf Entwicklungen von schwierigen biotechnologischen Präparaten für Patienten mit seltenen Erkrankungen spezialisiert. Der Regierungschef erklärte, dass der Staat auf jegliche Weise derartigen Industriestandorten helfe. Er erinnerte daran, dass „Generium“ bereits 500 Millionen Rubel aus dem Fonds für Industrieentwicklung erhalten hätte.
Das Verwaltungsgebiet Wladimir gehört zu den Regionen, die große Befürchtungen von Experten aufgrund des Einflusses der westlichen Sanktionen auslösen. Dies ist eines jener der Industriezentren, wo der Anteil der Arbeitnehmer, die in den verarbeitenden Industriezweigen beschäftigt sind, groß ist. Möglicherweise gibt es da keine großen, bekannten Fertigungsstätten, doch vom Glas- und vom Kristallwerk in Gus Chrustalnyj oder vom Degtjarjow-Betrieb (produziert u.a. Bodenbearbeitungstechnik und Anlagen für die Nahrungsmittelindustrie – Anmerkung der Redaktion) hat man schon gehört.
Wirtschaftsprofessorin Natalia Subarewitsch von der Geografie-Fakultät der Moskauer staatlichen Lomonossow-Universität rechnet zu den Regionen mit derartigen Risiken gleichfalls das Verwaltungsgebiet Kaluga, das Wolga-Gebiet, die Öl- und Gasregion des Urals (die Verwaltungsgebiete Tscheljabinsk und Swerdlowsk) und die Subjekte des Nordwestlichen föderalen Bezirks – die Verwaltungsgebiete Nowgorod und Wologda. Nach ihren Worten würden zwei Drittel der Industriebetriebe auf 16 Regionen Russlands entfallen. Und der größte Anteil der in den verarbeitenden Sektoren beschäftigten Arbeitnehmer wird gerade im Zentralen föderalen Bezirk registriert.
Am Dienstag kamen Nachrichten über neue Probleme – auch aus dem Nordwesten, aus dem Leningrader Gebiet, das durch den Weggang der meisten Hersteller ausländischer Automarken bereits nicht wenig gelitten hat. (Es sei daran erinnert, dass in der Autoindustrie der Produktionsrückgang 76 Prozent ausmachte.) Sein Verlassen des russischen Marktes hat der finnische Reifenhersteller Nokian Tyres bekanntgegeben, der an die Verwaltung des Gebietes die Nachricht über die Kündigung von 320 Beschäftigten gesandt hat.
Wie auch in vielen anderen Fällen ist hier ebenfalls die Variante möglich, dass die Produktion dennoch nicht gestoppt wird. Das Management der russischen Unternehmensfiliale hat dem Direktorenrat vorgeschlagen, in Russland die Arbeit in einem autonomen Regime fortzusetzen, teilte der Chef von Nokian Tyres in Russland, Andrej Pantjuchow, mit. Zuvor war bekanntgeworden, dass die Produktionskapazitäten von IKEA in Russland (vier Betriebe in den Verwaltungsgebieten Leningrad, Moskau, Kirow und Nowgorod) verkauft werden würden.
Durch den Sanktionsdruck leiden die am stärksten entwickelten und am dichtesten besiedelten Regionen mit einem großen Produktionspotenzial, sagte der „NG“ Artjom Kirjanow, stellvertretender Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für Wirtschaftspolitik. „Für die dort tätigen Unternehmen werden neue Mechanismen für eine Importsubstitution ausgearbeitet. Für die wissenschaftsintensiven Branchen, solche wie die Pharmazeutik, sind eine rasche Vereinfachung der Prozeduren und Hilfe bei der Organisierung neuer logistischer Ketten für die Ersetzung von Substanzen, die früher in unfreundlichen Jurisdiktionen eingekauft wurden, notwendig“.
„Nicht wenige Bürger Russlands arbeiten für ausländische Unternehmen – direkt zwei Millionen Menschen, vier bis sechs Millionen Menschen sind mit ihnen mittelbar verbunden“, berichtete der „NG“ Alexander Timofejew, Dozent am Lehrstuhl für Informatik der Russischen G.-V.-Plechanow-Wirtschaftsuniversität. „Die ausländischen Unternehmen wollen Russland nicht verlassen, denn solche vorteilhaften Bedingungen sowohl für die Wirtschaftstätigkeit als auch für das Erzielen von Gewinn gibt es in der EU nicht. In Russland gibt es die beste Ressourcen-Basis. Und es ist vorteilhaft, hier die komplette Kette von den Rohstoffen bis zur fertigen Ware zu organisieren. Die meisten ausländischen Fabriken gibt es in der Lebensmittel- und Chemieindustrie, viele Unternehmen gibt es auch in der Automobilbranche“.
„Bei der Entlohnung erfolgt in der Regel, wie ein entsprechendes Monitoring in den großen ausländischen Unternehmen belegt, eine Festsetzung der Gehälter und Löhne in Dollar oder Euro“, fuhr der Experte fort. „Bei dem gegenwärtigen Kurs ergibt sich, dass man dem Personal in Dollar oder Euro erheblich mehr zahlen muss. Und hier wird bei eben jenen 700 Euro im Monat der Verdienst in Rubeln geringer, was nicht mit den Gewerkschaften und Arbeitsbedingungen abgestimmt ist. Wenn man alle auf Rubel umstellt, ist eine Autonomität von den transnationalen Holdings nötig oder man muss auf der Grundlage eines Franchising arbeiten“.