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Es gibt bisher keinen, der die technologische Souveränität Russlands gewährleisten kann


Der westliche Sanktionskrieg hat die russischen Staatsbeamten gezwungen, das Streben nach einer technologischen Souveränität zu verkünden. In den letzten Jahrzehnten haben die Entscheidungen der Regierung zu einer ständigen Verringerung der Anzahl von Forschern, Entwicklern und Wissenschaftlern in unserem Land geführt. In China, einem Land, das wirklich eine technologische Führungsrolle erreichen will, ist die Anzahl der wissenschaftlich-technischen Beschäftigten bereits um das 1,5fach höher als die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung Russlands. Und auf eine Million Einwohner ist die Zahl der wissenschaftlich-technischen Beschäftigten in Russland bereits um das 16fache geringer als in China. Objektive Anzeichen dafür, dass die russischen Offiziellen die Politik zur Verringerung des Sektors der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten aufgegeben haben, sind bisher nicht auszumachen. Dabei teilte der Ex-Präsident und nunmehrige stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates Russlands, Dmitrij Medwedjew, mit, dass man für die Gewährleistung einer technologischen Souveränität „umfangreiche Haushaltsmittel“ einsetzen werde. Und der Chef des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums, Valerij Falkow, verheißt, dass die technologische Souveränität durch ein neues Bildungswesen gesichert werde.

Nachdem Russland den Zugang zu einem breiten Spektrum moderner Technologien verloren haben, reden unsere Staatsbeamten ständig von einem Streben nach einer technologischen Souveränität.

Russland müsse eine wahre technologische Souveränität erreichen und ein ganzheitliches System für die Wirtschaftsentwicklung schaffen, die hinsichtlich der kritisch wichtigen Komponenten nicht von ausländischen Instituten abhängen wird. Dies erklärte der russische Präsident Wladimir Putin bei der Plenartagung des letzten Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums.

Russland könne innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren eine technologische Souveränität erreichen. Dafür müsse ein angenommener „Diamantenfonds“ aus mehreren dutzend eigenen Entwicklungen geschaffen werde, erklärte auf dem gleichen Forum der Sondervertreter für Digitalisierung und Pressesekretär des Präsidenten, Dmitrij Peskow. Nach seinen Worten könne man 30 bis 50 eigene Linien von Spitzenentwicklungen schaffen, die „Lebensmittel, die Sicherheit, die Medizin und Verbindungen im Land für den Fall jeglicher Kataklysmen absichern können“. Der Vielzahl und Streuung der runden Zahlen nach zu urteilen, haben jedoch die russischen Staatsbeamten bisher keinerlei konkreten Plan für eine Bewegung in Richtung technologischer Souveränität.

Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew ist sich gewiss, dass die Gewährleistung einer technologischen Souveränität wirklich kein Trödeln dulde. „Für die Realisierung eines ganzen Komplexes von operativen Maßnahmen werden umfangreiche Haushaltsmittel eingesetzt werden. Ausgearbeitet wurde eine Reihe von Programmen für eine Unterstützung einheimischer Produktionsstätten, wissenschaftlich-technischer Entwicklungen und eine Schulung von Kadern für die wichtigsten Branchen“, sagte er gegenüber der Zeitung „Argumente und Fakten“. In Wirklichkeit aber gibt vorerst in der Regierung nicht einmal grobe Haushaltsschätzungen für die nächsten Jahre. Und die Hauptrichtungen für die Haushaltspolitik der Russischen Föderation werden nur in der zweiten Juli-Hälfte im Parlament diskutiert werden.

Das System des nationalen Bildungswesens in Russland werde die Aufgabe zur Gewährleistung einer technologischen Souveränität lösen, teilte am vergangenen Montag Bildungs- und Wissenschaftsminister Valerij Falkow gegenüber Abgeordneten der Staatsduma mit.

Wenn man aber nicht den Erklärungen der Staatsbeamten Augenmerk schenkt, sondern den realen Prozessen, so kann man eine ständige Reduzierung des Wissenschafts-, Forschungs- und Entwicklungssektors in Russland konstatieren. In den letzten Jahren hält in der Russischen Föderation der stete Trend zur Verringerung der Gesamtzahl der Wissenschaftler und des wissenschaftlich-technischen Personals, die mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten beschäftigt sind, an. Im Jahr 2000 wurden im einheimischen Bereich der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten 888.000 Menschen gezählt. In den Jahren 2010 und 2019 lag diese Zahl bei 737.000 bzw. 682.000 Menschen. Die Anzahl der Doktoranden hat sich im letzten Jahrzehnt beinahe halbiert. Solche Zahlen wurden bei jüngsten parlamentarischen Anhörungen im Föderationsrat (dem Oberhaus – Anmerkung der Redaktion) zum Stand des wissenschaftlichen Kaderpotenzials des Landes genannt.

In den entwickelten Ländern beträgt bei Ausgaben von zwei bis drei Prozent des BIP für die Wissenschaft die Anzahl der Wissenschaftler rund ein Prozent der Gesamtzahl der Berufstätigen. In Russland aber machen die Ausgaben für die Wissenschaft etwas mehr als ein Prozent des BIP aus. Und die Anzahl der Wissenschaftler ist unter 0,5 Prozent der berufstätigen Bevölkerung abgesackt. Folglich ist die Verringerung des Wissenschafts- und Entwicklungssektors eine durchdachte Haushaltspolitik der russischen Offiziellen. Die Schaffung von Arbeitsbedingungen für die Wissenschaftler in Russland ist eine der Prioritäten des Staates. Für diese Ziele würde viel Geld ausgegeben, erklärte am Dienstag der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow.

Zwecks Beurteilung des realen Potenzials des heutigen Russlands kann man die Anzahl dessen wissenschaftlich-technischen Mitarbeiter mit dem analogen Parameter Chinas vergleichen, das nicht nur verspricht, sondern real auch einen technologischen Fortschritt erreicht. Das Institut für strategische Forschungen der Chinesischen Assoziation für Wissenschaft und Technik (CAST) teilte zu Wochenbeginn mit, dass die Anzahl der wissenschaftlich-technischen Kader in der Volksrepublik China 112 Millionen Menschen überschritten habe. Wobei drei Viertel dieser Gruppe jünger als 40 Jahre sind. Somit übersteigt die Anzahl der wissenschaftlich-technischen Mitarbeiter in China die Zahl der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung Russlands um das 1,5fache.

Solch ein Unterschied ist aber nicht nur mit dem Unterschied in der Gesamtzahl der Bevölkerung zu erklären. Die sich um die technologische Souveränität sorgenden chinesischen Offiziellen haben die Anzahl der wissenschaftlich-technischen Mitarbeiter im Land bis auf 7,8 Prozent der Gesamtbevölkerung erhöht. In Russland aber sind im wissenschaftlich-technischen Sektor nur 0,47 Prozent der Gesamtbevölkerung beschäftigt. Das bedeutet: Hinsichtlich der Anzahl der Wissenschaftler und Entwickler auf ein Tausendstel der Bevölkerung hinkt Russland weiter hinter China hinterher, das ein 16faches von dem vorzuweisen hat, was Russland vorlegen kann.

„Das Endergebnis wird nicht durch die Anzahl der Forscher und nicht einmal durch den Finanzierungsumfang bestimmt, sondern durch den Zustand des gesamten Systems zur Verwaltung und Leitung der Wissenschaft und durch das Zusammenwirken von Business, Staat und wissenschaftlichen Einrichtungen. Wenn solch ein System geschaffen wird, ergibt sich die Frage nach einer Forcierung der Investitionen in die Forschungs-, Versuchs- und Konstruktionsarbeiten (F + E). Eine Bewahrung der technologischen Souveränität verlangt einen Gesamtumfang von Ausgaben für F + E auf einem Stand von 2,2 bis 2,5 Prozent des BIP. Solcher Erfordernisse erfordern eine Kooperation bei den Forschungsarbeiten mit befreundeten Ländern“, erklärte der „NG“ der Direktor des Instituts für volkswirtschaftliche Prognostizierung, Alexander Schirow. Nach seinen Worten habe Russland derzeit keine Alternative zu einer Verstärkung der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung, da die wichtigsten Sanktionsbeschränkungen mit einer Loslösung unseres Landes von den effektivsten Ergebnissen der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten verbunden seien.

„Das Bildungs- und Wissenschaftsministerium und die Regierung der Russischen Föderation schenken der Unterstützung für die Wissenschaft und die Wissenschaftler gewaltige Aufmerksamkeit. Der Akzent verlagert sich von der Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen und des Zitierens von Wissenschaftlern in Richtung eines praktischen Ergebnisses. Die die Wissenschaft messenden Parameter durch nicht die Hauptmesslatte für die Qualität der Arbeit eines Forschers sein. Das Wichtigste ist jetzt deren Ergebnis“, teilte man der „NG“ im Ministerium von Valerij Falkow mit.

Laut Angaben des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums sei seit dem Jahr 2020 eine positive Dynamik in der Entwicklung der einheimischen Wissenschaft zu beobachten. Im Sektor der Forscher, der Entwicklungsarbeiten und hinsichtlich der Anzahl der in der Wissenschaft tätigen jungen Wissenschaftler. „Die jungen Wissenschaftler (im Alter von 30 bis 39 Jahren) bilden die zahlenmäßig größte Gruppe von Forschern. Die Personal-Agenda ist eine der entscheidenden Richtungen bei der Realisierung der Arbeitsprogramme des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums. Eines der Instrumente zur Gewinnung und zum Festhalten junger Forscher in wissenschaftlich-technischen Projekten ist die Schaffung neuer Labors in den russischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen. In den letzten Jahren hat man 500 Jugendlabors auf der Basis wissenschaftlicher Institute und Hochschulen eingerichtet. Dabei machen zwei Drittel der Mitarbeiter in jedem von ihnen Forscher im Alter von bis zu 39 Jahren aus. Bis zum Jahr 2024 sollen weitere 400 Jugendlabors geschaffen werden“, berichtet man im Bildungs- und Wissenschaftsministerium.

Nach Aussagen von Beamten erlaube das Programm „Priorität 2030“, ein qualitativ neues Entwicklungsniveau der Hochschulausbildung und der Wissenschaft in den Universitäten zu erreichen. An ihm beteiligen sich derzeit 121 Hochschulen aus 52 Subjekten der Russischen Föderation. Dies ist das größte Programm zur Unterstützung der Hochschulausbildung in der gesamten Geschichte des Landes. Allein bis Ende des laufenden Jahres wird seine Finanzierung über 47 Milliarden Rubel ausmachen.

Begonnen hat das föderale Vorhaben „Progressive Ingenieurschulen“, in dessen Rahmen Ingenieurkader entsprechend von Programmen einer beschleunigten Ausbildung ausgebildet werden, die digitale Spitzentechnologien beherrschen. Im Verlauf von zehn Jahren der Realisierung dieses Projekts soll der Industriesektor 40.000 hochklassige Fachleute erhalten, die in High-Tech-Unternehmen und -Firmen arbeiten werden.

Im Auftrag des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, wird ein Projekt zur Schaffung von Studentenstädtchen internationalen Niveaus auf der Basis einheimischer Hochschulen realisiert. Sie sollen zu Lokomotiven für das Wirtschafts- und sozialen Lebens der Regionen werden. In den nächsten Jahren werden 25 solcher Campusse geschaffen. Drei dieser Projekte würden bereits in Moskau, Nowosibirsk und Tomsk realisiert werden, versichert man im Bildungs- und Wissenschaftsministerium.

Für eine Verbesserung der Zugänglichkeit der Hochschulausbildung in Russland erhöht die Regierung jährlich die Anzahl der aus dem Haushalt finanzierten Studienplätze in den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Im bevorstehenden Studienjahr sind 588.000 Studienplätze bereitgestellt worden, von denen mehr als 73 Prozent für die Regionen und jene Ausbildungsrichtungen, die den Bedürfnissen der Wirtschaft eines jeden konkreten Subjekts entsprechen, sind. Somit seien die Hochschulen ohne Übertreibung eine wahre Triebkraft für die Entwicklung der Regionen, meint man im Ministerium von Valerij Falkow.

„Fortgesetzt wird die Schaffung eines im internationalen Maßstab einmaligen Netzes für eine wissenschaftliche Infrastruktur der Klasse „Mega-Sciences“. Wir laden alle befreundeten Länder ein, zu vollwertigen Partnern und Nutzern dieser wissenschaftlichen Infrastruktur für die Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu werden. Zum Netz gehören neben anderen Objekten der Teilchenbeschleuniger-Komplex NIKA in Dubna, der weltweit leistungsstärkste Strömungsreaktor „PIK“ in Gatschina und das weltweit größte Neutrino-Teleskop am Baikalsee“, zählen die Beamten auf.

„Für die Organisierung von Forschungsarbeiten junger Wissenschaftler in Russland wirkt ein Programm von Mega-Zuschüssen, das auch bei Ausländern Popularität genießt. Seit dem Zeitpunkt des Starts dieses Programms sind 315 Labors auf der Basis von 133 Forschungsinstituten und Hochschulen Russlands geschaffen wurden, die erfolgreich arbeiten. Zur kürzlichen Ausschreibung für eine Teilnahme an dem Programm sind 293 Anträge aus 49 Regionen Russlands, aber auch aus Deutschland, den USA, Frankreich und Italien, aus Großbritannien, China und Spanien eingegangen“, teilte man der „NG“ im Bildungs- und Wissenschaftsministerium mit. Allein für das Programm der Mega-Zuschüsse werden im Jahr 2023 über 5,3 Milliarden Rubel bereitgestellt. In den nächsten zwei Jahren wird sich die Finanzierung um ein Mehrfaches erhöhen und im Jahr 2025 bereits 9,6 Milliarden Rubel ausmachen.

„Ungeachtet der unfreundlichen Handlungen einzelner Staaten hinsichtlich einer wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit entwickelt Russland weiterhin aktiv die wissenschaftlichen Kontakte mit Wissenschaftlern aus jeglicher Region der Welt. Im Moskauer physikalisch-technischen Institut wurde beispielsweise das Internationale A.-A.-Abrikossow-Zentrum für theoretische Physik eröffnet, bei dem ein internationaler Rat mit Wissenschaftlern aus Russland, Frankreich, Großbritannien und den USA seine Tätigkeit aufgenommen hat. Schon bald erfolgt eine Auswahl junger Forscher für neue Projekte mit einer ernsthaften finanziellen Unterstützung“, verheißt man im Ministerium.