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Die ukrainische Wirtschaft riskiert, nicht bis zum Winter durchzuhalten


Die Meldungen über das Verlassen der ukrainischen Schlangeninsel durch die russischen Truppen hat man unterschiedlich in Moskau und Kiew kommentiert. Wobei diese Nachricht auch die Kommentare der Analytiker hinsichtlich des von ukrainischen Medien angekündigten möglichen Rücktritts der Regierung von Denis Schmygal im anstehenden Herbst beeinflusste. Die einen Experten hielten ihren Abgang für einen vorentschiedenen und sahen darin eine Verstärkung der Positionen von Präsident Wladimir Selenskij. Andere sind sich aber sicher, dass der Präsident das ihm mehr oder weniger loyal gegenüberstehende Kabinett unter den Bedingungen des Rückgangs der eigenen Ratings bewahren wird.

Die Streitkräfte der Russischen Föderation hätten die Umsetzung der gestellten Ziele auf der Insel Smeinij (Schlangeninsel) abgeschlossen und die dortige Garnison abgezogen, teilte am Donnerstag der offizielle Sprecher von Russlands Verteidigungsministerium, Generalleutnant Igor Konaschenkow, mit. Damit sei nach seinen Worten der internationalen Gemeinschaft demonstriert worden, dass die Russische Föderation nicht die Anstrengungen der UNO zur Organisierung eines humanitären Korridors für den Abtransport von landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom Territorium der Ukraine behindere. „Nun hat die ukrainische Seite das Wort, die bisher nicht die Schwarzmeerküste an ihren Ufern inklusive der Gewässer vor den Häfen entmint“, sagte Konaschenkow.

In den ukrainischen Medien legte man diese Nachricht als panische Flucht der „russischen Okkupanten“ aus, die dem massierten Beschuss der ukrainischen Streitkräfte, über den beinahe im tagtäglichen Regime berichtet wurde, nicht standgehalten hätte. Und der Oberkommandierende der Streitkräfte der Ukraine, Valerij Saluschnij, erklärte, dass man die Schlangeninsel mit Hilfe mobiler ukrainischer „Bogdana“-Haubitzen, aber auch ausländischer Gefechtsmittel befreit hätte. In diesem Zusammenhang dankte er den Konstrukteuren und Herstellern der erwähnten Haubitzen und den ausländischen Waffenlieferanten, aber auch den Verteidigern von Odessa, die maximale Maßnahmen für die Befreiung des strategisch wichtigen Abschnitts des ukrainischen Territoriums ergriffen hätten.

Derartige Nachrichten beeinflussten offenkundig auch die Kommentare von Analytikern hinsichtlich der am gleichen Tag, jedoch wenige Stunden zuvor aufgekommenen Meldung über einen möglichen Rücktritt der Regierung von Denis Schmygal. Es sei daran erinnert, dass das genannte Regierungsteam am 4. März 2020 durch die Werchowna Rada der Ukraine bestätigt worden war. Und damals hatte unter anderem der neugebackene Premier unter den vorrangigen Aufgaben die Beendigung des Donbass-Konfliktes und eine Reform zur Dezentralisierung des Landes genannt. Wie aber einheimische Medien am Donnerstag unter Berufung auf eine Quelle in der Umgebung des Präsidenten meldeten, könne das Staatsoberhaupt bereits im Herbst einen Rücktritt des gesamten Kabinetts unter Leitung des Premiers oder aber mehrerer „ineffizienter“ Minister initiieren. Laut Aussagen der Quelle hätte das Ministerkabinett unter den Bedingungen des russischen Angriffskrieges aufgehört, neue kreative Ideen zu generieren, und hätte oft zweitrangige bürokratische Entscheidungen getroffen. Ja, und überdies habe es begonnen, dem Präsidenten-Office hinsichtlich der Intensität der Arbeit nachzustehen.

Freilich wurde auch eine andere Erläuterung angeführt: „Die Menschen werden müde. Und es muss irgendwer zum Schuldigen gemacht werden. Aber wen? Die Rada löst du jetzt nicht auf. Irgendeinen Beamten im Präsidenten-Office? Dies ist zu gering. Bleibt nur das Ministerkabinett“.

Es ergeben sich jedoch eine Reihe Fragen. Wird man sich in Kiew entscheiden, die Regierung unter den Bedingungen der andauernden aktiven Kampfhandlungen auszuwechseln? Durch was kann diese Absetzung real verursacht worden sein – durch die Ineffizienz des Regierungsteams oder durch das Streben der Kiewer Offiziellen, die Verantwortung für die schwierige Situation im Land ihm anzulasten? Und wird das in der vergangenen Woche vom Premierminister angekündigte staatliche Programm zur Gewährung von nichtzurückzuzahlenden Zuschüssen für Vertreter des Kleinunternehmertums und des Mittelstands sowie des Agrarsektors in einer Höhe von jeweils bis zu 250.000 Griwna in der Lage sein, irgendwie die endgültigen Entscheidungen zu beeinflussen?

Es geht unter anderem auch um Einfuhrzölle für Transportmittel. Wie gemeldet wurde, hätte der ukrainische Haushalt aufgrund der Nichtzahlung begleitender Steuerabführungen rund dreizehn Milliarden Griwna weniger erhalten. Und insgesamt wurden aber über 119.000 Autos eingeführt, von denen zu Autos der Premium-Klasse gehörten. Dabei haben mehrere Analytiker die erwähnte Maßnahme als ein Beleg für den Abschluss der „Militärreform“ Selenskijs aufgefasst und einen unweigerlichen weiteren drastischen Einbruch der ukrainischen Wirtschaft vor dem Hintergrund einer faktischen Vergrößerung der Steuerbelastungen vorausgesagt.

Die erwähnte steuerliche Novität war wahrscheinlich auch dadurch ausgelöst worden, dass zu Beginn der militärischen Sonderoperation der Russischen Föderation, als sich russische Einheiten auch vor den Toren Kiews befunden hatten, es erheblich schwerer wurde, im Land die Steuern einzutreiben. Und daher hatte man deren teilweise Aufhebung verkündet. Dies vermutete in einem Kommentar für die „NG“ Alexander Timofejew, Leiter der analytischen Abteilung des Investitionsunternehmens „Osttor“. Er fügte hinzu, dass sich zum heutigen Zeitpunkt die Situation verändert habe. Kiew lebe unter anderem ein mehr oder weniger friedliches Leben. Vor solch einem Hintergrund hätten es die Offiziellen augenscheinlich auch für möglich gehalten, zu einer normalen Steuerpolitik zurückzukehren und überdies die entsprechend einem amerikanischen Modell noch vor Beginn der Kampfhandlungen konzipierte Personalreform fortzusetzen, die die Formierung eines starken Zentrums in der Präsidialadministration mit einer Übergabe einer Reihe von Ministerfunktionen an sie vorsieht. Unter Berücksichtigung der erklärten Absichten könne nicht bezweifelt werden, dass ein Rücktritt der Regierung erfolge, betonte Timofejew.

Dagegen bekundete der geschäftsführende Direktor des Unternehmens „Trade 123“, Wladimir Roschankowskij, die Gewissheit, dass Präsident Wladimir Selenskij das Kabinett nicht entlassen werde, da man mitten im Strom nicht die Pferde wechseln sollte. Zumal die Ratings von Selenskij zurückgehen würden. Und wenn sie einbrechen, würde man für den Präsidenten schnell einen Ersatz finden. Unter solchen Bedingungen wird er sich einer Auswechselung der Regierung enthalten, die gegenüber dem Staatsoberhaupt die Loyalität bewahre. Es sei nicht ausgeschlossen, meint Alexander Timofejew, dass die Wirtschaft der Ukraine auch bis zu 50 Prozent schrumpfen werde. Insgesamt hänge aber die Tiefe ihres Absackens davon ab, wie sich die Situation rund um Odessa entwickeln werde.