Alexander Lukaschenko signalisiert die Bereitschaft, beschleunigt allen die (weißrussische) Staatsbürgerschaft zu gewähren, die bereit seien, auf „weißrussische Art“ zu leben. Der Präsident des Landes ist davon überzeugt, dass sein Projekt für einen sozialen Staat attraktiv sein könne. Derweil bereiten sich Oppositionskräfte auf ein Vereinigungsforum am 8. und 9. August vor. Bei der Analyse der Gegner des Regimes betonen sie deren Uneinigkeit und das Fehlen eines gemeinsamen Aktionsplans.
Am Vorabend hatte Alexander Lukaschenko erklärt: „Die Spezialisten, die bei uns leben und arbeiten wollen, werden wir mit Vergnügen in Belarus aufnehmen. Die Abgeordneten hatten im Blick, dass es kein Verschleppen gibt, dass dies schnell erfolgt. Und einen Mechanismus haben wir… Sicherlich gibt es in der Welt keinen solchen. Wir sind dazu bereit. Wir werden alles tun, um die anständigsten und unsere guten Nachbarn in unsere weißrussische Familie aufzunehmen. Und nicht nur Nachbarn. Wer bei uns arbeiten, auf weißrussische Art leben möchte, bitte, die Tür ist offen“.
Charakteristisch ist, dass diese Erklärungen zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem der Senat des US-Kongresses den Entwurf einer Weißrussland-Resolution behandelt. Den Charakter dieses Dokuments vorausahnend, hat das Präsidium des Republiksrates der Nationalversammlung eine spezielle Erklärung abgegeben. In ihr heißt es unter anderem: „Für die amerikanischen Senatoren ist es seit langem an der Zeit zu begreifen, dass die Souveränität und Unabhängigkeit für das weißrussische Volk unumstößliche Werte sind. Und in diesen Fragen wird es nie einen Kompromiss geben. Es ist unzulässig, dass die weißrussische Thematik unberechtigterweise im Senat der USA auf der Grundlage offenkundiger Fakes und Desinformationen behandelt wird“.
Lukaschenko hatte am Dienstag erneut erklärt, dass für ihn ungeachtet der aktiven Annäherung mit Russland die bedingungslose Souveränität des Landes eine Priorität bleibe. „Wir sind hinreichend kluge Menschen. Und in Russland ist der Präsident ein absolut zurechnungsfähiger und verstehender hinsichtlich dessen, in welcher Richtung wir uns bewegen müssen. Daher werden wir, indem wir die Unabhängigkeit von Russland und Belarus bewahren, solch ein Bündnis gestalten können, das sowohl die föderalen als auch konföderativen Staaten beneiden können. Und vielleicht sogar auch die Unitarstaaten“.
Und es muss betont werden, dass die Strategie von Lukaschenko als eine recht durchdachte aussieht. Es ist ein Kurs auf einen hart paternalistischen Staat plus das Kultivieren der Erinnerungen an den Großen Vaterländischen Krieg und der Gestaltung einer weißrussischen Identität auf dieser Grundlage.
Die Frage ist: Was kann die Opposition ihm strategisch und taktisch entgegenhalten? Für den 8.-9. August ist die Konferenz „Neues Belarus“ angekündigt worden. Nach Aussagen von Swetlana Tichanowskaja hätten die Weißrussen ihr oft gesagt, dass „man nicht nur jenen zuhören müsse, die preisen, sondern auch jenen, die kritisieren“. Bei dem erwähnten Forum würden sich nach ihren Worten alle äußern können.
Was ist aber das Ziel der Opposition – „freie Äußerungen“ oder doch ein Ergebnis? Im Vorfeld des Forums haben gleich mehrere Analytiker recht unschöne Bewertungen für die oppositionellen Aktivitäten vorgelegt.
Beispielsweise hat der Politologe Pawel Usow auf der Belsat-Internetseite betont: „Der entscheidende Unterschied der heutigen Krise besteht darin, dass die früheren politischen Strukturen nie solch ein Potenzial, Vertrauen und solche Ressourcen besessen hatten, die die neue Welle der Opposition erhalten hat und über die sie leider nicht so effektiv zu verfügen vermochte. Dementsprechend wird die Enttäuschung der Gesellschaft aufgrund der inneren Haltlosigkeit der Opposition eine größere zerstörerische Wirkung haben“. Der Experte nimmt an: „Die Vereinigung erfolgte nicht auf gemeinsamen Werten, Prinzipien, einer Ideologie und einer Führungsrolle, sondern auf der Gewissheit dessen, dass das Problem Lukaschenko in der nächsten Zukunft gelöst werde. Es macht Sinn, Anstrengungen zu unternehmen, die Ambitionen zu verbergen (für eine Zeit in den Schatten zu treten) und einen Machtwechsel abzuwarten. Dementsprechend reduzierte sich die Rolle von Tichanowskaja (und solch eine war auch ihre eigene Vorstellung von sich) nicht auf einen systematischen Kampf, sondern auf eine zeitweilige Rolle des „Anführers der Opposition“, die man für die eigenen Interessen lenken und nutzen kann. Notwendig ist, einfach im richtigen Waggon zu sein (näher zu Swetlana Tichanowskaja), wenn der Zug an der erforderlichen Bahnstation ankommt“. Diese Strategie hat sich offenkundig als eine erfolglose erwiesen.
Der Analytiker Alexander Subrizkij betont in seinem Telegram-Kanal, dass bei der Opposition nicht das Wichtigste zu sehen sei, die Bereitschaft, eine Arbeit an den Fehlern vorzunehmen. Der Experte erinnert an die brisanteste Phase der Konfrontation: „Es hatte keinerlei für die Zeit nach dem 9. August gegeben. Die vereinigten Stäbe hatten praktisch alles für einen Sieg. Außer eines. Sie hatten nicht gewusst, was sie nach dem 9. August 2020 tun werden. Und sie wollten dies wohl auch nicht wissen“.
Nach Meinung des Analytikers seien auch jetzt keinerlei Schlussfolgerungen gezogen worden. „Das Office von Swetlana Tichanowskaja beabsichtigt mit einer 100-prozentigen Wahrscheinlichkeit auch weiterhin, „Luftschlösser“ im Informationsraum zu bauen. Wobei unbedingt mit dem Schildchen „teuer““.
Der Analytiker zieht ein bitteres Fazit: „Nach zwei Jahren ist auf den Überresten des Volksprotests des Jahres 2020 weder eine Arbeit an den Fehlern noch eine Inventarisierung der Ressourcen, weder eine Neuorganisierung der Struktur noch ein Nominieren neuer Führungskräfte, die den gestellten Zielen entsprechen, vorgenommen worden. Dabei rast der Office-„Panzerzug“ weiter, freilich ausschließlich in den Köpfen der Administratoren von Telegram-Kanälen. Derweil leben die Menschen in Belarus, die die Proteste unterstützt hatten, in einer ständigen tierischen Angst. Man hat sie in Bürger zweiter Sorte verwandelt, in Marginale, die nichts zum Leben haben. Diejenigen aber, die ins Ausland gegangen sind, haben die Heimat verloren, haben keinen Kontakt mit den Nächsten. Sie begreifen nicht, wie sie in dieser neuen, wahnsinnigen Realität leben und wohin sie sich weiter bewegen sollen. Alle quält ein und derselbe Gedanke: Worin bestand der Sinn des Protests, wenn er eben so endete?“
- S.
Vor diesem Hintergrund überrascht nicht, dass es zu einer Spaltung in der Opposition Weißrusslands gekommen ist. Zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man sich letzten Meldungen vom Freitag anschaut. Der einstige Präsidentschaftskandidat Valerij Tsepkalo konstatierte auf seinem Telegram-Kanal, dass man Tichanowskaja nicht mehr vertrauen würde. Außerdem warf er dem von Tichanowskaja und Pawel Latuschko angeführten Stab undurchsichtige Entscheidungen vor. „Die Initiativen, die wir konzipiert hatten, sind nicht unterstützt worden. Die Appelle an unterschiedliche Regierungen hinsichtlich der Wirksamkeit der Nutzung der ausgegebenen Mittel sind gleichfalls nicht unterstützt worden, weder von Latuschko noch von Tichanowskaja“, schrieb er auf Telegram. In diesem Zusammenhang bezichtigte Tsepkalo die beiden Oppositionsführer einer Verschleuderung von Millionen Mittel. „Es gibt kein Vertrauen in jene Entscheidungen, die getroffen werden“, erklärte der ehemalige Präsidentschaftskandidat, wobei er betonte, dass weder er noch seine Frau bei der Konferenz der demokratischen Kräfte in Vilnius dabei sein werden. „Er ist für uns kein Väterchen (gemeint ist Präsident Alexander Lukaschenko – Anmerkung der Redaktion), und sie ist für uns kein Mütterchen“, fügte der Politiker in seinem Post hinzu.