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Lukaschenko rechnet mit den Konkurrenten ab


Das Wahlkampfkonto von Viktor Babariko, des Hauptkonkurrenten von Alexander Lukaschenko bei den am 9. August stattfindenden Wahlen und Ex-Chefs der „Belgazprombank“, ist blockiert worden, in seinem Haus erfolgte eine Durchsuchung. Der Anwärter für das Amt des Staatsoberhauptes an sich wurde aufgrund des Versuchs einer Beeinflussung von Zeugen und der Verschleierung von Beweisen festgenommen. Bis Donnerstagabend befand er sich im Department für Nachforschungen auf dem Finanzgebiet, Anwälte wurden nicht zu ihm gelassen. 

Weißrusslands Behörden setzen die Repressalien gegen Anwärter für das Amt des Staatschefs, deren Mitstreiter und zivilgesellschaftliche Aktivisten fort. Ins Blickfeld der Rechtsschützer war am Donnerstag nun vor allem Viktor Babariko geraten. Zusammen mit dem Leiter seiner Initiativgruppe, mit Sohn Eduard, hatte er sich angeschickt, einen weiteren Teil von Unterschriften abzugeben. Doch bald wurde bekannt, dass Babariko und sein Sohn nicht erreichbar sind. Am Vorabend war gemeldet worden, dass der ehemalige Bankier bereits 200.000 überprüfte Unterschriften in der Wahlkommission eingereicht hatte. Insgesamt hat der 56jährige, wie man in seinem Wahlstab mitteilte, 425.000 Unterschriften gesammelt. Später stellte sich heraus, dass sich Viktor und Eduard Babariko im Department für Nachforschungen auf dem Finanzgebiet (DNF) des Komitees für staatliche Kontrolle (KSK) befinden. „Man hatte ihn nicht zu einem Verhör einbestellt. Man hatte das Auto gestoppt und angeboten mitzukommen“, erzählte Anwalt Alexander Pyltschenko. Die Anwälte wurden nicht zu den Festgenommenen gelassen. Dies erklärte man damit, dass „im Gebäude des DNF Übungen stattfinden, weshalb man nicht ins Innere gelangen kann“. Mehr noch, nachdem dessen Mitarbeiter Journalisten und die Anwälte am Eingang zum Gebäude des KSK bemerkt hatten, verschlossen sie die Tür von innen. Die Anwälte waren gezwungen gewesen, die Forderungen nach Entgegennahme der Beschwerde über die ungesetzliche Festnahme durch die Scheiben lautstark zu artikulieren, aber ergebnislos. „Das Recht Babarikos auf Rechtsbeistand wird verletzt, obgleich dies durch den Artikel 62 der Vorgesehen ist – jeder hat ein Recht auf Rechtshilfe“, erklärte der Anwalt Dmitrij Lajewskij gegenüber den Journalisten. 

Zur gleichen Zeit begannen in den sozialen Netzwerken Informationen aufzutauchen, wonach in dem Haus, in dem Viktor Babariko wohnt, eine Durchsuchung im Gange sei. Auf Fotos vom Ort der Geschehen ist zu sehen, dass die Mitarbeiter, die zum Haus von Babariko mit einem Auto mit der Beschriftung „Miliz“ gekommen waren, ihre Gesichter mit Balaklavas (Schlupfmützen) verbergen. Und diejenigen, die keine solchen haben, verhüllen einfach die Gesichter mit T-Shirts. Die Freundin von Eduard Babariko schrieb in den sozialen Netzwerken, dass in der Wohnung, in der sie zusammen mit Eduard wohnt, ohne ihre Anwesenheit auch eine Durchsuchung in Vorbereitung sei. „Ich bin mit Edik (Koseform des Namens Eduard – Anmerkung der Redaktion) durch keinerlei juristischen Status verbunden. Ich wurde nicht zur Verantwortung gezogen, ich habe keinerlei leitende Funktionen eingenommen, und ich habe keinerlei Anteile an dem Unternehmen. Das heißt, in dem Falle, dass man mich festnimmt, wird dies wider den gesunden Menschenverstand getan“, schrieb sie. 

Zuvor hatten Menschenrechtler bereits über noch eine, nicht dem gesunden Menschenverstand entsprechende Festnahme berichtet, die von Swetlana Kuprejewa, der Freundin der verstorbenen Gattin von Viktor Babariko. Sie hatte auch gar nichts weder mit der „Belgazprombank“, noch mit anderen Unternehmen zu tun, in deren Hinsicht Viktor Babariko eine Verbindung nachgesagt wird. Sie selbst war Mitglied der Initiativgruppe des einstigen Bankiers. 

Am Donnerstag teilte der Stab des potenziellen Präsidentschaftskandidaten mit, dass man Swetlana Kuprejewa der Steuerhinterziehung mit Verursachung eines Schadens im Umfang von mehr als 8,95 Millionen weißrussischen Rubeln (rund 4 Millionen US-Dollar) verdächtigen würde. Die Anwälte und Kuprejewa bestreiten ihre Beteiligung an irgendwelchen Straftaten. Sie befindet sich in der U-Haftanstalt des KGB. Der Anwalt wird nicht zu ihr gelassen, wobei dies mit der Coronavirus-Epidemie motiviert wird. 

Es sei daran erinnert, dass die Behörden zuvor bereits den populären Blogger und Autoren des YouTube-Kanals „Ein Land für das Leben“ von Sergej Tikhanowskij neutralisierten. Gegen ihn sind zwei Strafverfahren eingeleitet worden (Organisierung von Massenunruhen und Behinderung der Abhaltung von Wahlen), und er wird bis zu den August-Wahlen in Haft bleiben. Seine Ehefrau Swetlana Tikhanowskaja, die anstelle des Gatten eine Initiativgruppe zur Sammlung von Unterschriften zu ihrer Unterstützung registriert hatte, bedrohte man, wobei angeraten wurde, auf die Teilnahme an der Kampagne zu verzichten. 

Über 15 ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter der „Belgazprombank“, die Viktor Babariko über 19 Jahre geleitet hatte, sind derzeit festgenommen worden. Die amtierende Leitung wurde von ihren Pflichten suspendiert. In der Bank wurde eine zeitweilige Verwaltung installiert. Die leitet die einstige Chefin der Nationalbank, Nadeschda Jermakowa, die aus der gleichen Region wie Alexander Lukaschenko stammt und extra aus ihrem verdienten Rentnerdasein gerissen wurde. 

Am Mittwoch wurde bekannt, dass das Wahlkampfkonto von Viktor Babariko gesperrt wurde. „Bei dem Versuch der Abwicklung von Zahlungen mit Mitteln des Wahlkampffonds durch Mitarbeiter der ASB „Belarusbank“ wurde die Information mitgeteilt, dass das Rechnungskonto von Viktor Babariko, auf dem sich der gebildete Wahlkampffonds befindet, blockiert ist. Gesperrt sind die Ausgabeoperationen hinsichtlich des Kontos. Dokumente, die die Sperrung oder das Vorliegen anderer Gründe für eine Einschränkung des Verfügens über die Mittel des Wahlkampffonds bestätigen, sind nicht vorgelegt worden“, teilte man im Stab mit. Dort betont man, dass es nicht gelungen sei, diesbezüglich irgendwelche Erklärungen zu bekommen. Es sei nicht möglich, Gründe für das Vorgefallene zu vermuten, da es in der Gesetzgebung keinerlei Normen gebe, die erlauben würden, Konten von Präsidentschaftskandidaten zu blockieren. 

Die einheimische Öffentlichkeit und Experten sind aufgrund des Geschehenen verwirrt. Und dies ungeachtet dessen, dass Repressalien gegen Andersdenkende eine gewohnte Sache im heutigen Weißrussland sind. Früher jedoch hatten die Behörden zumindest irgendeine Grundlage für ihre repressiven Aktionen geschaffen. Jetzt erfolgt die Willkür schweigend. 

Experten erwarten eine Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft, aber auch eine Reaktion der russischen Führung. „Es ist äußerst wichtig, dass die Behörden Weißrusslands Bedingungen gewährleisten, unter denen ein konstruktiver politischer Wettbewerb möglich sind. In dieser Hinsicht sind wir über die jüngsten Aktionen beunruhigt, die gegen Viktor Babariko unternommen wurden, und rufen zu einer vollkommenen Einhaltung der Gesetzlichkeit und einer transparenten Untersuchung auf“, erklärte am Mittwoch Dirk Schuebel, der Leiter der EU-Delegation in Minsk. 

Und am Donnerstagabend wurden die Botschafter aller europäischen Staaten ins Außenministerium Weißrusslands einbestellt. Ihnen wurde die offizielle Version der jüngsten Ereignisse rund um den weißrussischen Wahlkampf dargestellt, wie am Freitag Agenturen meldeten. Was die Reaktion Russland und dessen Position in Bezug auf die Geschehnisse angeht, so ist sie am Freitag artikuliert worden. Zum einen durch Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der in Minsk weilte, als auch durch Präsident Putin, der am gleichen Tag mit seinem weißrussischen Amtskollegen telefonierte. Freilich klang alles mehr als vage.

Wie gemeldet wurde, trete Alexander Lukaschenko bei den anstehenden Wahlen als ein Verteidiger der Unabhängigkeit Weißrusslands an. Dabei schickt er sich an, sie vor Russland zu verteidigen. Seinen Hauptwidersacher Viktor Babariko bezeichnet er als eine Kreatur Russlands, die die russischen Oligarchen angeheuert hätten, um dann das ganze Land aufzukaufen. Die Zerschlagung der weißrussischen Bank, die „Gazprom“ und der „Gazprombank“ gehört, passt gut in dieses Schema. 

Ohne die Reaktion Moskaus abzuwarten, was in dieser Situation logisch gewesen wäre, haben Experten angefangen, Vermutungen hinsichtlich der Ursachen für das Geschehene anzustellen. Moskau sei dieses Pogrom von Vorteil, meint beispielsweise der politische Kommentator Alexander Klaskowskij. „Es sieht nicht danach aus, dass sich der Kreml bei diesen Wahlen anschickte, Lukaschenko abzuschütteln. Ihn aber dazu zu veranlassen, dass er soviel wie möglich zerschlägt – dies mit großer Freude“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal. Seiner Meinung nach werde das Weißrussland, dass nach der Schlacht bleiben werde, eine gute Beute für den Kreml sein.

Minsk