Der Freitag begann für die russisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit einem Paukenschlag, dessen Echo bisher nicht abklingt. Die von Olaf Scholz angeführte Bundesregierung hat sich dazu aufgeschwungen, zum zentralen Akteur auf dem deutschen Mineral- und Erdgasmarkt zu werden, und stellte Rosneft Deutschland unter Treuhandverwaltung. Als Grundlage wird das Energiesicherungsgesetz ausgewiesen. Die Bundesnetzagentur soll nun die Rohölimporteure Rosneft Deutschland und die RN Refining & Marketing GmbH beaufsichtigen, um den Betrieb der Raffinerien PCK Schwedt, MiRo (Karlsruhe) und Bayernoil (Vohburg) zu sichern. Vorerst für sechs Monate und vor dem Hintergrund des Öl-Embargos gegen Russland wegen der sogenannten militärische Sonderoperation in der Ukraine, das am 1. Januar 2023 greifen wird. „Rosneft Deutschland vereint insgesamt rund zwölf Prozent der deutschen Erdölverarbeitungskapazität auf sich und ist damit eines der größten erdölverarbeitenden Unternehmen in Deutschland. Mit der Treuhandverwaltung wird der drohenden Gefährdung der Energieversorgungssicherheit begegnet und ein wesentlicher Grundstein für den Erhalt und die Zukunft des Standorts Schwedt gelegt“, hieß es dazu auf der Internetseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz am 16. September. Die Entscheidung werde von einem umfassenden Zukunftspaket begleitet, das einen Transformationsschub für die Region bringe und die Raffinerie unterstütze, damit die Versorgung mit Öl auf alternativen Lieferwegen sichergestellt werde, betonte man im Ministerium von Robert Habeck. Bislang ist die PCK Raffinerie von der Belieferung mit russischem Erdöl über die Druschba-Pipeline abhängig und gleichzeitig Arbeitgeber für rund 1200 Menschen. Sprich: Der Betrieb ist eine wirtschaftliche Säule der Region um Schwedt. Auslöser für die Entscheidung der Bundesregierung war auch das geringe Interesse von Rosneft Deutschland an einer Abkehr von russischem Öl.
Das Moskauer Echo war am Samstag auf den Schritt der Bundesregierung gleich Null. Nicht einmal der pressefreundliche Vizepremier Alexander Nowak, der für den russischen Energiesektor zuständig ist, kommentierte die Berliner Entscheidung. Experten rechnen jedoch damit, dass mit dieser neuen Entwicklung es für die deutschen Unternehmen in Russland noch schwieriger werden wird, ihre Geschäftsaktivitäten im Land einzustellen und ihre Anlagenvermögen zu veräußern. Der Konzern Siemens weiß beispielsweise darum, der seinen Wartungsbetrieb für die Sapsan-Züge nicht abstoßen kann. Die russische Staatsbahn hat dazu eine entsprechende Entscheidung beim Moskauer Schiedsgericht erwirkt.
Am Freitagabend reagierte die Konzernzentrale von Rosneft und veröffentlichte eine Erklärung zur Entscheidung des Olaf-Scholz-Kabinetts. Die Redaktion von „NG Deutschland“ publiziert nachfolgend eine Übersetzung des Wortlauts dieses Dokuments:
„Die Entscheidung der Bundesregierung der BRD, die deutschen Aktiva des Unternehmens unter eine Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur zu stellen, ist für uns leider keine unerwartete und befindet sich im Rahmen der Logik des von den USA aufgezwungenen Handlungsalgorithmus in Bezug auf die russischen Unternehmen auf dem Territorium Deutschlands. Diese Entscheidung ist ungesetzlich und vom Wesen her eine Enteignung von Aktionärseigentum im Ergebnis der vorsätzlich durch entsprechende Sanktionen der Europäischen Union und Handlungen der deutschen und polnischen Aufsichtsbehörden geschaffenen Situation, deren Ziel auch die Übernahme der Aktiva gewesen war.
Rosneft sieht darin eine Verletzung aller grundlegenden Prinzipien der Marktwirtschaft, der zivilisierten Grundlagen einer modernen Gesellschaft, die auf dem Prinzip der Integrität von Privateigentum aufbaut.
Das Unternehmen hatte alle Forderungen der Aufsichtsbehörden Deutschland erfüllt, was von ihnen auch mehrfach anerkannt worden war, arbeitete transparent und offen auf dem Markt, wobei es die Versorgung der Verbraucher mit Kraft- und Brennstoffen versorgte. Ungeachtet der anhaltenden schwierigen Situation auf dem Energiemarkt der BRD hatte Rosneft Deutschland weiterhin die Pflichten zur Lieferung von Erdölprodukten im vollen Umfang erfüllt und Gespräche zu notwendigen neuen Verträgen geführt, um die Sicherheit der Lieferungen zu garantieren, vor allem in der Region Berlin-Brandenburg und in Westpolen.
Der Gesamtumfang der Rosneft-Investitionen in Projekte für eine Erdölverarbeitung in Deutschland belief sich auf 4,6 Milliarden Euro. Zusätzliche Investitionen wurden im Zusammenhang mit der Aufstockung des Kapitalanteils des Unternehmens am PCK und mit dem Übergang zur Herstellung von Bio-Kraftstoffen geplant.
Rosneft hatte gleichfalls Pläne zur weiteren Entwicklung der Produktion und Infrastruktur der Betriebe. Die Investitionsprogramme sahen die Realisierung von „grünen“ Projekten vor, von Vorhaben auf dem Gebiet der Petrolchemie und Energiewirtschaft. Unter ihnen – ein Programm zur Erhöhung der Energieeffizienz und Verringerung der Emission von Treibhausgasen, eine Reihe großer Projekte zur Reinigung von Abwasser und Grundwasser in den Betrieben PCK, MiRo und Bayernoil, ein Vorhaben zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff unter Verwendung erneuerbarer Energiequellen (für die weitere Herstellung von Autokraftstoffen und Flugzeugbenzin (Kerosin)) sowie Projekte für die Herstellung synthetischer Autokraftstoffe.
Das Unternehmen versteht, dass die von der deutschen Bundesregierung gefällte Entscheidung keine vorübergehende ist und vom Wesen her einen unwiederbringlichen Verlust von Aktiva bedeutet. Rosneft wird alle möglichen Maßnahmen zum Schutz der Aktionäre einschließlich der Anrufung eines Gerichts durcharbeiten.
Das Unternehmen bedauert, dass unsere Abnehmer und die Mitarbeiter der Unternehmen, mit denen sich in den Jahren der Arbeiten unsererseits nicht nur geschäftliche, sondern auch herzliche menschliche Beziehungen herausgebildet haben, mit dieser Situation konfrontiert worden sind.
Das Unternehmen erklärt, dass es im Zusammenhang mit der Entscheidung der BRD-Regierung die Möglichkeit verliert, die industrielle und ökologische Sicherheit des Werkes zu gewährleisten.
Außerdem ist im Zusammenhang mit der einseitigen Entscheidung über den Wechsel des Leiters des Führungsorgans und infolge des Auftretens von Force-majeure-Umständen, die durch den geltenden konzerninternen Vertrag zwischen der PAO „Erdölkonzern Rosneft“ und der Rosneft Deutschland GmbH vorgesehen wurden, letzterer mit einer durch die BRD-Regierung ermächtigten Person (in dem Fall die Bundesnetzagentur – Anmerkung der Redaktion) aufs Neue zu unterzeichnen. Das Unternehmen ist bereit, mögliche Parameter für einen neuen Vertrag unter der Bedingung von Garantien für die Bezahlung der gelieferten Rohstoffe sowie eines Schutzes der Investitionen (im Interesse der Aktionäre des Unternehmens) und der legitimen Rechte des Personals der Unternehmen zu erörtern“.