Die von Präsident Wladimir Putin verkündete teilweise Mobilmachung ist durch das Bedürfnis ausgelöst worden, die Kontrolle über den Territorien entlang der „Berührungslinie“ mit einer Länge von 1000 Kilometern zu sichern. Die Territorien, die sich erwartungsgemäß für einen Beitritt zu Russland aussprechen und unter den vollständigen Schutz und nuklearen Schirm ihrer neuen-alten Heimat gelangen werden. 300.000 zu mobilisierende Menschen – dies sind ein Teil des insgesamt 25 Millionen Menschen umfassenden Mobilisierungspotenzials Russlands. Somit ist die militärische Sonderoperation in ihre neue Phase eingetreten ist. Es geht um eine Fixierung der Kontrolle über die Gebiete, die zu einem Territorium der Russischen Föderation werden. Augenscheinlich werde nach Meinung des Kremls dieser Schritt zu einer Beendigung der akuten Phase der Kampfhandlungen führen.
Nicht zufällig betonte Putin das Vorhandensein moderner Kernwaffen als eine per Doktrin vorgesehener Garant für die Sicherheit des Landes, deren Einsatz kein Bluff sei. Ganz und gar kein Bluff.
In seiner Ansprache beschrieb Putin wieder den existenziellen Charakter der Konfrontation Russlands und des Westens. Die Ukraine sei lediglich ein Territorium, ein Aufmarschgebiet und Lieferant von Kanonenfutter. Die Politik des Westens uns gegenüber sei letzten Endes eine Vernichtung Russlands. Der Präsident der Russischen Föderation betont: „Das Ziel dieses Westens ist, unser Land zu schwächen, zu entzweien und letzten Endes zu vernichten. Sie sprechen bereits direkt darüber, dass sie 1991 die Sowjetunion aufspalten konnten. Und jetzt sei die Zeit auch für Russland an sich gekommen, dass sie in eine Vielzahl von Regionen und Verwaltungsgebieten zerfällt, die tödlich verfeindet miteinander verfeindet sind“.
Den Plänen des Westens würde nach Meinung von Russlands Präsident eine Russophobie zugrunde liegen. Das heißt eine ethnische und nationale Intoleranz gegenüber den Russen und ihren Staat. Putin verweist darauf: „Die Erben der Bandera-Anhänger und nazistischen Peiniger bringen Menschen um, foltern, werfen sie in Gefängnisse, begleichen mit ihnen Rechnungen, rechnen mit ihnen ab und vergehen sich an friedlichen Bürgern“.
Verteidigungsminister Sergej Schoigu verwies auf 270 Satelliten des Westens, die auf der Seite der Ukraine im Rahmen der heutigen Konfrontation zum Einsatz gebracht worden sind. Im Grunde genommen hatte keiner die Informationen über die Versorgung der ukrainischen Streitkräfte mit Daten der Aufklärung aus dem Weltraum verhehlt. Darüber informieren regelmäßig führende US-amerikanische und britische Medien.
Diese Linie der Argumente ist zweifellos auf das Inlandspublikum ausgerichtet. Eine Mobilmachung, wenn auch eine teilweise, verlangt eine Ideologie. Dies wird auch die Ideologie sein.
Als eine andere Grundlage für den gesamten Komplex der bevorstehenden Handlungen nennt Putin die moralische Verantwortung Russlands. „Wir können nicht und haben keinerlei moralisches Recht, die uns nahen Menschen den Henkern einem Zerfleischen zu überlassen, wir müssen auf ihr aufrichtiges Streben reagieren, selbst ihr Schicksal zu bestimmen“. Dies ist ein außerordentlich wichtiges Element der Begründung seiner Entscheidungen. Moralische Pflichten decken sich oft nicht mit rein rechtlichen Normen und Prozeduren. 2Wir lassen die Unsrigen nicht im Stich“.
Es ist klar, dass der Westen weder insgesamt noch in seinen einzelnen Erscheinungen die Ergebnisse der Referenda anerkennen und die Isolations- und Strafmechanismen der Sanktionen – indem er sie bis zum Extremen führt – verstärken wird. Hier ist eine Einengung der Kanäle für Kontakte mit den Ländern der Welt möglich, auf die beim Umgehen der Sanktionen gesetzt wurde. China, Indien und die Türkei hängen zu sehr von den Märkten des Westens ab, um ihre materiellen Interessen zwecks Hilfe für Russland zu opfern. Unser Markt ist ein kleiner und für sie nicht liquide.
All dies verheißt eine weitere Verringerung des Potenzials des Außenwirtschaftsbereichs, um die Bedürfnisse der Inlandsnachfrage zu befriedigen. Deren Sättigung durch einheimische Erzeuger ist heutzutage im vollen Umfang nicht möglich. Folglich wird die Zeit eines teilweisen Mangels an Waren anbrechen. Hier werden sich die hauptsächlichen politischen Risiken für die Herrschenden befinden. Es wird sich herausstellen, ob das existenzielle Motiv des Überlebens Russlands als eine Grundlage für die Notwendigkeit für ein Eintauchen in Mangelerscheinungen sich als ein überzeugendes erweisen wird. Die Alltagslogik des Durchschnittsbürgers ist pragmatisch, egoistisch und apolitisch.
Wichtig für die Zukunft wird das sein, wie sich die Streitkräfte der Ukraine nach den heutigen Entscheidungen des Kremls verhalten werden. Wird eine neue Offensive in jenen Regionen beginnen, wo die Abstimmung organisiert wird (die vom 23. bis 27. September erfolgen soll – Anmerkung der Redaktion)? Werden die Amerikaner die Lieferungen reaktiver Geschosse größerer Reichweite beginnen? Es macht Sinn, auch massive außenpolitische Reaktionen auf die Entscheidungen des Kremls inklusive der Plattform von UNO und der Vollversammlung zu erwarten.
Diese Fragen wurden sicherlich durch die russische Führung beim Treffen der Entscheidungen erörtert. Und es ist wahrscheinlich: Die Überzeugtheit vom existenziellen Charakter der Bedrohungen für Russland haben zu der einzigen Schlussfolgerung geführt: man muss sich um jeden Preis verteidigen. Um den Preis einer Isolation, von Entbehrungen, Verlusten und Opfern. Es ist völlig offensichtlich, Wladimir Putin ist von der eigenen Richtigkeit absolut überzeugt. Jede seiner Sorgen hat in seinen Augen in den letzten sieben Monaten eine erschöpfende Bestätigung erhalten.
Putin, der sich auf dem Gipfel der Macht befindet und die Unterstützung der Bürger genießt, verfügt über die Möglichkeit, die Schicksale nicht nur der Menschen, sondern auch der Staaten in der ganzen Welt zu beeinflussen. Derart ist die Realität. Und es ist riskant, sie zu ignorieren. Denn dies ist kein Bluff.