Während der KPRF-Chef Gennadij Sjuganow den Haushalt für das Jahr 2023 ablehnt, gerade weil die Regierung die Anweisungen des Präsidenten im Zusammenhang mit der militärischen Sonderoperation nicht berücksichtigt habe, verschärfen die Aktivisten an der Basis bereits insgesamt die Rhetorik. Dabei radikalisiert sich die Kritik sowohl der militärischen und außenpolitischen Handlungen des Kremls als auch scheinbar dessen Hausherren an sich. Die Führung der KPRF ist gezwungen, zwischen einem Konsens mit den Herrschenden und innerparteilichen Erwägungen zu lavieren, wobei sie immer häufiger gerade zu letzteren neigt. Experten prognostizieren eine Zunahme des informationsseitigen Drucks und eines Drucks seitens der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane auf die Kommunisten und ganz und gar keine endgültige Entscheidung in Bezug auf sie.
Die Partei-Jugend der KPRF und die linkspatriotischen Verbündeten der Partei radikalisieren sich in der letzten Zeit immer mehr und werden aktiver.
Bezeichnend sind in dieser Hinsicht die Handlungen des Koordinators der „Linken Front“, Sergej Udalzow, und seiner Gattin Anastasia Udalzowa, die Abgeordnete in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments) für die KPRF ist.
So erfolgte in der Stadt Kowrow des Verwaltungsgebietes Wladimir eine Tagung von Teilnehmern der linkspatriotischen Koalition aus mehreren umliegenden Regionen inkl. Moskaus. Auf dem Programm standen sowohl ein Umzug unter roten Flaggen als auch eine Gedenkaktion am Memorial für die Kriegshelden. Zum Wichtigsten wurde aber die Erörterung der aktuellen politischen Situation und der Erfahrungen aus der praktischen Arbeit unter den gegenwärtigen Bedingungen in einem der städtischen Klubs. „Fast alle Redner waren sich im Begreifen dessen einig, dass ein Sieg in der Konfrontation mit dem kollektiven Westen ohne eine Wende zum Sozialismus, aber auch ohne eine vollwertige Mobilisierung der Wirtschaft und Gesellschaft, für das ein Kurswechsel für die Entwicklung Russlands und eine ernsthafte Personal- bzw. Kaderrotation in der Landesführung nötig sein, unmöglich ist“, betonte Udalzow. Noch verständlicher wurden seine Worte darüber, dass die Zusammengekommenen die Notwendigkeit einer „Verschärfung der Kritik an den gegenwärtigen Offiziellen aufgrund des Sabotierens der herangereiften sozial-ökonomischen Reformen und der Politik der Doppelstandards im Verlauf der Durchführung der Sonderoperation“ signalisiert hätten.
Sjuganow richtete scheinbar seine Rhetorik, eine scheinbar radikale, ebenfalls auf das Gleiche. Er kritisierte beispielsweise ein weiteres Mal den Etatentwurf, tat dies aber von jener Position aus, dass die Regierung angeblich schlecht die letzten Anweisungen des Präsidenten umsetze. In dieser Situation, in der sich die Radikalisierung der KPRF von unten her verstärkt, ergibt sich für die Herrschenden offensichtlich die Frage nach der Zweckmäßigkeit des weiteren Bestehens solch einer Partei, an deren Führung im Ergebnis eines Generationswechsels eben jene linken Radikalen kommen können. Und allem nach zu urteilen, werden jetzt zumindest die Informationsattacken gegen die KPRF wiederaufgenommen. Im Internet begann zum Beispiel die Nachricht zu kursieren, dass es in der Moskauer Abteilung angeblich eine Säuberung von „ideologisch fremden Elementen“ geben werde, was angeblich der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des ZK, Jurij Afonin, selbst erklärt hätte. Und geschehen werde dies angeblich in der allernächsten Zeit, bei einer Parteikonferenz am 6. November. Darauf erklärte Afonin selbst gegenüber der „NG“, dass seine Worte aus dem Kontext herausgerissen worden seien. Und diese Veranstaltung sei eine gewöhnliche Plenumstagung des Stadtkomitees der Partei, bei der die Ergebnisse der vergangenen Wahlen bilanziert werden würden. Und es werde der gegenwärtige amtierende Nikolaj Subrilin zum 1. Sekretär gewählt. „Derzeit erfolgen Versammlungen in den Grundorganisationen in der Stadtbezirken Moskaus. Ich trete dort von Zeit zu Zeit auf. Wir diskutierten wirklich die aktuelle Arbeit, eine Verstärkung der Reihen und die Bildungsarbeit mit den jungen Kommunisten sowie die Strategie und Taktik der Moskauer Organisation. Es macht keinen Sinn, dies aus der Sicht von Säuberungen und ein Anziehen der Daumenschraube zu sehen. Darum ist es nicht gegangen“, unterstrich Afonin.
Der KPRF-Abgeordnete in der Staatsduma Denis Parfjonow erläuterte der „NG“: „Vom Prinzip her spüren wir in all den letzten Jahren keinen Mangel an Druck, beginnend ab 2018 – der Rentenreform und Präsidentschaftswahlen. Aber das gesamte letzte Jahr nimmt er konsequent zu, man setzt sowohl einfache Parteimitglieder als auch Status-Aktivisten unter Druck. Und wir begreifen, dass alle verschärfenden Gesetze jetzt mit Blick auf die KPRF als die oppositionellste Partei, mehr noch: mit Blick auf die letzte ernsthafte Partei verabschiedet werden, die offen gegen die Herrschenden auftritt“. Wenn man aber die KPRF dichtmachen wolle, so seien dazu in der Geschichte nur negative Analogien auszumachen. „Die Erfahrungen zeigen, dass, wenn man die legale Opposition verbietet, wird die Protesttätigkeit in destruktive Bahnen gelangen. Dies braucht keiner, weder wir noch die Herrschenden. Daher, wenn die Herrschenden sich zu einer Vernichtung der KPRF entschließen, werden sie sich selbst ins Knie schießen“.
Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow merkte an, dass man nicht einfach auf die KPRF Druck ausüben werde, da ihr Bestehen sogar für die Herrschenden von Vorteil sei. Denn, „welche Stimmen und welche Unterstützung aufgrund der Kritik auch immer zur KPRF kommen mögen, die Partei befasst sich mit einer Kanalisierung der Proteststimmungen“. D. h., für die Offiziellen bestehe keine Notwendigkeit, die KPRF zu vernichten, allein schon, weil ihre Führung die Aktivisten an der Basis, die nach einer Radikalisierung dürsten würden, nicht außer Kontrolle lasse. „Und selbst wenn Sjuganow den Posten des Parteiführers verlassen wird, werden Afonin oder Nowikow an seine Stelle treten. Und folglich werden weder die Kommunisten an sich noch die Präsidialadministration Radikale ins ZK lassen. Die KPRF wird bereits ganz bestimmt zu keiner revolutionären Partei der Arbeiterklasse“. Eben daher nutzt Sjuganow zwar geschickt den Unmut an der Basis für eine Zunahme der Ratings aus, doch er verwandelt tatsächlich auch die Empörung in Losungen und Appelle an die Herrschenden, um beispielsweise einen Teil des KPRF-Programms aufzugreifen.
Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für Polittechnologien, erklärte der „NG“, dass „natürlich das Aktiv von der Basis die Parteiführung zu einer harten Rhetorik veranlasst. Und solch eine Radikalisierung wurde zum Ergebnis der Erneuerung und Verjüngung“. Natürlich würden die linken Aktivisten gebraucht werden, da sie bei der Abhaltung von Wahlen aller Ebenen unersetzlich seien. Er stimmt aber dem zu, dass die Perspektive für eine Übergabe der Parteiführung an den einen oder anderen Chef „im ZK der KPRF und im Präsidialamt entschieden wird, und nicht durch die Aktivisten“. „Daher kommt Sjuganow dem Aktiv von der Basis derzeit entgegen, welches er zu verlieren fürchtet. Dabei balanciert er aber, um die Beziehungen mit den Herrschenden nicht zu verderben. Wenn sich aber mit der Jugend Problem ergeben und die Parteiführung auf einmal der Auffassung ist, dass sie die Gefahr einer Spaltung schaffe oder die Partei zu aktiv mit den Herrschenden zusammenstoße, so wird man sich rasch von den Radikalen trennen. Solche Erfahrungen hat es bei den Linken schon gegeben. Solange aber die KPRF-Führer die Menschen nicht massenhaft mit Protesten auf die Straßen bringen, bleibt die Partei für die Offiziellen ein ungefährlicher Partner“, betonte Makarkin.