Russland hatte bekanntgegeben, dass es die Teilnahme am „Getreide-Deal“ aufgrund der Attacken gegen Schiffe der Schwarzmeerflotte am vergangenen Samstag aussetzt (am Mittwoch hat Moskau mitgeteilt, dass es sich wieder am Getreideabkommen mit der Ukraine beteiligt – Anmerkung der Redaktion). Moskau wirft den ukrainischen Streitkräften den Überfall vor, wobei es auf britische Hilfe verweist. „In diesem Zusammenhang wird der britische Botschafter in Kürze ins russische Außenministerium einbestellt werden“, sagte am Mittwoch die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Zuvor hatte das Außenamt Russlands erklärt, dass eine Rückkehr des Landes zu dem „Deal“ nur möglich sei, nachdem die Umstände der Attacke aufgeklärt worden seien.
Offizielle westlicher Länder werfen Moskau vor, dass es das Lebensmittel-Problem zu einem Instrument für die Ausübung von Druck verwandele. Es muss gesagt werden, dass das Getreideabkommen von Anfang an in den politischen Diskurs integriert worden war. Der Westen bezichtigt Russland einer Erpressung. Und der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin hat bereits mehrfach davon gesprochen, dass das Getreide nicht die ärmsten Länder, sondern europäische erhalten würden. Nach seiner Meinung würden die westlichen Länder ihre Interessen lösen, und die Leiden der Benachteiligten seien lediglich ein Schirm für Edelmut und Fürsorge.
Die russischen Offiziellen senden jetzt ständig Signale an die Armen oder ungerechtfertigt Benachteiligten der ganzen Welt. So hatte Präsident Putin bei der Plenartagung des Internationalen Diskussionsforums „Valdai Club“ am 27. Oktober die „einfachen“ Bürger der USA und europäischen Länder aufgerufen, „für eine Erhöhung der Löhne zu kämpfen“. Dies ist ein interessantes und im Kontext der letzten drei Dezennien neues Positionieren Russlands in der globalen Politik. Es möchte sozusagen zu einem Anführer der internationalen „Linken“ werden, wie es sich früher für die Rolle eines konservativen Bannerträgers angeboten hatte.
Den „einfachen“ Bürgern der Länder des Westens wird eine simple Interpretationsmatrix vorgeschlagen. Russland ist für sie kein Feind, sondern ein Freund. Für einen Feind halten Russland die westlichen politischen Eliten, die ihre Ziele verfolgen und schrecklich weit von ihren Völkern sind. Die Eliten seien daran schuld, dass die Einwohner ihrer Länder in der nächsten Zeit nicht ausreichend Wärme, Strom und Lebensmittel erhalten werden. Was sollen da die „einfachen“ Bürger tun? Druck auf ihre Regierungen ausüben, normale Beziehungen mit Russland fordern.
Man kann sagen, dass dies eine symmetrische Antwort auf die Logik der westlichen Sanktionen ist. Schließlich treffen diese Einschränkungen die gewohnte Lebens- und Konsumtionsweise der „einfachen“ Bürger der Russischen Föderation. Viele sind ohne Arbeit geblieben, da ausländische Unternehmen Russland verlassen haben. Und die Logik bestand (und besteht) darin, dass die betroffenen Menschen gerade in ihren Offiziellen die Schuldigen sehen und auf sie Einfluss nehmen, damit sie beispielsweise die Sonderoperation in der Ukraine beenden.
In diesem Spiel der symmetrischen Logiken veranlasst das Kostüm eines „Anführers der Linken“, das von Russland zur Probe übergestreift wird, sich an das stürmische 20. Jahrhundert zu erinnern, an die Führer des weltweiten Proletariats, an die Idee eines Exports der Revolution und an die Kommunistische Internationale. Dies kann sich als ein großes politisches Trolling erweisen, kann aber auch eine durchaus ernsthafte Reproduktion einer alten Matrix sein, die in den Erinnerungen der Menschen – und Politiker – mit einer sowjetischen Vergangenheit erhalten geblieben ist.
Eine andere Sache ist, dass das „internationale Proletariat“ bereits ein anderes geworden ist. Und die Menschen linker Anschauungen in den Ländern des Westens sind bei weitem nicht nur Arbeiter und Bauern. Die amerikanischen und europäischen „Linken“ unterstützen die Idee von einem „großen“ Staat, einer (nach ihrer Meinung) gerechten Verteilung der Güter sowie von einer Verteidigung der Unterdrückten oder in den Rechten unberechtigt benachteiligten Klassen und sozialen Gruppen. Und in diesem letzten Punkt können sich ihre Wege mit den Wegen der russischen Elite trennen.
Die Sache ist die, dass eine Unterstützung der westlichen „Linken“ Frauen, Einwanderer, Afroamerikaner und Afroeuropäer sowie Menschen mit einer nichttraditionellen sexuellen Orientierung als benachteiligte Kategorien genießen. Unterstützung erhalten auch die Bewegungen, die für deren rechte kämpfen. Es ist schwer, sich solch eine „linke Wende“ in Russland vorzustellen. Für einige im Westen geschützte Kategorien werden hier strenge restriktive Gesetze vorbereitet. Und insgesamt ist es einfacher, in den russischen „linken“ Diskurs die Kirche einzufügen, denn Feministinnen oder Black Lives Matter. Dies kann man eher als einen rechten Populismus denn als eine linke Agenda bezeichnen. Es muss aber gesagt werden, dass es auch in den Ländern des Westens nicht an rechten Populisten mangelt. Und gerade sie versuchen am häufigsten, sich Russland anzunähern.