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Die Beziehungen mit dem Westen kommen unters Messer


Moskaus Herangehensweise an die Beziehungen mit dem Westen werde in der neuen Fassung der Konzeption für die Außenpolitik grundlegend korrigiert werden. Die Arbeit an dieser nähere sich dem abschließenden Stadium. Dies teilte der stellvertretende Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Alexander Wenediktow, mit.

„Es versteht sich von selbst, dass in der Konzeption für die Außenpolitik alle Realitäten der sich in den letzten Monaten veränderten internationalen Lage sorgfältig reflektiert werden. Und es werden unsere Herangehensweisen an das Zusammenwirken mit den unterschiedlichen Akteuren und Regionen präzisiert. Einer tiefgreifenden Korrektur werden unsere Vorgehensweisen hinsichtlich des kollektiven Westens unterzogen“, sagte er der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS.

Wenediktow nimmt an, dass die aktualisierte Konzeption dem Sicherheitsrat zum Jahresende vorgelegt werde, obgleich dies nicht ihre automatische Billigung bedeute. „Daher ist es realistischer, das Dokument in der ersten Hälfte des Jahres 2023 zu erwarten“, erläuterte er, wobei er die Aufmerksamkeit darauf lenkte, dass im System der Dokumente für die strategische Planung „alles auf die Strategie für die nationale Sicherheit fokussiert ist“, deren neue Fassung im vergangenen Jahr bestätigt wurde. Nach Aussagen von Wladimir Putin würden dieses Dokument und die neue Fassung der bereits im Jahr 2000 verabschiedeten und mehrfach aktualisierten Konzeption für die Außenpolitik der Russischen Föderation zu einer „Roadmap“ für das Außenministerium sowie andere Ministerien und Institutionen werden.

Im Januar dieses Jahres hatte der Präsident der Russischen Föderation mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates den Entwurf der erneuerten Konzeption für die Außenpolitik erörtert. Entsprechend den Ergebnissen des Treffens wurde jedoch beschlossen, das Dokument zu überarbeiten. Fünf Monate später fand eine Tagung des Kollegiums des Außenministeriums statt, deren Teilnehmer Fragen behandelten, die die Aktualisierung der außenpolitischen Konzeption unter Berücksichtigung der Realitäten der sich in den vergangenen Monaten veränderten internationalen Situation betrafen. Als Antwort auf die am 24. Februar begonnene militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine habe der Westen unter Führung der USA einen totalen hybriden Krieg gegen Russland entfesselt, forciere die Lieferungen von Waffen an Kiew, übermittle ihm Aufklärungsdaten und werbe ausländische Söldner für eine Entsendung in die Ukraine an. Überdies hat auch eine massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten begonnen, deren Tätigkeit angeblich „den Sicherheitsinteressen“ der europäischen Länder und nicht nur dieser widerspreche (worauf Moskau mit gleichen Schritten reagierte – Anmerkung der Redaktion).

„Der aggressive revisionistische Kurs des Westens verlangt eine grundlegende Revision der Beziehungen Russlands mit den unfreundlichen Staaten und eine allseitige Verstärkung der anderen Richtungen der außenpolitischen Tätigkeit“, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums.

Und weitere fünf Monate später konstatierte Außenminister Sergej Lawrow, dass sich in der russischen Außenpolitik „eine geografische Umorientierung“ vollziehe, in deren Folge eine Bewahrung der bisherigen diplomatischen Präsenz in den Ländern des Westens als eine sinnlose aussehe. Bei einem Treffen am 18. Oktober mit Hochschulabsolventen, die in den diplomatischen Dienst übernommen wurden, sagte er: „Es hat keinen Sinn und es besteht kein Wunsch, die bisherige Präsenz in den westlichen Ländern beizubehalten. Unsere Leute arbeiten unter Bedingungen, die man schwerlich als menschliche bezeichnen kann. Man schafft ihnen ständige Probleme, Gefahren von physischen Übergriffen. (Und) das Wichtigste: Dort gibt es keine Arbeit, seitdem Europa beschlossen hat sich vor uns zu verschließen und jegliche wirtschaftliche Zusammenarbeit einzustellen. Gewaltsam wirst du nicht nett sein“.

Zu einer Antwort auf diese Situation wurde nach Aussagen des Ministers die außenpolitische Umorientierung vom „zügellosen und ausgebüxten Westen“ auf die sich entwickelnden Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. „Unter diesen Bedingungen werden wir das „Schwergewicht“ auf die Länder verlagern, die bereit sind, mit uns auf einer gleichberechtigten und gegenseitig vorteilhaften Grundlage zusammenzuarbeiten sowie perspektive gemeinsame Projekte zu suchen“, sagte Lawrow. Er wies jedoch nicht aus, ob diese Umorientierung eine Schließung von Botschaften und Konsulate, aber auch eine Reduzierung der Zahl der Diplomaten, die in den Ländern des Westens arbeiten, bedeute.

Allerdings sei auch so der Umfang des Personals der Botschaften Russlands ein minimaler, wie der stellvertretende russische Außenminister Jewgenij Iwanow erklärte, und in einer Reihe europäischer Länder „sind bereits keinerlei Mitarbeiter außer der Botschafter geblieben“. Daher „kann man dort schon nichts mehr reduzieren, nur wenn man gänzlich die Botschaften schließt“, fügte der Diplomat hinzu.

Derweil werden auch im Westen Stimmen laut, die zu einem Abbruch der Beziehungen mit Russland aufrufen. Am vergangenen Freitag (28. Oktober) erklärte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass Russlands Militäroperation (wortwörtlich: „Russlands Angriffskrieg“) in der Ukraine zu dessen „Epochenbruch“ mit Deutschland geführt, aber auch den Traum des ersten Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, vom „gemeinsamen Haus Europa“ zertrümmert hätte.

„Aber wenn wir auf das Russland von heute schauen, dann ist eben kein Platz für alte Träume“, sagte Steinmeier in seiner Rede an die Nation. Nach seinen Worten würden Moskau und Berlin heute gegeneinanderstehen. Obgleich die Periode, die dem Beginn der militärischen Sonderoperation vorausgegangen ist, eine „Epoche im Rückenwind“ für Deutschland gewesen sei.

Wenige Tage zuvor hatte die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Europa vorgeschlagen, die Formel „Sicherheit zusammen mit Russland“ endgültig durch die Formel „Sicherheit vor Russland“ zu ersetzen. Sie ist davon überzeugt, dass man die Ukraine im politischen, militärischen, humanitären und wirtschaftlichen Bereich unterstützen und Russland Paroli bieten müsse, selbst wenn Europa ein schwerer Winter erwarte und die Umfragen einen Rückgang der Ratings der europäischen Politiker ausweisen würden. Schließlich kämpfe die Ukraine nach Aussagen von Baerbock „nicht nur um sein Überleben, sondern auch für ein freies Europa“.

Zuvor hatte Putin gesagt, dass die Offiziellen Deutschlands „selbst bestimmen müssen, was für sie wichtiger ist – die Erfüllung irgendwelcher Bündnispflichten so, wie sie es sehen, oder die Gewährleistung der Interessen des eigenen Volkes, der eigenen nationalen Interessen“. Nach seinen Worten habe Berlin in der Situation mit der Ukraine die Pflichten gegenüber der NATO an erste Stelle gestellt, wofür jetzt „das Business und die Bürger zahlen“.

Und in seinem Auftritt bei der Plenartagung der 19. Jahreskonferenz des internationalen Diskussionsklubs „Valdai“ am 27. Oktober kritisierte Putin die „gefährliche, blutige und schmutzige“ Politik des Westens, wobei seine bereits bekannten Behauptungen verwendete und russische Klassiker zitierte. „Für den Westen ist eine „eine anhaltende Verblendung durch eine Überlegenheit“ charakteristisch“. Und dies alles erfolge nach wie vor. Sie „hält die Vorstellung aufrecht, dass sich alle ausgedehnten Gebiete auf unserem Planeten entwickeln und bis zu den heutigen westlichen Systemen nachentwickeln müssen“, zitierte der Kremlchef aus einer Rede von Alexander Solschenizyn, die dieser am 8. Juni 1978 vor Harvard-Studenten gehalten hatte.

Zur gleichen Zeit hätte sich Russland nach Aussagen Putins nie für einen Feind des Westens gehalten und halten sich nicht für solch einen, ungeachtet des aktuellen Konflikts. Nach seiner Meinung müsse man klar begreifen, dass es mindestens zwei Westen gebe. Der eine halte sich an die traditionellen, vor allem christlichen Werte, die Freiheit, den Patriotismus und eine überaus reiche Kultur. „Dieser Westen ist uns in etwas nahe. Wir haben in Vielem gemeinsame, noch antike Wurzeln“, sagte der Präsident.

„Es gibt aber auch einen anderen Westen, einen aggressiven, kosmopolitischen, neokolonialen, der als eine Waffe der neoliberalen Eliten auftritt. Gerade mit dem Diktat dieses Westens wird sich Russland natürlich niemals abfinden“, unterstrich Putin.

Solch ein Westen habe Russland zahlreichen politischen und wirtschaftlichen Restriktionen ausgesetzt. Beginnend ab dem 24. Februar hat die Europäische Union beispielsweise acht Sanktionspakete geschnürt und in Kraft gesetzt. Und jetzt prüft sie, was man noch tun kann, um die Lage Russlands zu erschweren. Exterritoriale Strafmaßnahmen können auch weiterhin gegen die Personen angewandt werden, die mit Sanktionen belegte russische Waren in die EU über dritte Staaten importieren, wobei sie deren wahres Herkunftsland verschleiern, oder gegen jene, die verbotene Waren in die Russische Föderation exportieren.

Im Rahmen der Umsetzung der Sanktionen sind in sieben EU-Ländern Akiva (Konten, Immobilien, Jachten u. a.) von 90 Bürgern Russlands mit einem Wert von über 17 Milliarden Euro eingefroren worden, teilte am 29. Oktober Didier Reynders, Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit der Europäischen Kommission, mit. Am 25. Oktober wurde Tschechien zum sechsten Land der Europäischen Union (nach Lettland, Litauen, Estland, Polen und Finnland), das für russische Touristen mit einem gültigen Schengen-Visum die Einreise untersagte – unabhängig davon, durch welchen EU-Staat es ausgestellt wurde.

Auf EU-Ebene ist es bisher nicht gelungen, solch radikale Visa-Restriktionen abzustimmen. Anstelle dessen hat die Europäische Kommission im September den Vorschlag Tschechiens, das in diesem Halbjahr gerade den Vorsitz in der EU innehat, bestätigt, die Geltung des Abkommens mit Russland über ein vereinfachtes Visa-Regime von 2006 auszusetzen. Folglich wird jetzt der Erhalt eines kurzfristigen Schengen-Visums durch Bürger Russlands mehr Zeit in Anspruch nehmen und um 45 Euro teurer. Dabei ist es fast unmöglich geworden, ein Mehrfach-Visum zu bekommen.

In der neuen, auch in der Vorwoche veröffentlichten Verteidigungsstrategie der USA, die vom Wesen her zu einer Fortsetzung der zwei Wochen zuvor vom Weißen Haus abgesegneten Strategie für die nationale Sicherheit wurde, ist Russland als eine „akute“ Gefahr im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine bezeichnet worden. Unter den möglichen Herausforderungen seitens Russlands erinnert man im Pentagon an nukleare, informationsseitige, Cyber- und Weltraum-Bedrohungen gegenüber den USA und den Verbündeten sowie die Gefahren eines Einsatzes chemischer und biologischer Waffen, aber auch von Flügelraketen großer Reichweite. In diesem Zusammenhang wird die Zusammenarbeit in Europa mit den NATO-Partnern und anderen Verbündeten verstärkt werden, um „die Führungsrolle der USA zu sichern, die Schlüsselmöglichkeiten zu erweitern und die funktionale Kompatibilität zu vertiefen“.

Aus diesem Grund beabsichtigt Washington, wie Vertreter der Vereinigten Staaten den NATO-Verbündeten bei jüngsten Treffen hinter verschlossenen Türen mitgeteilt hatten, modernisierte Atombomben vom Typ B61-12 bereits im Dezember nach Europa zu verlegen, obgleich anfangs die Stationierung für das kommende Frühjahr geplant wurde. Dieser Schritt bedeutet eine Ersetzung alter Waffen durch eine modernere Version in den Depots in Europa für einen potenziellen Einsatz durch Bombenflugzeuge der USA und deren Verbündeten. In diesem Zusammenhang erklärte Russlands stellvertretender Außenminister Alexander Gruschko (Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat derzeit zehn Stellvertreter – Anmerkung der Redaktion), dass die Modernisierung der nuklearen Fliegerbomben der USA in Europa sie aus einer Waffe zur Zügelung in eine Waffe, die man auf dem Gefechtsfeld einsetzen könne, verwandele.

Dabei verzichten die USA in solchen Fragen wie eine nukleare Zügelung nicht auf eine Diplomatie. In Washington signalisierte man Offenheit gegenüber solchen Verhandlungen mit Russland und China. Die Vereinigten Staaten beabsichtigen unter anderem, den Vertrag über Maßnahmen zum weiteren Abbau und zur Einschränkung der strategischen Offensivwaffen (START-3) zu erfüllen und Russland hinsichtlich dessen zu überprüfen, dass es diesem entspricht. Sie sind gleichfalls bereit, „operativ Gespräche über ein neues System zur Rüstungskontrolle zu führen, das START-3 ersetzen wird“.