Wie die „NG“ erfahren hat, ist im Ergebnis des sogenannten 1. Kongresses der Volksabgeordneten in Polen beschlossen worden, erneut zusammenzukommen. Das neue Forum ist zum 1. Jahrestag des Beginns der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine – zum 24. Februar 2024 – angesetzt worden. Die Oppositionellen verabschiedeten eine Reihe von Abschlussdokumenten, unter anderem über einen Prozess gegen Vertreter der russischen Offiziellen, einen Akt über eine Widerstandsbewegung usw. Zur gleichen Zeit unterbreiten ihre politischen Emigranten-Kollegen alternative Pläne. Das Forum für ein freies Russland kündigte eine neue Konferenz an. Die Nawalny-Anhänger kritisierten aber massiv die polnische Veranstaltung. Experten betonen, dass solch eine Konkurrenz eine objektive Ursache besitzt – das Ringen der oppositionellen Gruppen um ein Publikum im Ausland.
In Polen hat man den Kongress der Volksabgeordneten bilanziert, den linke Politiker organisiert hatten. Sie nahmen eine Reihe von wichtigen Dokumenten an. Unter ihnen über die Etablierung eines Protoparlaments (in Gestalt eines Kongresses an sich, „bis hin zur Annahme einer neuen Verfassung und zur Wahl eines legitimen ständigen Parlaments Russlands entsprechend ihren Bestimmungen“), aber auch den Entwurf eines Gründungsdokuments für eine Internationale antiautoritäre Union „zwecks Koordinierung der eigenen Anstrengungen zur Bekämpfung autoritärer und nichtdemokratischer Regimes“. Außerdem beabsichtigen die Organisatoren die Schaffung eines „speziellen internationalen Tribunals, das die höchste politische Führung Russlands verurteilen soll“. Eines der anschaulichen Abschlussdokumente ist auch ein Akt über eine Widerstandsbewegung. In dem Dokument heißt es, dass der Kongress der Volksabgeordneten „alle Formen eines Widerstands als den allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts anerkennt, unter anderem friedliche Protestaktionen, die Verbreitung wahrer Informationen, eine Menschenrechtstätigkeit und aufklärerische (Bildungs-) Arbeit sowie einen gewaltsamen Widerstand gegen die Willkür der Offiziellen“.
Einer der Hauptorganisatoren, der Ex-Abgeordnete der Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) von der Partei „Gerechtes Russland“, Ilja Ponomarjow (der in der Russischen Föderation als „ausländischer Agent“ abgestempelt wurde) erklärte bei der Bilanzierung: „Der Anfang ist gemacht worden. Und aus meiner Sicht ein sehr guter. Und man kann sagen, dass jenes Protoparlament, über das wir gesprochen haben, ganz bestimmt existiert. Wir haben noch einen Appell an die russische Opposition verabschiedet, dass „Jungs, lasst uns doch in Freundschaft leben“. Der Kongress nehme seine Nische ein. Er werde sich nicht in eine politische Partei und Organisation verwandeln, die sie für sich als eine konkurrierende halten könnten. Und als ein Standort, als eine Plattform und Protoparlament sollen da „100 Blumen blühen“ und wir warten sehr auf eine Teilnahme alle Übrigen an ihm“. Er bekundete die Vermutung, dass der zweite Kongress am Jahrestag des Beginns der militärischen Sonderoperation stattfinden könne. „Dies ist ungefähr gerade die Zeit, die gebraucht wird, damit die initiierten Gesetze durchgearbeitet und zur zweiten Lesung vorbereitet werden“, sagte er, wobei er daran erinnerte, dass dies auch noch der Jahrestag der Februarrevolution von 1917 sein werde. Und wahrscheinlich der Vorabend einer sehr heißen politischen Saison.
Derweil hat die Tätigkeit des Jabłonna-Kongresses Aktivitäten anderer Vertreter der außerparlamentarischen Opposition im Ausland ausgelöst. Beispielsweise hat das Forum für ein freies Russland, das seinen turnusmäßigen Kongress vom 31. August bis 2. September abgehalten hatte, eine neue Veranstaltung angekündigt, eine pazifistische Konferenz, die für den 30. November bis 1. Dezember in Vilnius geplant ist (obgleich weder ein Programm noch eine Tagesordnung für die künftige Veranstaltung bisher veröffentlicht worden sind). Aktiv geworden sind auch die Nawalny-Anhänger. Leonid Wolkow (in der Russischen Föderation als „ausländischer Agent“ gelabelt, aber auch ins Register von Terroristen und Extremisten der russischen Aufsichtsbehörde Rosfinmonitoring aufgenommen) hat in seinem jüngsten Internet-Programm den Kongress in Polen niedergemacht. Er betonte, dass von ihm geachtete Menschen an der Veranstaltung teilgenommen hätten, beispielsweise der Ex-Staatsduma-Abgeordnete Gennadij Gudkow und der Anwalt Mark Feigin (in der Russischen Föderation als „ausländischer Agent“ eingestuft und gegenwärtig in Kiew ansässig). Insgesamt aber sei die Veranstaltung eine prätentiöse gewesen. Und Ponomarjow sei nach seiner Meinung ein Kreml-Provokateur. Er hätte ja eine negative Rolle sowohl bei den Protesten der Bewegung „Weiße Bänder“ in den Jahren 2011-2012 als auch im Fall der Ereignisse auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz, aber auch bei der Zerstörung des Koordinierungsrates der Opposition im Jahr 2012 gespielt. „Diese Veranstaltung beeinflusst gar nichts und wird Russland der Zukunft in keiner Weise vorausbestimmen“, sagte der Nawalny-Vertreter.
Experten betonen, dass die Tätigkeit der Opposition vom realen politischen Leben losgelöst sei. Und tatsächlich würden die Oppositionellen um einen informationsseitigen Inhalt (Content) und das ausländische Publikum kämpfen. Daher würden sie Initiativen anschieben, die nicht realisiert werden könnten.
„Für die russische Realpolitik wäre die Veranstaltung als eine unbemerkte über die Bühne gegangen, wenn sie nicht machttreue Informationsressourcen beworben hätten – aus der Sicht dessen, wie gefährlich die außerparlamentarische Opposition ist“, sagte der „NG“ Konstantin Kalatschjow, Leiter der Politischen Expertengruppe. „Die Organisatoren an sich positionieren sich als radikale Revolutionäre. Tatsächlich aber geben sie den Turbo-Patrioten einfach Anlässe, sie als Agenten für eine westliche Einflussnahme und als eine „5. Kolonne“ zu bezeichnen. Denn es ist eine Sache, das Regime und den Präsidenten zu kritisieren, eine andere – die Interessen anderer Staaten zu propagieren. Ja, und im Milieu der Opposition an sich und der ihr nahestehenden Kreise hat diese Veranstaltung im Großen und Ganzen keine Billigung ausgelöst, da die Organisatoren eher wie Provokateure aussehen, die dazu aufrufen, die legalen Formen des politischen Kampfes zu vergessen und zu illegalen überzugehen. Dies gießt Wasser auf die Mühlen der Herrschenden, da es eine Waffe für die Propaganda gegen die Opposition überhaupt liefert. Es ergibt sich, dass die heutigen Vertreter der nicht zum System gehörenden Opposition vom Geist her als Nachahmer der Bolschewiken auftreten. Nicht ohne Grund waren ein Großteil der Kongress-Redner Vertreter, die aus linken Parteien hervorgekommen waren“.
Dabei betonte der Politologe: Selbst wenn angenommen wird, dass sich die Vertreter der außerparlamentarischen Opposition mit einer ernsthaften politischen Arbeit befassen, so kommst du nach dem Studium ihrer Deklarationen und Abschlussdokumente zu der Schlussfolgerung, dass alle von ihnen vorgeschlagenen Methoden und Handlungen schlicht und einfach nicht realisierbar sind. „Sicherlich wollen die Organisatoren des Kongresses den politischen Prozess der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wiederholen. Natürlich, die Bolschewiken hatte man auch für wenig perspektivreiche gehalten. Im Endergebnis sind sie aber an die Macht gekommen. Die Geschichte wiederholt sich aber zweimal – einmal in Gestalt einer Tragödie, das zweite Mal in Form einer Farce“, konstatierte Kalatschjow.
Da ergibt sich, dass die Tagesordnung des Kongresses und alle Deklarationen seiner Organisatoren in erster Linie nach außen gerichtet sind, das heißt, sich an ein westliches Publikum und die russischen Geschäftsleute in der Emigration richten. Die Oppositionellen sind der Auffassung, dass, wenn sie von radikalsten Positionen aus auftreten, sie mehr Aufmerksamkeit gewinnen werden. Und folglich auch Sponsoren. Dies aber lässt andere oppositionelle Gruppen aufhorchen. „Es gibt solch eine Arbeit – Berufsrevolutionäre. Damit befassen sich auch die Vertreter unserer außerparlamentarischen Opposition im Ausland. Und gerade mit Sponsorengeldern leben sie und befassen sich mit einer politischen Tätigkeit. Die Sache ist aber die, dass es viele russische emigrierte Oppositionspolitiker gibt. Und der westliche „Finanzkuchen“ ist einer, und der muss geteilt werden. Daher spitzt sich die innere Konkurrenz zu. Und dies gereicht der Opposition nicht zum Nutzen“, merkte Kalatschjow an.