In Kasachstan finden am 20. November vorgezogene Präsidentschaftswahlen statt, an den sechs Kandidaten teilnehmen werden. Neben dem amtierenden Staatsoberhaupt Qassym-Shomart Tokajew sind die übrigen fünf Teilnehmer – drei Frauen und zwei Männer – selbst in der Republik wenig bekannte Vertreter der Öffentlichkeit. Der Gewinner wird das höchste Staatsamt die kommenden sieben Jahre bekleiden können. Das Gesetz über die neue Präsidentenamtszeit ist am Donnerstag, dem 17. November in Kraft getreten. Die Wahlen erfolgen ohne einen Einfluss von Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew. Ihr Hauptzweck besteht im Erhalt eines Vertrauensmandats und der Festigung der Positionen von Tokajew.
Ende letzter Woche, am 12. November fanden die in der gesamten Geschichte der Unabhängigkeit von Kasachstans dritten TV-Debatten der Kandidaten für das Amt des Landespräsidenten statt. Die ersten hatten am 17. November 2005 stattgefunden. Kandidat Nr. 1 – Nursultan Nasarbajew – hatte an ihnen nicht teilgenommen. Und keiner hatte ihn vertreten. Die zweiten erfolgten am 29. Mai 2019. Dies war eher ein Treffen der Leiter der Wahlkampfstäbe gewesen. Freilich, drei der sieben Kandidaten repräsentierten damals die Leiter ihrer Wahlkampfstäbe. Und nun die dritten — am 12. November, live aus dem Kazmedia Center in der Hauptstadt Astana wie die englischsprachige Zeitung „The Astana Times“ berichtete (https://astanatimes.com/2022/11/televised-presidential-debate-in-kazakhstan-addresses-candidates-campaign-platforms/). Eine fesselnde Show ist es auch dieses Mal nicht geworden, für die im Übrigen die Zentrale Wahlkommission 60 Millionen Tenge (umgerechnet etwa 136.200 US-Dollar) ausgegeben hatte. Der Hauptfavorit der Wahlen, der Kandidat Qassym-Shomart Tokajew, hatte an der 100-minütigen Show nicht teilgenommen. Ihn vertrat der Leiter seines Stabes, der Vorsitzende der Maschilis (das Unterhaus des kasachischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), Jerlan Koschanow.
Experten betonten, dass nur Jerlan Koschanow und Saltanat (andere Schreibweise: Soltanat) Tursynbekowa Schlüsselmomente ihrer Programme in beiden offiziellen Staatssprachen – in Kasachisch und Russisch – vorgestellt hatten. Andrej Tschebotarjow, Direktor des Zentrums für aktuelle Studien „Alternative“, schrieb im Messenger Telegram, das Karakat Abden, Shiguli Dayrabajew und Nurlan Auesbajew ihre Programme in einer Staatssprache vorgestellt hatten.
Bei der ersten von ihnen hängt dies mit der offenkundigen ethno-zentristischen Tonart des Dokuments zusammen. Die Vorsitzende der Landwirte-Vereinigung Dayrabajew hatte allem nach zu urteilen auf maximale Weise ihren Auftritt an die Dorfbewohner gerichtet, die in der überwiegenden Mehrheit durch den kasachischen Ethnos vertreten werden. Warum ihrem Beispiel der Kandidat von der oppositionellen Gesamtnationalen Sozialdemokratischen Partei gefolgt war, ist schwer zu sagen. Zumal diese Partei hauptsächlich in den Städten handelt, wo in dem einen oder anderen Maße ein zweisprachiges Milieu zu beobachten ist. Schließlich hatte Meiram Kashyken die Thesen seines Programms in russischer Sprache vorgetragen. In seinem Fall dominiert die Ausrichtung auf die Bürger, die in der Industrieproduktion tätig sind.
Die Aufmerksamkeit der Fernsehzuschauer erregte der Auftritt des bevollmächtigten Vertreters von Tokajew, Jerlan Koschanow. Er verteilte Versprechen im Namen von Tokajew – er verkündete eine gnadenlose Korruptionsbekämpfung, verhieß, über drei Millionen Menschen mit einem Job zu versorgen, aber auch komfortable Bedingungen für die Entwicklung des Kleinunternehmertums und den Mittelstand zu schaffen. „Qassym-Shomart Tokajew sagte, dass er mit Herzblut dieses Programm geschrieben hatte. Und wir hoffen, dass es in den Herzen aller Kasachstaner ein Echo finden wird“, unterstrich Koschanow. Nach seinen Worten würden innerhalb von sieben Jahren 111 Millionen Quadratmeter Wohnraum gebaut werden würden. Und dies werde vor allem für junge Familien getan. Geschaffen werden komfortable Bedingungen für die Entwicklung des Business, verabschiedet werde ein neuer Steuerkodex „mit einer gerechten und vorhersehbaren Besteuerung“. Insgesamt werde nach seinen Worten das politische System des Landes grundlegend umgestaltet, gewährleistet werde eine objektive Justiz, systematisch würden die sozialen Fragen gelöst werden, der Mangel an Kindergärten, Schulen und Wohnheimen werde der Vergangenheit angehören. Das Programm „Neues Kasachstan“ von Tokajew sei gestartet worden.
Die übrigen Kandidaten kritisierten während der TV-Debatten mehr die Programm der Konkurrenten, wobei sie mitunter sogar persönlich wurden. So bezeichnete Meiram Kashyken das Programm von Saltanat Tursynbekowa als ein „populistisches“. Sie erwiderte, dass ihn überhaupt keiner kennen würde. „Wer sind Sie, Herr Kashyken, und wer steht hinter Ihnen?“ fragte sie. Es hatte auch andere Spitzen gegeben, wobei die auch von Zuschauern gekommen waren, die gleichfalls ihre Fragen stellen konnten. Wie der Politologe Talgat Kalijew anmerkte, sei für die Gesellschaft, die Jahrzehnte einer politischen Konservierung durchgemacht hat, jegliches öffentliches Ereignis ein markantes. „Aus dieser Sicht kann man die Debatten als ein Barometer für den Zustand des Systems ansehen. Man darf sie sich nicht durch das Prisma „gefallen – nicht gefallen“ ansehen, da ihr Verlauf vom Temperament der Teilnehmer abhängt. Sie erlauben aber, die Fähigkeit der Kandidaten für eine öffentliche Politik zu bewerten“, betonte Kalijew.
Es entstand der Eindruck, dass das Ziel der Debatten war, den „Favoriten“ des Rennens „ins richtige Licht zu setzen“ und die Sparringspartner in den Schatten zu stellen, die nicht zu überzeugen wussten. „Auszumachen waren auch Bestrebungen nach einem Hype. Der eine oder andere verwechselte die Debatten mit Polemik, war bestrebt, den Opponenten „absaufen“ zu lassen. Dies sind aber schon Wachstumskrankheiten, die unsere Gesellschaft überstehen muss. Das Wichtigste besteht darin, dass die nächsten Präsidentschaftswahlen unter gleichen Kandidaten erfolgen, bei einem Ausbleiben eines offenkundigen Favoriten stattfinden werden. Heute aber haben wir zu lernen, eine Wahl zu treffen“, schrieb Kalijew in seinem Telegram-Kanal.
Experten sind der Auffassung, dass die Wahlbeteiligung eine geringe sein werde, da es um keinen Machtwechsel, sondern eher um den Erhalt eines zusätzlichen Vertrauenskredits für das heutige kasachische Staatsoberhaupt gehen werde. Obgleich nach Meinung von Andrej Tschebotarjow die Wahlbeteiligung auf dem gleichen Stand sein werde, wie auch beim Juni-Referendum. Und unter Berücksichtigung dessen, dass es im Gesetz „über die Wahlen“ keine Mindestwahlbeteiligung gibt, wird Tokajew einen zusätzlichen Vertrauenskredit erhalten, für den im Grunde genommen auch die vorgezogenen Wahlen initiiert wurden.
Es sei daran erinnert, dass Tokajew bei den Wahlen 2019 70,96 Prozent der Wähler unterstützt hatten. Und beim Referendum im Juni 2022 hatten für das von ihm vorgeschlagene Paket von Verfassungsänderungen 77 Prozent derjenigen gestimmt, die in die Abstimmungslokale gekommen waren.
Es ist möglich, dass die Wahlen des Präsidenten Kasachstans im Jahr 2029 unter neuen Bedingungen erfolgen werden und der Kampf um das höchste Staatsamt gleichberechtigt und fair wird. Obgleich, bis zu diesem Zeitpunkt kann die Gesetzgebung neue Veränderungen erleben.
Post Skriptum
Wie das Qogamdyq Pikir (Meinungs-) Forschungsinstitut auf der Grundlage einer vom 4. bis 6. November vorgenommenen Umfrage mitteilte, seien 71,6 Prozent der Wahlberechtigten bereit, am kommenden Sonntag an die Wahlurnen zu gehen. Die Soziologen aus Astana ermittelten gleichfalls, dass der amtierende Präsident Tokajew 78,8 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten könne.