In die Staatsduma ist eine Gesetzesvorlage über die Anwendung der Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) in den neuen Subjekten der Russischen Föderation eingebracht worden. Die Integration im Gerichtswesen und auf dem Gebiet der Rechtsschutzorgane wird keine rasche sein. Geschworenengerichte werden beispielsweise dort erst ab dem Jahr 2027 auftauchen. Dabei ist festgehalten worden, dass die Integration Nuancen aufweisen wird. Beispielweise werden die in den Donbass-Republiken bis zum 30. September eingeleiteten Strafverfahren fortgesetzt. In den Regionen von Nord-Taurien (die Verwaltungsgebiete Saporoschje und Cherson) wird eine vorherige Beurteilung der Materialien durch die Staatsanwaltschaft eingeführt. Somit wird die offenkundige Unterteilung der durch Russland erworbenen Territorien in zwei Kategorien bestätigt. Beispielsweise steht die Frage: Für wen ist ein Mechanismus zur Befreiung prorussischer Aktivisten von Bestrafungen für Verbrechen gegen die Ukraine aktueller – für Saporoschje und Cherson oder für Donezk und Lugansk.
Die Gesetzesvorlage ist durch die Ausschussvorsitzenden für Staatsaufbau und Verfassungsgesetzgebung des Föderationsrates und der Staatsduma (das Ober- und das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), Andrej Klischas und Pawel Krascheninnikow (beide von der Kremlpartei „Einiges Russland“), unterschrieben worden. Und dies kann man als eine blitzartige Reaktion auf den Auftrag des Präsidenten bezüglich einer schnellstmöglichen Etablierung russischer Gerichte in den Donbass-Republiken DVR und LVR sowie in den Verwaltungsgebieten Saporoschje und Cherson ansehen. Wenn jedoch strukturell dort Gerichte auch recht bald etabliert werden, so wird es verständlicherweise nicht gelingen, rasch eine vollkommene Reinheit der Rechtsprechung ohne irgendwelche ukrainischen Beimischungen zu erreichen. Vom Prinzip her erläutert das Dokument auch aufgrund welcher Ursachen, wobei es Regeln für eine Übergangsperiode festlegt und auf deren Nuancen verweist.
Am 29. November hatte der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, bei seinem Auftritt beim X. Allrussischen Richter-Kongress an die Ergebnisse der Referenda im Donbass und in Nordtaurien erinnert und solch eine Aufgabe gestellt: „Auf diesen Territorien ist die Bildung föderaler Gerichte vorgesehen. Dem Obersten Gericht steht gemeinsam mit den anderen Organen der Gerichtscommunity eine große Arbeit zur Etablierung neuer Zusammensetzungen der Gerichte und deren baldigen Integration in das russische Gerichtssystem bevor“. Er unterstrich, dass nicht nur eine Auswahl aller Gerichtskader anstehe, sondern auch Maßnahmen zur materiell-technischen Absicherung der Arbeit der Gerichte. „Und dies muss man innerhalb maximal kürzester Fristen tun, damit den Bürgern, die auf diesen Territorien leben, das Verfassungsrecht auf einen gerichtlichen Schutz garantiert wird“, erklärte Putin.
Aus dem Klischas-Krascheninnikow-Entwurf ergibt sich, dass das Recht auf solchen einen Schutz vorerst kein vollständiges sein wird. Gemeint ist der Artikel 7 des Dokuments, in dem bis zum 01. Januar 2027 die Bestimmungen der StPO vertagt werden, die die Handlung der Geschworenengerichte sowohl in den regionalen als auch Kreisgerichten regeln. Einerseits ist dies eine Methode, die auf der Krim erprobt wurde. Sie war im März 2014 in den Bestand der Russischen Föderation aufgenommen worden, doch die Schöffen-Gerichtskollegien wurde erst Ende 2017 auf der Halbinsel gebildet, damit im Verlauf des Jahres 2018 Geschworene auf allen Ebenen der Gerichte auftauchten. Für die vier neuen Regionen ergibt sich aber ein noch größerer Zeitaufschub. Und wenn klar ist, dass außer einer technischen Vorbereitung zur Einführung dieses Instituts die gesellschaftlichen Stimmungen bis zum nötigen Zustand gebracht werden müssen – und diese kontrollieren die Offiziellen selbst in der Russischen Föderation nicht sehr gut -, so ist unklar, warum nicht hinsichtlich der Bildung von Geschworenengerichten für das eine oder andere Territorium eine gesonderte Herangehensweise angewandt wird?
Aber in dem Gesetzentwurf wird gerade solch eine Herangehensweise hinsichtlich der verschiedenen Aspekte der Rechtsanwendung festgelegt. Wie im Erläuterungsschreiben zum Dokument erklärt wurde, „wird zur Vermeidung einer rechtlichen Nichtregelung in diesem Bereich vorgeschlagen, die Bestimmungen des Entwurfs des föderalen Gesetzes auf die Rechtsbeziehungen anzuwenden, die mit Taten verbunden sind, die bis zum 30. September 2022 auf den Territorien der DVR und LVR sowie des Verwaltungsgebietes Saporoschje und des Verwaltungsgebietes Cherson begangen wurden“. Donezk und Lugansk werden jedoch mit einer größeren Geschwindigkeit als Saporoschje und Cherson in die Russische Föderation integriert.
Hinsichtlich der ersten beiden wird beispielsweise solch eine Ordnung eingeführt: „Die Durchführung einer Voruntersuchung von Verbrechen, deren Strafverfahren sich bis zum 30. September 2022 in der Bearbeitung der Organe für die Voruntersuchung der DVR und LVR befanden, werden entsprechend den Anforderungen der StPO der Russischen Föderation fortgeführt“.
In den übrigen zwei Regionen erweisen sich die Regeln für die Rechtsprechung nicht als solche bestimmten: „Die Materialien, zu denen die vorgerichtliche Untersuchung der Taten, die Merkmale von Verbrechen enthalten, nicht bis zum 30. September 2022 abgeschlossen wurde (unabhängig von der Staatsbürgerschaft der Person, die der Verübung der jeweiligen Straftat verdächtigt wird), werden an einen Staatsanwalt zwecks Bestimmung der Art der strafrechtlichen Verfolgung und Zuständigkeit entsprechend der StPO der Russischen Föderation übergeben“. Und erst dann – und nicht sofort wie in der DVR und der LVR – werden sich die Untersuchungsbeamten mit einer Beurteilung der Beweise befassen, die in den vor den Referenda eingeleiteten Verfahren enthalten sind. Unterscheiden werden sich auch die Modalitäten für die Bestimmung (bzw. Berechnung) der unterschiedlichen prozessualen Zeiträume, die Prozedere für eine Einstellung von Fällen usw. Es ist verständlich, dass klar ausgewiesen worden ist, dass es keine Wende zu Schlechterem geben kann, das heißt – keine Revision von Zeiträumen für ein Gutachten oder Festlegung von längeren als durch die ukrainische Gesetzgebung vorgesehen war.
Durch den Gesetzentwurf wird eine interessante Prozedur eingeführt, die im Fall der Integration der Krim in der Russischen Föderation entweder nicht eingeführt wurde oder zu keiner aktuellen geworden war. Gemeint ist die Notwendigkeit einer Untersuchung hinsichtlich der Einwohner der neuen Regionen, die die ukrainischen Behörden und Gerichte wegen Straftaten sozusagen im Interesse der Russischen Föderation verfolgten. Das Erläuterungsschreiben deklariert: „Eingeführt wird eine Bestimmung, der entsprechend die Tat nicht als eine kriminelle und strafbare anerkannt wird, die auf dem Territorium des neuen Subjekts der Russischen Föderation bis zum 30. September 2022 begangen wurde, wenn sie auf einen Schutz der Interessen der Russischen Föderation oder dieser Subjekte ausgerichtet war“. In der Gesetzesvorlage ist dem der Artikel 9 gewidmet. Der Verurteilte oder Angeklagte oder sein Verteidiger können sich an ein Gericht mit dem Antrag auf Aufhebung der früheren Entscheidungen wenden. Sie müssen bestätigende Materialien vorlegen. Es wird aber nicht präzisiert, welche genau. Und das Gericht wird sie beurteilen, obgleich nichts gesagt wird, wie dies praktisch realisiert werden wird.
Es ist klar, dass in den Gefängnissen und U-Haftanstalten auf den neuen Territorien wohl kaum prorussische Aktivisten geblieben sind. Sie haben die ukrainischen Behörden wahrscheinlich schon längst von dort weggebracht oder gar… Folglich ist es offensichtlich, dass es um die Möglichkeit für eine nicht geringe Anzahl von Menschen geht, sich des Labels „Vorbestraft“ zu entledigen. Für die DVR ist dieser Mechanismus jedoch vorerst nicht aktuell. Die Hälfte der Republik wird von der Russischen Föderation nicht kontrolliert. Für die LVR ist dies aber eine Arbeitsnorm. Und hinsichtlich von Saporoschje und Cherson steht die große Frage: Sind denn dort unter den gegenwärtigen Bedingungen diese Rehabilitierungsmechanismen überhaupt schon notwendig?