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Kiew und Moskau streiten erneut um einen Sonderstatus für den Donbass


Für den 8. Juli ist eine erneute Verhandlungsrunde der trilateralen Minsker Kontaktgruppe zur Konfliktregelung im Donbass geplant. Und bis zum 6. Juli, wie einige deutsche Medien meldeten, erwartet die russische Seite Vorschläge von der ukrainischen zur Verankerung eines Sonderstatus für den Donbass. In Kiew behauptet man, dass solch eine Forderung nicht laut geworden sei. 

Die Missverständnisse begannen nach einem am 3. Juli in Berlin stattgefundenen Treffen. Die russische Delegation hatte bei ihm der stellvertretende Leiter der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitrij Kosak, geleitet. Die ukrainische – der Vizepremier für Fragen der Konfliktregelung und stellvertretende Leiter der Delegation bei den Minsker Verhandlungen, Alexej Resnikow. Nach Berlin war aber auch Andrej Jermak, der Chef des Office des ukrainischen Präsidenten, gekommen. 

Die Verhandlungen dauerten elf Stunden. Nach ihrem Abschluss charakterisierte Jermak die Unterredung als positiv, wobei er sagte, dass die Begegnung „die Durchführung eines Gipfels“ (der Spitzenvertreter der Russischen Föderation, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs – Anmerkung der Redaktion) um einen Schritt nähergebracht habe. Bekanntlich haben sich die Spitzenvertreter der Staaten der „Normandie-Vier“ erstmals seit 2016 wieder am 9. Dezember 2019 in Paris getroffen. Angenommen wurden eine Reihe erstrangiger Beschlüsse im Zusammenhang mit der Konfliktbeilegung, deren Umsetzung die Seiten beim nächsten geplanten Treffen – im April dieses Jahres in Berlin – erörtern wollten. Das April-Treffen fand jedoch aufgrund der Pandemie, aber auch aufgrund gegenseitiger Forderungen der Ukraine und Russlands hinsichtlich Fragen der Umsetzung der Pariser Vereinbarungen nicht statt.  

Daher haben die Verhandlungen der außenpolitischen Berater theoretisch den Seiten erlaubt, scharfe Ecken und Kanten zu glätten. Dmitrij Kosak betonte laut einer TASS-Meldung, dass es am 3. Juli „gelungen ist, sich hinsichtlich der Frage nach einem Komplex zusätzlicher Maßnahmen zur Einstellung der Kampfhandlungen im Donbass anzunähern“. Zu einem Durchbruch ist es aber bei den Verhandlungen nicht gekommen. Und über ein Treffen der Staats- und Regierungschefs im Normandie-Format zu sprechen, sei „vorerst sehr, sehr früh“. Kosak betonte, dass von der Ukraine gefordert werde, „dutzende unterschiedliche Gesetze, die man nicht nur mit dem Donbass ausarbeiten, sondern auch abstimmen muss, was auch nicht einfach ist“, zu verabschieden. 

Das deutsche Magazin „Der Spiegel“ meldete unter Berufung auf gewisse Arbeitsdokumente der russischen Delegation, dass eines der Dokumente, die die Russische Föderation angeblich von der Ukraine erwarte, ein Entwurf von Änderungen an der ukrainischen Verfassung sei, durch die ein Sonderstatus für den Donbass verankert werden würde. Laut Angaben der gleichen Quellen müsse dieser Entwurf schon in dieser Woche in Minsk vorgelegt werden. 

Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij bestätigte als Antwort auf eine entsprechende Journalistenfrage nicht diese Information: „Erstens, keiner kann von der Ukraine etwas verlangen. Wir sind ein unabhängiges Land. Mir scheint, dass hier alle an der Rhetorik arbeiten müssen. Zumal dies bereits eine internationale Rhetorik ist“. Am Samstag und Sonntag befanden sich der Präsident und der Chef seines Office auf einer Arbeitsreise in Odessa und im Verwaltungsgebiet Odessa. Selenskij sagte, dass er es am Samstag nicht geschafft hätte, mit Jermak, der aus Berlin zurückgekehrt war, alle Einzelheiten der Verhandlungen zu erörtern. „Ich weiß, dass das Treffen sehr gut und sachlich verlief. Mehr kann ich bisher nicht kommentieren“.

Derweil tauchten auf der Internetseite des Präsidenten der Ukraine offizielle Informationen darüber auf, wozu die außenpolitischen Berater gelangten: „Die Vereinbarungen des Pariser Gipfels der Spitzenvertreter der Teilnehmerstaaten des Normandie-Formats müssen erfüllt werden. Die Ukraine, aber auch ihre Partner im Normandie-Format – Frankreich und Deutschland – demonstrierten die Bereitschaft, dafür ein Maximum an Anstrengungen aufzubieten“. Mitgeteilt wurde gleichfalls, dass die russische Seite „eine Pause zwecks Vorbereitung einer Antwort auf die konsolidierte Haltung der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands genommen hat“. 

Der ukrainische Politexperte Wladimir Wolja, den das Internetportal „Strana“ („Das Land“) zitierte, betonte, dass die offizielle Mitteilung „wie irgendein Rapport über einen Sieg in Berlin aussieht… Es ergibt sich der Eindruck, dass alle drei (Frankreich, Deutschland und die Ukraine) Russland so bedrängten, dass sie es in eine Sackgasse trieben und es eine Pause nahm“. Tatsächlich aber versuche das Selenskij-Team nach Auffassung von Wolja, Staub in die Augen zu streuen, „um die Tatsache zu verschleiern, dass die von Jermak unterbreitete Strategie in eine ausweglose Sackgasse geraten ist“.

In Kiew begreift und bewertet man auf unterschiedliche Art und Weise die Pläne zur Beilegung des Donbass-Konflikts. So hatte man früher den Chef des Präsidenten-Office aufgrund der Absicht, im Rahmen der Minsker Verhandlungsgruppe einen Konsultationsrat zur Konfliktregelung zu bilden, und wegen anderer Ideen kritisiert, die nach Meinung der Opposition zur Anerkennung der Donezker und Lugansker Volksrepublik und zu den Versuchen, den Republiken einen Sonderstatus einzuräumen, führen würden. Jermak selbst hat mehrfach derartige Vermutungen zurückgewiesen und gesagt, dass eine politische Regelung (einschließlich der Abhaltung von Wahlen zu den kommunalen Machtorganen und der Ausstattung der neuen Machtorgane mit umfangreichen Vollmachten) erst nach Erfüllung der Punkte möglich werde, die mit der Gewährleistung der Sicherheit zusammenhängen. Das heißt, die Haltung der Ukraine unter Selenskij ist genau solch eine geblieben wie auch unter Petro Poroschenko: zuerst Sicherheit (einschließlich der Rückerlangung der Kontrolle über die Grenze mit der Russischen Föderation durch die Ukraine), dann die Klärung der politischen Fragen. 

Doch auch die Haltung Russlands ist eine unveränderte geblieben, betonte Wladimir Wolja. „Die Worte von einer Pause (hinsichtlich der Ergebnisse der Verhandlungen der außenpolitischen Berater – Anmerkung der Redaktion) sind nicht mehr als eine diplomatische Höflichkeitsgeste, die die Unveränderlichkeit der Position bedeutet, die Unmöglichkeit einer Änderung der Position“. Die russische Seite hat mehrfach Kiew aufgerufen, direkte Verhandlungen mit Donezk und Lugansk aufzunehmen, um die Frage nach der Gewährung eines Sonderstatus für die Republiken zu erörtern. Die ukrainische Führung schließt aber die Möglichkeit solcher Verhandlungen aus. 

Experten erklären, dass bisher kein Ausweg aus der Donbass-Sackgasse auszumachen sei. Derweil zitieren die Medien ein Statement des ersten Premierministers der Donezker Volksrepublik, von Alexander Borodai, der bei einem Kongress der russischen Partei „Rodina“ („Die Heimat“) sagte: „Ich bin sicher, dass die Donbass-Republiken in relativ kurzer Zeit bereits nicht de facto zu einem Teil der Russischen Föderation (de facto sind sie bereits ein Teil der Russischen Föderation), sondern auch de jure zu solchen werden“.   

Vitalij Kulik, Direktor des Zentrums für Forschungen auf dem Gebiet der Probleme der Zivilgesellschaft, betonte in einem Blog auf der Internetseite „Zensor.net“, dass in der sich herausbildenden Situation „die Versuche, die Problematik einer sicheren Reintegration auf eine standardmäßige Beschreibung von Schritten zur Wiederherstellung der Souveränität über die okkupierten Territorien – zu großer Optimismus sind, den wir uns heute wohl kaum erlauben können. Jene militärpolitischen Drohungen, die zum gegenwärtigen Moment direkt oder indirekt durch den Gegner demonstriert werden, verlangen eine andere Vorgehensweise“. Er betonte, dass viele Analytiker in Kiew den Herrschenden empfehlen, zur Idee einer Revision der Minsker Abkommen zurückzukehren. „Schließlich kann dieses Dokument eindeutig kein Rahmen für den Übergang zu einer friedlichen Regelung und Beendigung des Konflikts sein, weil in erster Linie die Seiten der militärischen Konfrontation nicht richtig durch den Wortlaut des Dokuments bestimmt worden sind.“ Kulik erinnerte daran, dass die Minsker Vereinbarungen selbst die Hauptaufgabe nicht erfüllt hätten, für die sie formuliert worden waren. Das Feuer im Donbass ist nach wie vor nicht vollkommen eingestellt worden. Kulik lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass das Setzen der Akzente heute ein gänzlich anderes sei. „Anstelle der Versuche, das Prinzip „Sicherheit geht vor“ zu verteidigen, haben wir es mit einem Verwaschen der Reihenfolge der Schritte und dem verzweifelten Wunsch zu tun, vom Ende her zu beginnen, das heißt mit einer Erörterung der Gesetze, die den politischen Rahmen für die Rückkehr einzelner Kreise der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk (in den Bestand der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) regeln.“  https://www.ng.ru/cis/2020-07-05/1_7902_ukraine.html