In Astana behandelten am 28. Dezember bei einer Tagung des Unterhauses des Parlaments die Abgeordneten die Aufhebung des Gesetzes „Über den ersten Präsidenten – Jelbasy“. Diktiert wurde dies durch die Notwendigkeit der Umsetzung jener Verfassungsänderungen, die entsprechend den Ergebnissen des Referendums vom 5. Juni 2022 am Grundgesetz der Republik vorgenommen wurden. Somit wird Nursultan Nasarbajew endgültig alle Privilegien und möglicherweise die Unantastbarkeit.
Es sei daran erinnert, dass beinahe zum wichtigsten Punkt der Verfassungsänderungen die Aberkennung faktisch aller Vollmachten für Nursultan Nasarbajew wurde. Fixiert bleibt lediglich seine Rolle bei der Schaffung des heutigen Kasachstans. Der erste Landespräsident an sich hatte beim Referendum ebenfalls abgestimmt und – wie er erklärt hatte – vollkommen die von seinem Nachfolger Qassym-Schomart Tokajew vorgeschlagenen Änderungen am Grundgesetz unterstützt. Dies sah nach Meinung des Politologen Arkadij Dubnow wie ein gewisser Deal aus, der den heutigen Herrschenden angeboten worden war – „ich überlasse Ihnen einen Teil meiner nächsten Umgebung, darunter der „Familie“ (des Nasarbajew-Clans – Anmerkung der Redaktion), und eventuell gar einen Teil der riesigen finanziellen und materiellen Ressourcen, die sich unter ihrer Kontrolle befinden, und Sie garantieren mir, einen Platz in der Geschichte zu bewahren“.
Im Verlauf eines halben Jahres behandelte der Verfassungsrat die Änderungen am Gesetz, und sie sollten, wie zuvor der Vorsitzende der Maschilis (des Unterhauses) des Parlaments, Jerlan Koschanow, gegenüber Journalisten versprach, bis zum Jahresende verabschiedet werden.
Den Prozess hatten die Abgeordneten des Unterhauses von der Fraktion der regierenden Partei „Amanat“ Jerlan Sairow, Aidos Sarym und Shanarbek Aschimshanow beschleunigt. Sie hatten ein Dokument eingereicht, durch das der Vorschlag eingebracht wurde, die Gültigkeit des Verfassungsgesetzes „Über den ersten Präsidenten – Jelbasy“ vom 20. Juli 2000 aufzuheben. Die Maschilis votierte für diesen Vorschlag, wobei deren Vorsitzender Jerlan Koschanow gegenüber Journalisten erläuterte: „Das Gesetz wird vollkommen im Januar des neuen Jahres ungültig werden“. Die Frage werde bei einer gemeinsamen Tagung beider Parlamentskammern behandelt werden. Verfassungsgesetze werden in Kasachstan so erörtert.
Die Aufhebung des Gesetzes wird dem ersten Präsidenten der Republik, Nursultan Nasarbajew nicht die Immunität nehmen. Sie wird nach wie vor durch die Verfassung garantiert. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Da es eine derartige Anfrage im Parlament gibt, bedeutet dies, dass es eine Unterstützung der Administration des Präsidenten gegeben hat. „Ohne eine Unterstützung die Initiative von Volksvertretern anzunehmen, wäre nicht allzu sehr gerechtfertigt, wenn man die Qualität des Abgeordneten-Korps und dessen Grad an Eigenständigkeit kennt“, sagte der „NG“ Andrej Grosin, Leiter der Mittelasien- und Kasachstanabteilung des Instituts für die GUS-Länder und wissenschaftlicher Oberassistent am Institut für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften. Eine andere Frage sei, dass diese Anfrage recht unbestimmt aussehe. Tokajew hatte mehrfach gesagt, dass man das Erbe des ersten Präsidenten achten müsse, dass man die Größe des Beitrags begreifen müsse, den er zur Herausbildung der Unabhängigkeit des Landes geleistet hätte. „Dies belegt, dass der zweite Präsident eine Kontinuität braucht. Daher ist es gefährlich, das Erbe des ersten Präsidenten abzuschreiben, der Tokajew zum zweiten Präsidenten gemacht hat. Da man so mit dem Vater, dem Begründer der kasachischen Staatlichkeit vorgeht, ergibt sich erstens die Frage nach der Qualität dieser Staatlichkeit. Und zweitens, was weitaus wichtiger ist: Wie wird mit Tokajew selbst vorgehen, wenn er aufhört, Präsident zu sein“, betonte der Experte. Nach seiner Meinung sei dies eine Wiederholung der kirgisischen Spiele, wo sich jeder neue Präsident, der auf der Welle eines neuen Staatsstreichs an die Macht gekommen ist, vom vorherigen distanziert, wobei er ihn aller Todsünden bezichtigt. Im Ergebnis dessen leben zwei kirgisische Ex-Präsidenten im Ausland, ein dritter ist im Gefängnis. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Strafverfahren auch gegen den vierten eingeleitet wird, wenn man anhand dessen urteilt, wie die Untersuchungen gegen Mitglieder seiner Familie verlaufen. „Dies bringt eine kurzfristige Wirkung für die Bestätigung des amtierenden Staatschefs als einziges Zentrum der Stärke, aber diese Wirkung endet schnell. In der kasachischen Gesellschaft besteht ein Bedürfnis nach einer sogenannten De-Nursultanisierung“, sagte Grosin.
Aber eine Reihe von Vertretern der Öffentlichkeit Kasachstans bereiten eine „Überraschung“ für Nasarbajew und sein Umfeld vor. So schlägt die in der Republik gebildete Stiftung „Elge qaitaru“ für ein Zurückholen des ins Ausland gebrachten Kapitals vor, eine ökonomische Lustration durchzuführen und einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, in dem die Tatsache einer Machtusurpation konkret durch Nursultan Nasarbajew ab dem 13. Dezember 1993 (dies war der Tag der ersten Parlamentsauflösung) bis einschließlich 5. Januar 2022 anerkannt werden soll. Dies erklärte in einem Interview für die Sendung „Hyperborea“ der Gründer der Stiftung, Orasaly Jershanow. „Dafür muss man ehrliche Wahlen für das Parlament durchführen, das aus realen Vertretern des Volkes bestehen muss. Die Abgeordneten müssen eine Kommission bilden, der die ökonomische Lustration obliegen wird“, sagte Jershanow, wobei er seine Liste von einem Dutzend Nasarbajew nahestehender Personen bekanntgab. Die Stiftung hat die Verpflichtung übernommen, die vom Volk gestohlene Gelder zurückzuholen.
Zu einem Anlass dafür wurden die Ereignisse vom Januar des Jahres 2022, als friedliche Protestaktionen zu blutigen Pogromen ausuferten. Besonders stark hatte die südliche Hauptstadt der Republik – Almaty – gelitten. Die Öffentlichkeit fordert, die Schuldigen zu finden und zu bestrafen. Die Offiziellen sagen, dass die Untersuchungen laufen würden. Und alle Materialien des Falls sind zu einer Verschlusssache geworden. Den Schuldigen hat man aber schon ernannt – den Ex-Präsidenten mit seiner großen Familie. Das folgt aus dem jüngst vorgestellten Buch „Ein tragischer Januar. Präsident Tokajew und das Ziehen von Lehren“ des russischen Journalisten Leonid Mletschin. Ihm waren geheime Dokumente zugänglich geworden. Er schreibt unter anderem, dass Nasarbajew beschlossen hätte, „für drei Jahre ins höchste Amt im Land zurückzukehren“ und dann an diese Stelle einen „geeigneteren“ Mann zu hieven. Ja, eben daher sei beschlossen worden, sich Tokajews zu entledigen. Dies habe angeblich im Verlauf der Untersuchungen der frühere Vorsitzende des Komitees für nationale Sicherheit, Karim Massimow, mitgeteilt. Auszüge aus dem Buch zitierte der kasachische Politologe Jerbol Jedilow.
In Kasachstan ist man allerdings der Auffassung, dass dies ein bestimmter Auftrag der Administration des amtierenden Präsidenten gewesen sei. Nach Auffassung von Andrej Grosin sei es für Tokajew nötig, sich selbst zu bestätigen und durchzusetzen sowie vom Bild eines durch Nasarbajew ernannten zu lösen. Dafür hat man die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen vom 20. November ausgenutzt, bei denen Tokajew 81,31 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigte. „Dies hat teilweise das Problem gelöst, aber offensichtlich nicht vollkommen, da solche Projekte auftauchen. Offenkundig haben die Leute in der Umgebung des amtierenden Staatsoberhauptes Zweifel daran, dass Nursultan Nasarbajew endgültig jegliche Möglichkeiten verloren hat, sich in den politischen Prozess einzumischen. Und nicht einmal Nursultan Nasarbajew selbst, sondern seine große Familie, die nicht nur aus Verwandten besteht, sondern auch aus Vertretern von Business-Gruppen und politischen Schwergewichten. Einerseits hat man sie scheinbar aus der politischen Arena entfernt, und sie schweigen. Andererseits aber ist in diesem Schweigen eine bestimmte Gefahr zu spüren. Daher muss man die potenziell gefährliche Konsolidierung der Eliten auf einer „Anti-Tokajew“-Plattform unterbinden. Dafür muss man für den vorangegangenen Staatschef ein Bild schaffen, das nicht das beste ist“, nimmt der Experte an.
Wird man gegen Nasarbajew Anklage erheben können, ist bis zum Abschluss der Prozedur des Außer-Kraft-Setzens des Gesetzes „Über den ersten Präsidenten – Jelbasy“ schwer zu sagen. Wahrscheinlich bleiben Nasarbajew teilweise irgendwelche Privilegien. „Insgesamt ist dieser Prozess ein gefährlicher, da er das politische System zu einem in der Art Kirgisiens führt, wo jeder amtierende Präsident begreift, dass man mit ihm genauso wie mit dem Vorgänger vorgehen wird“, sagte abschließend Grosin.
Post Scriptum:
Wie am 28. Dezember der Maschilis-Abgeordnete Aidos Sarym von der regierenden Partei „Amanat“ erklärte, würden nach der Aufhebung des Gesetzes „Über den ersten Präsidenten“ die Vollmachten und Rechte von Nursultan Nasarbajew und seiner Familie die Punkte der Verfassung und des Gesetzes regeln, die die Rechte ehemaliger Staatsoberhäupter betreffen. Ihnen sind drei Paragrafen des Kapitels VI gewidmet, die genau solch eine Rente wie im Gesetz über den Jelbasy, Wohnraum, einen Schutz, Transportmittel und eine medizinische Betreuung garantieren, aber nichts über eine Unantastbarkeit des Eigentums, einer Kanzlei und Renten für Familienmitglieder aussagen. Das Ex-Staatsoberhaupt haftet gemäß diesem Gesetz nicht für die „Handlungen, die mit der Wahrnehmung der Vollmachten in der Zeit der Präsidentschaft verbunden waren“, wenn es nicht um einen Staatsverrat geht. Aber der Jelbasy haftet gleichfalls nicht für die Handlungen, die mit der Realisierung des Status des ersten Präsidenten Kasachstans nach dem Rücktritt zusammenhängen.