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Über den Entzug der Staatsbürgerschaft und andere Bestrafungen


Russische Gesetzgeber und Staatsbeamte stellen weiterhin Überlegungen an und streiten darüber, wie man mit den Bürgern umgehen müsse, die das Land aufgrund der am 24. Februar 2022 begonnenen militärischen Sonderoperation in der Ukraine verlassen haben oder diese direkt kritisieren. Unter anderem hat der Staatsduma-Abgeordnete Jewgenij Popow (Kremlpartei „Einiges Russland“ und Moderator der politischen Talk-Show „60 Minuten“ im russischen Staatsfernsehen „Rossia 1“ – Anmerkung der Redaktion) aufgerufen, den „angenommenen Smoljaninows“ die Pässe zu annullieren. Gemeint wurde der ganz konkrete Schauspieler Artur Smoljaninow, der in einem Interview erklärt hatte, dass er auf der Seite Kiew kämpfen würde, wenn er dem Konflikt beitreten müsste. Popow unterstrich, dass es nicht richtig sei, aufgrund dieser Worte eine Strafe zu verhängen, aber solche Worte seien für andere Bürger und den Staat eine Bedrohung.

Der Senator Andrej Klischas („Einiges Russland“ schrieb in seinem Telegram-Kanal: „Man darf nicht mit Worten spielen und mit der Ukraine hinsichtlich der Formen einer Verletzung der Rechte der eigenen Bürger wetteifern“. Zuvor hatte er geschrieben, dass die Politiker, die aufrufen aufzuhören, „entsprechend den Regeln zu spielen“ und der Verfassung keine Beachtung zu schenken, „die Verfassungsorgane des Landes verlassen sollen“. Allem Anschein nach hatte er den Abgeordneten Oleg Morosow („Einiges Russland“) im Blick, der ebenfalls im Messenger-Dienst Telegram gerade auch die „rechtsliebenden Juristen“ kritisiert hatte, die die Normen der Verfassung verteidigen, und insbesondere das Verbot, die Staatsbürgerschaft abzuerkennen.

In den Streit schaltete sich der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitrij Medwedjew, ein. Er schrieb (es versteht sich – ebenfalls auf Telegram), dass man mit „Verrätern, die zum Feind gewechselt sind und ihrem Vaterland den Untergang wünschen“, entsprechend dem Gesetz umgehen müsse. Wenn aber „das Gesetz nicht wirkt oder nicht das Ziel erreicht, so entsprechend den besonderen Regeln der Kriegszeit“. Senator Klischas erwiderte, dass in Russland bisher keine besonderen Regeln einer Kriegszeit eingeführt und bestätigt worden seien. Daher müsse man sich von den Gesetzen und der Verfassung leiten lassen.

Noch vor dem Jahreswechsel hatte Russlands Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew aufgerufen, die „Verräter“ bis zum Ende ihrer Tage nicht ins Land zu lassen, sie von jeglichen Einkommensquellen in der Russischen Föderation abzuschneiden und ihnen den Status von „Staatsfeinden“ zu verleihen, selbst wenn keine ordnungsrechtlichen und Strafverfahren gegen diese Bürger eingeleitet wurden. Damals hatte auch Senator Sergej Zekow („Einiges Russland“) vorgeschlagen, das Eigentum derjenigen, die das Land verließen und Russland aus dem Ausland kritisieren, zu konfiszieren und es für die Bedürfnisse der militärischen Sonderoperation einzusetzen.

Es kann gesagt werden, dass sich die Rechtsrealität in Russland nach Beginn der militärischen Sonderoperation auch so spürbar von der Realität von vor zwei oder drei Jahren unterscheidet. Es gilt unter anderem ein ganzes Paket von Gesetzen über eine Bestrafung aufgrund einer Diskreditierung der Streitkräfte der Russischen Föderation und der Staatsorgane. Der Status von „ausländischen Agenten“ und „Extremisten“ wurde noch vor der Sonderoperation aktiv gegen Bürger angewandt. Ordnungs- und strafrechtliche Verfahren werden gemäß den entsprechenden Artikeln bzw. Paragrafen eingeleitet. Wichtig ist auch dies, dass die Machtvertreter nichts daran hindert, neue derartige Gesetze zu verabschieden und zu erklären, dass sie nicht den Buchstaben der Verfassung widersprechen würden. Senator Klischas kann dem Grundgesetz treu bleiben, doch die Rechtsrealität kann sich dabei verändern.

Wird sie sich aber verändern? Das Thema einer Bestrafung der Ausgereisten erklingt immer lauter im öffentlichen Raum. Es scheint recht wahrscheinlich zu sein, dass der Staat wirtschaftliche Hebel in Gang setzen kann. Zum Beispiel den Ausgereisten die Möglichkeiten einschränken, Einkommen in Russland zu erhalten, indem sie online arbeiten. Solche Maßnahmen werden vorgeschlagen. Und man kann gar sagen, dass dies keine Form ist zu bestrafen, sondern der Versuch, die Mittel-, die kreative Klasse im Land zu halten.

Schwieriger wird es, direkte Bestrafungen, beispielsweise eine Konfiskation von Eigentum oder das Annullieren von Pässen, gesetzgeberisch ohne Einführung eben jenes besonderen Regimes, auf das Dmitrij Medwedjew direkt hingewiesen hatte, zu verankern. Bei solch einem Regime wird bereits nur der Wille der Herrschenden gelten. Und vom Wesen her würden die diesen Willen in den Schranken haltenden gesetzgeberischen Mechanismen aufhören zu wirken. Die „Klischas-Partei“ und die „Medwedjew-Partei“ sind in der russischen öffentlichen Politik die angenommenen Begrenzungslinien. Ob aber die erste Gruppe zahlenmäßig eine relevante ist, ist schwer zu verstehen. Die „rechtsliebenden Juristen“ hüllen sich vorrangig in Schweigen. Möglicherweise haben sie Angst, nicht in die Konjunktur zu geraten. Möglicherweise ist aber die Aufgabe von Klischas an sich, simpel deutlich zu machen, dass es solch eine Linie gibt, und den Prozessen den Anschein einer demokratischen Diskussion zu verleihen.