In Jerewan weilte eine Delegation der Nationalversammlung (des Parlaments) von Frankreich unter Leitung der Vorsitzenden Yaël Braun-Pivet. Ziel des Besuchs war die Bekräftigung der Unterstützung für Armenien im Konflikt mit Aserbaidschan. Die Visite der französischen Parlamentarier erfolgte vor dem Hintergrund der bisher ungeahnten Enttäuschung von Bergkarabach aufgrund der Politik von Jerewan und der genauso ernsthaften Abkühlung der Beziehungen Jerewans mit Moskau.
Im Vorfeld des Besuchs hatte Yaël Braun-Pivet in den sozialen Netzwerken geschrieben, dass zu Weihnachten all ihre Gedanken den Armeniern gegolten hätten, denen sie Frieden und Hoffnung wünschte. Es sei daran erinnert, dass Ende November Frankreichs Parlament einmütig eine Resolution zur Unterstützung Armeniens und über die Notwendigkeit der Verhängung von Sanktionen gegen Aserbaidschan verabschiedet hatte. Zu einem der Anlässe dafür (der Verhängung von Sanktionen – Anmerkung der Redaktion) wurde die Blockade des Latschin-Korridors – der einzigen Landverbindung, die Bergkarabach mit Armenien verbindet, durch aserbaidschanische Aktivisten seit dem 12. Dezember.
Die Blockade dauert schon mehr als einen Monat ungeachtet der Proteste und Forderungen der internationalen Gemeinschaft an. Die Geschäfte in Bergkarabach sind leere. Es gibt keine Nahrungsmittel, Medikamente und alles andere.
Organisiert wurde die Blockade unter dem Vorwand einer Überprüfung des ökologischen Zustands mehrere Gold- und Kupferlagerstätten. Die armenische Seite war sich anfangs dessen sicher, dass die Aktion nicht Umweltschützer, sondern Vertreter der Sicherheits- und bewaffneten Organe organisiert wurde. Dies wurde bestätigt: Mit dem Anbruch der Kälte lösten Militärs die Zivilisten ab. Zu jener Zeit hatte auch Aserbaidschans Führung nicht besonders auf der Version der Öko-Aktivisten beharrt. Präsident Ilham Alijew, der erklärt hatte, dass er auf die Handlungen seiner Bürger stolz sei, gab bekannt: Die Bevölkerung von Karabach, die nicht entsprechend den Gesetzen von Aserbaidschan leben möchte, könne ungehindert die Region verlassen.
Die Haltung von Baku wurde für Stepanakert zu keiner unerwarteten. Der Staatsminister der nichtanerkannten Republik, Ruben Wardanjan (bis vor kurzem noch Staatsbürger der Russischen Föderation und ein sehr bekannter Akteur auf dem russischen Finanzmarkt – Anmerkung der Redaktion), hatte bereits darüber gesprochen, dass die Armenier von Arzach (armenische Bezeichnung von Bergkarabach) drei Wege hätten – sich in den Bestand Aserbaidschans zu integrieren, die Republik zu verlassen oder um das eigene Recht zu kämpfen, auf dem Heimatboden zu leben. Dies wiederholte er auch im Verlauf einer Fernsehbrücke mit Jerewan, die am Donnerstag stattfand. Wardanjan bekundete Enttäuschung über Jerewan. Nach seinen Worten könne Jerewan nur finanziell helfen und rechtliche Unterstützung leisten. Unter Berücksichtigung der Realitäten ist dies sehr wenig.
Allerdings hat sich Wardanjan recht vage artikuliert. Einer der angesehenen Arzach-Politiker – Akop Akopjan – warf direkt Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan vor, dass er Arzach der Willkür des Schicksals ausgeliefert habe. Nach Aussagen Akopjans kämpfe Paschinjan nicht nur nicht für Arzach, sondern erlaube auch keinem, dies zu tun.
Es ist kein Zufall, dass unter solchen Bedingungen die russischen Friedenstruppen beinahe die Haupthoffnung von Arzach bleiben. Der bereits erwähnte Ruben Wardanjan ist der Auffassung, dass man auf Aserbaidschan Druck ausüben müsse. Und die russischen Blauhelmsoldaten müssten für dutzende Jahre in Bergkarabach bleiben, wobei sie die Sicherheit in der Region gewährleisten (deren Mandat endet offiziell im Jahr 2025 – Anmerkung der Redaktion). Er unterstrich, dass er nicht die Worte Paschinjans über die Friedenstruppen kommentieren wolle, die angeblich ihre Pflichten nicht erfüllen würden. „Die russischen Friedenstruppen befinden sich wirklich in einer schwierigen Situation… Ihr Mandat muss ein klareres und längerfristiges sein, und die Anzahl der Blauhelmsoldaten muss erhöht werden“, erklärte Wardanjan. Er unterstrich allerdings, dass Arzach eine aktivere politische Beteiligung Russlands an den lokalen Prozessen erwarte.
Wahrscheinlich ruhen gerade auf den Friedenstruppen die Hoffnungen der Arzach-Bewohner hinsichtlich der Gewährleistung einer Verbindung der Region mit der Außenwelt. Wie Ruben Wardanjan im Verlauf der Fernsehbrücke sagte, „müssen die Rechte der Arzach-Bewohner durch eine normale Straßenverbindung und eine Luftbrücke gewährleistet werden“.
In Jerewan ist natürlich die Haltung des Staatsministers der nichtanerkannten Republik bekannt. Die Reaktion darauf ist aber eine etwas merkwürdige. Bei einer Regierungssitzung am Donnerstag erklärte Nikol Paschinjan: „Zwischen Aserbaidschan und Bergkarabach muss ein politisches Gespräch aufgenommen werden… Und die Offiziellen der nichtanerkannten Republik dürfen keinen Anlass geben, sie eines Scheiterns dieses konstruktiven Dialogs zu bezichtigen“.
Nach seinen Worten müsse die Reaktion der Offiziellen und des Volks von Bergkarabach auf die Lösung der entstandenen Situation eine asymmetrische sein. „Es müssen politische Erklärungen vermieden werden, die die Situation in eine noch größere Sackgasse treiben… Sie bringen keinerlei Nutzen“, unterstrich Paschinjan. Er bezeichnete das Versperren des Latschin-Korridors als eine Provokation, deren Endziel eine neue militärische Eskalation sei. Indirekt bestätigen dies die Worte von Präsident Alijew, wonach „die Übergabe von Irewan (aserbaidschanische Bezeichnung von Jerewan – „NG“) an Armenien ein unverzeihlicher Schritt und ein Verbrechen gewesen war“.
Dennoch wirft man Paschinjan in Armenien einen Verrat von Arzach vor. Ein Teil der Experten-Community Armeniens macht dafür nicht nur allein Paschinjan verantwortlich, sondern die gesamte Führungsriege des Landes. Es entsteht der Eindruck, dass sie versucht, eine geopolitische Wende gen Westen zu vollziehen. Und das Schicksal von Bergkarabach wird für sie zu keinem Hindernis. Aber bei alle dem scheint es nicht, dass die Verfechter dieser Variante irgendwelche absolute Garantien des Westens erhalten haben.
Jerewans strategischer Partner – Moskau – ist durch das Geschehen betrübt. Die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnete die Erklärungen von Armeniens Premierminister als widersprüchliche. „Es gibt viel Unklares in den Vorgehensweisen der armenischen Seite… Wenn es Vereinbarungen gibt, hält man sie entweder ein oder hält sie nicht ein. Aber dann muss man sagen, dass sich die Vorgehensweisen verändert haben… Man muss dies ehrlich, öffentlich seinen Menschen sagen“, meinte Sacharowa, wobei sie zu verstehen gab, dass Moskau zu klären versuche, was für eine Position Jerewan doch letztlich vertritt.