Im öffentlichen Raum dauert die Diskussion über die Haltung zu denjenigen Bürgern, die das Land verlassen haben, an. Und an ihr beteiligen sich hochrangige offizielle Vertreter. In der vergangenen Woche erklärte beispielsweise Dmitrij Peskow, Pressesekretär des Präsidenten der Russischen Föderation, dass alle Ausgereisten „unterschiedliche Gründe gehabt haben konnten“. Und diejenigen, die „keinen Weg einer wirklich feindseligen Haltung gegenüber unserem Land eingeschlagen haben, dies sind unsere Bürger, um die wir kämpfen müssen“. In Russland müssten, wie Peskow meint, solche Bedingungen geschaffen werden, damit diese Menschen zurückkehren möchten.
Der Pressesekretär des Staatsoberhauptes kommentierte gleichfalls die Initiative von Staatsduma-Chef Wjatscheslaw Wolodin, der aufgerufen hatte, „ein Gesetz für Schufte“ zu verabschieden. Mit Schuften meint er die Menschen, die das Land verlassen haben, durch das Vermieten von Immobilien in der Russischen Föderation oder auf der Grundlage von Honoraren leben, sich dabei aber „erlauben, Dreck über Russland auszugießen, unsere Soldaten und Offiziere beleidigen“. Wolodin (der selbst nie in der Armee gedient hat – Anmerkung der Redaktion) schlägt vor, die entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuches durch einen Punkt „über die Konfiszierung des Eigentums von Schuften in der Russischen Föderation“ zu ergänzen. Peskow erklärte, dass das Thema ein schwieriges und aktuelles sei. Man dürfe aber nicht die Büchse der Pandora, denn „Feinde sind Feinde, alle Übrigen aber, sie sind unsere Bürger. Und sie müssen unsere Bürger bleiben“.
Diese Aussagen erlauben den Gedanken, dass der Kreml die Parlamentarier leicht zurückgepfiffen hat, die die im vergangenen Jahr entstandene Situation zu einem verbietenden, einschränkenden und bestrafenden Schöpfertum inspiriert. Man kann die Erklärungen Peskows auch vorsichtiger interpretieren: Der Kreml möchte wahrscheinlich einfach nicht, dass er mit den radikalen Vorschlägen assoziiert wird, und zieht es vor, dass sie von unten her oder aus anderen Machtstrukturen und -instituten kommen. Die Gefahr, dass die Büchse der Pandora geöffnet wird, existiert aber wirklich. In Russland wirken viele Mechanismen zur Umsetzung von Entscheidungen so, dass eine Bestrafung für einige zu einer Bestrafung für jeden x-beliebigen wird.
Sowohl Wolodin als auch Peskow sprechen von „einigen“ feindselig eingestellten Menschen. Interessant ist aber, wie sie sich die Gedankengänge der Mehrheit jener, die das Land verlassen haben, vorstellen. Wenn man die „unterschiedlichsten Gründe“ für eine Ausreise untersucht, kann man feststellen, dass alles mit der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine zusammenhängt. Die Menschen konnten und können Konsequenzen der militärischen Sonderoperation für ihr Leben und das Leben ihrer Familie befürchten oder schlicht und einfach nicht die Motive, von denen sich die russischen Offiziellen leiten lassen, akzeptieren und ein anderes Bild von den Ereignissen haben. Und es ist recht wahrscheinlich, dass der Unterschied solcher Bürger zu jenen, die die Herrschenden als Feinde und Verräter abstempeln, im nichtöffentlichen Charakter der Äußerungen besteht, im Nichtvorhandensein eines Zugangs zu allgemein bekannten Tribünen und Ressourcen, im Unwillen, etwas zu sagen und zu formulieren. Und da ergibt sich, dass die Selbstzensur oft zu der Bedingung wird, unter der die Offiziellen bereit sind, dich als einen vollwertigen und gleichberechtigten Bürger anzusehen und dich zurückerwarten. Es ergibt sich, dass man eine kritische Einstellung haben kann.
Die Worte von Dmitrij Peskow sind eher eine positive Message. Im öffentlichen Raum der letzten Monate hat es weitaus mehr Erklärungen gegeben, die jene demotivieren, die ausgereist sind. Zur gleichen Zeit ist klar, dass zur Hauptbedingung, unter der die Bürger bereit sein werden, ins Land zurückzukehren, eine Beendigung der militärischen Sonderoperation wird. Und zusammen damit die Garantie für einen stabilen Frieden und eventuell eine Lockerung der Sanktionen. Zur gleichen Zeit können die ausgereisten Bürger Russlands erwarten, dass die Herrschenden sich an die Verfassungsnormen halten werden.
Es geht darum, dass die Verfassung der Russischen Föderation – selbst in der letzten Fassung – die Bürger nicht nach Kategorien in Abhängigkeit von ihrer Haltung zu irgendetwas inklusive Schlüsselentscheidungen der Offiziellen unterteilt. Folglich wird ihnen allen das komplette Spektrum der Rechte garantiert, darunter auch die Unantastbarkeit privaten Eigentums, was im Artikel 35 erklärt wird. Dies ist der Geist der Verfassung, ihr überaus wichtiger Inhalt. Allerdings erweist sich für die Gesetzgeber oft weitaus wichtiger der Zusatz „anders entsprechend einer Gerichtsentscheidung“, der erlaubt, mitunter beinahe ungehindert die Menschen in den Rechten einzuschränken.