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Die Staatsduma hat den Patriarchen schlecht vernommen


Patriarch Kirill trat am Donnerstag während der Plenartagung der Staatsduma (des Unterhauses des russischen Parlaments) im Rahmen der turnusmäßigen Weihnachtslesungen auf. Nach dem Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche hielten Leiter und Vertreter der Parlamentsfraktionen Reden. Scheinbar hatten sowohl der Patriarch als auch die Abgeordneten in der gleichen Tonart gesprochen – über den Patriotismus und die Verteidigung der russischen Identität. Im Endergebnis blieb jedoch die Empfindung einer emotionalen wesentlichen Dissonanz.

Vom Wesen her wiederholte der Duma-Auftritt des Patriarchen eine große Anzahl seiner vorangegangenen Äußerungen, die in der letzten Zeit erfolgt waren. Und die aktuellste von ihnen ist die Rede beim Auftakt der Lesungen am Mittwoch. Von der parlamentarischen Tribüne erklangen jedoch mehrere, nicht einmal Gedanken, sondern Messages, emotionale Impulse, die die Abgeordneten scheinbar nicht wahrnehmen konnten oder nicht wollten.

Seinen Auftritt begann das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche – was charakteristisch ist – mit einem Motiv, das nicht mit einer Bürgerpflicht, sondern mit einer privaten eigenen Empfindung des Menschen zusammenhing. Er erklärte, was vor allem menschliches Glück ist. Aber glücklich werden könne man nur unter Bedingungen eines Friedens. „Das hauptsächlichste Thema betrifft die Beendigung jeglicher Kampfhandlungen, eine Aussöhnung und die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Völkern, die in diesen Konflikt verwickelt worden sind“, unterstrich der Patriarch.

Im Auftritt von Kirill gab es eine Vielzahl traditioneller Überlegungen über die Wichtigkeit des Patriotismus. Der Patriarch ließ es gleichfalls nicht aus, die Duma-Tribüne auszunutzen, um vor den Gesetzgebern die Notwendigkeit des sozialen Schutzes jener zu verteidigen, die die Kirche als ihre wichtigste gesellschaftliche Basis ansieht – die Geistlichen und ihre Familien. Dies alles ist so, doch inmitten der rhetorischen Figuren und der Interventionen eines korporativen Lobbyismus konnte man durchaus humanistische Motive ausmachen.

Nachrichtenjournalisten klammerten sich augenblicklich an die Erklärung des Patriarchen fest, wonach man nicht mit einer Messlatte an all die jungen Menschen herangehen könne, die das Land während der Teil-Mobilmachung verlassen hatten. Er betonte, dass die Ausgereisten die unterschiedlichsten Motive gehabt haben könnten. Bei seinen Überlegungen über die militärische Pflicht und die Kampfhandlungen erinnerte der Patriarch daran, dass die christlichen Militärs Humanität bewahren müssten und sich nicht einer Verbitterung hingeben dürften. „Der Kampf gegen den Feind darf sich nicht zu einem Hass gegen den einzelnen Menschen verwandeln“, sagte das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche, wobei er daran erinnerte, mit was für einer Brutalität man sich auf der anderen Seite der Frontlinie gegenüber den russischen Gefangenen verhalte.

Auf die Rede des Patriarchen eingehend bzw. auf sie reagierend, hatten die Abgeordneten in keiner Weise das hervorgehoben, was er direkt als ein „Friedensstiften der Kirche§ bezeichnet hatte. Die Politiker konzentrierten sich auf Probleme der nationalen Identität, die, wie sie meinen, die westliche Welt den Völkern Russlands nehmen wolle. Humanistische Motive hatten die Volksvertreter überhaupt nicht gerührt. Der Chef der Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“, Sergej Mironow, rief dazu auf, nicht einzuhalten, solange die Truppen nicht Kiew eingenommen und das herrschende ukrainische Regime gestürzt hätten. Der Vertreter der neuen Parlamentspartei „Neue Leute“, der Abgeordnete und Schauspieler Dmitrij Pewzow, demonstrierte ein kreatives Herangehen an das Definieren der sich abspielenden Ereignisse, indem er vorschlug, sie als „heilige Militäroperation“ zu bezeichnen. Er formulierte aber keine Worte über einen „heiligen Frieden“, womit Patriarch Kirill seine Rede begonnen hatte. Keiner griff das Thema der „Barmherzigkeit“ auf, dass der religiöse Spitzenvertreter entwickelt hatte.

Sowohl der Patriarch als auch die Volksvertreter aus der Staatsduma sprachen viel von einer geistig-moralischen Erziehung der jungen Generation. Aber die Überlegungen über das Wesen solch einer Erziehung liefen auf einen braven Patriotismus hinaus. Pewzow schlug vor, im Unterhaus eine christlich-orthodoxe Kapelle einzurichten, um formal zu markieren, dass die Abgeordneten nach seiner Meinung ein gläubiges Land repräsentieren. Es gibt jedoch keine Garantien dafür, dass tägliche Liturgien und Predigten von Parlamentsgeistlichen (Kaplanen) die Politiker dem Begreifen des Wesens des Glaubens näherbringen werden, der den Wert des menschlichen Lebens proklamiert und gebietet: „Liebt eure Feinde“ (Mt. 5:44). Die geistig-moralische Erziehung wird in der Vorstellung vieler durch eine „militärisch-moralische“ Erziehung ersetzt, was natürlich das jahrhundertlange Erbe der traditionellen Religionen bei weitem nicht ausschöpft.