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„Angesehene Strafgefangene“ werden dem Vaterland dienen


Der Tod einer weiteren russischen kriminellen Autorität, der in der Ukraine entsprechend einem Vertrag mit der sattsam bekannten Söldnerfirma „Wagner“ gekämpft hatte, belegt eine Neubewertung der früheren Position über eine Nichtzusammenarbeit mit den Offiziellen durch sie, umso mehr in militärischen Fragen. Es geht um eine der Führungsfiguren der kriminellen Community des Altais, um Scherali Chatamow (Sascha, der Usbeke), der wegen Erpressung zu 16 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden war. Zuvor waren in der Zone der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine die Anführer der Kursker organisierten kriminellen Gruppierung „Kuskowskije“ und der organisierten kriminellen Gruppierung „Olympia“ aus Pensa, die eine 23- und eine 25jährige Haftstrafe verbüten, ums Leben gekommen. Daneben sind dort auch noch mehrere anrüchige Killer ums Leben gekommen. Die genaue Anzahl der „angesehenen“ Verurteilten, die an der militärischen Sonderoperation teilnehmen, wie auch die Anzahl der Gefallenen sind unbekannt. (Die amerikanische Presse veröffentlichte jedoch jüngst Aufnahmen, dass die Anzahl der Gräber auf dem angeblichen Friedhof der Söldnerfirma „Wagner“ im Süden Russlands erheblich zugenommen habe. – Anmerkung der Redaktion). Nichts bekannt ist auch über eine mögliche Teilnahme von verurteilten „Dieben im Gesetz“ („kriminellen Autoritäten“).

Was hat aber die einst mächtigen und unbeugsamen Autoriten veranlasst, einer Teilnahme an der militärischen Sonderoperation in der Ukraine zuzustimmen? Die Antwort ist offensichtlich – das Streben, so schnell wie möglich wieder auf freiem Fuß zu sein. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Bildung einer Bande und die Organisierung einer kriminellen Gemeinschaft, schon ganz zu schweigen von mehrfachen Morden, zur Kategorie der besonders schweren Verbrechen gehören. Eine vorzeitige Freilassung auf Bewährung kann nur nach dem tatsächlichen Verbüßen von mindestens zwei Drittel oder drei Viertel der festgelegten Haftstrafe erfolgen. Und bei der Prüfung der Anträge auf eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung muss das entsprechende Gericht das Verhalten des Häftlings berücksichtigen, seine Arbeitseinstellung sowie erteilte Strafen und gewährte Würdigungen, die Haltung zur begangenen Straftat, die vollständige oder teilweise Wiedergutmachung des zugefügten Schadens, aber auch die Beurteilung der Leitung der Strafkolonie über die Zweckmäßigkeit seiner vorzeitigen Freilassung.

Nun, dies ist aber nur das halbe Übel. Die kriminellen Autoritäten, die eine lebenslange Haft verbüßen, können durch ein Gericht vorzeitig auf freien Fuß gesetzt werden, wenn es der Auffassung ist, dass sie kein weiteres Verbüßen der Strafe bedürfen und sie mindestens 25 Jahre hinter Gittern verbrachten. Dabei wird eine vorzeitige Freilassung nur in dem Fall angewendet, wenn er sich keiner ernsthaften Verstöße gegen die Haftordnung im Verlauf der letzten drei Jahren zu Schulden kommen ließ. Zu deren Zahl gehört der Anführer der organisierten kriminellen Gruppierung von Orechowo, Sergej Butorin, der eine lebenslängliche Haftstrafe erhielt und jetzt auch den Wunsch bekundete, angesichts seiner militärischen Spezialisierung an der militärischen Sonderoperation teilzunehmen.

Es ergibt sich, dass es für die kriminellen Autoritäten recht schwierig ist, auf freiem Fuß in einem mehr oder weniger komfortablen Alter für einen ruhigen Lebensabend zu gelangen. Und dies unter Berücksichtigung dessen, dass viele von ihnen über 50 sind. Ja, und da haben sie nun also beschlossen, die Zeit in den Straflagern nicht mit Brettspielen und dem Lesen klassischer Literatur totzuschlagen, sondern die entstandene Situation auszunutzen und den Versuch zu unternehmen, vorzeitig auf freien Fuß zu kommen. Obgleich der minimale halbjährige Söldner-Dienst, der für eine völlige Begnadigung erforderlich ist, auch noch eine Lotterie ist. (Die entsprechende Begnadigungserlasse des Präsidenten sind Verschlusssache, so dass unbekannt ist, wie viele Kriminelle bereits in Freiheit leben, sollten sie den Militärdienst in der Konfliktzone überlebt haben. – Anmerkung der Redaktion)

Spricht man über die Beteiligung verurteilten Mitglieder organisierter krimineller Gruppierungen oder generell von Strafgefangenen an der militärischen Sonderoperation, wofür sich „Wagner“-Chef Jewgenij Prigoschin als erster öffentlich und vehement eingesetzt hatte, macht man sich unwillkürlich Gedanken über das moralisch-ethische Bild dieser neugebackenen russischen Militärs. Kann man ihnen in vollem Maße Vertrauen schenken, indem man sie an die vorderste Frontlinie mit einer Waffe in den Händen schickt? Wie werden sie sich gegenüber der Zivilbevölkerung verhalten? Es gibt keine eindeutigen Antworten auf diese Fragen, obgleich bekannt ist, dass „Wagner“-Söldner sich auch als Peiniger und Mörder von Abtrünnigen und Kriegsgefangenen hervorgetan haben. Überdies ist der Mechanismus zu ihrer Kontrolle unklar, aber auch die Modalitäten für deren Bestrafung. Derweil gelten nun auch für sie die jüngst aktualisierten Paragrafen des Strafgesetzbuches, die für Ungehorsam gegenüber Befehlen eines Kommandeurs, Fahnenflucht, Plünderungen und ein freiwilliges In-Gefangenschaft-gehen strafen. Die Haftstrafen für diese Taten können bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug erreichen.

Was die Teilnahme der anderen bereits erwähnten Strafgefangenen an der militärischen Sonderoperation angeht, so ist diese Frage auf gesetzgeberischer Ebene bisher nicht geregelt. Obgleich sich baschkirische Parlamentarier diesbezüglich bereits geäußert haben. Laut deren Gesetzesvorlage soll den an den Kampfhandlungen teilnehmenden Verurteilten ein Aufschub für das Verbüßen der Freiheitsstrafe eingeräumt werden. Und jeder Tag der Teilnahme wird mit dem Faktor 10 multipliziert und zwecks Reduzierung der Freiheitsstrafe so auch angerechnet. Dabei muss die Zustimmung zur Teilnahme an der Sonderoperation, die bereits den zwölften Monat andauert, eine freiwillige sein. Erhält ein Verurteilter eine Verwundung, aufgrund der er nicht mehr weiter an den Kampfhandlungen teilnehmen kann, wird ein Gericht über die Frage nach einem weiteren Verbüßen der Bestrafung und deren Milderung entscheiden. Im Falle des Verübens neuer Straftaten in der Zeit des Aufschubs für das Verbüßen der Strafe wird hinsichtlich des Verurteilten der Paragraf 70 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation (Festlegung einer Bestrafung hinsichtlich der Gesamtheit der Urteile) angewandt. Das Verbot für eine Teilnahme an der militärischen Sonderoperation betrifft diejenigen, die aufgrund Vergewaltigungen, Sexualverbrechen gegen Minderjährige, Terrorismus und Extremismus, Geiselnahme, die Organisierung einer kriminellen Gemeinschaft usw. verurteilt wurden. „Durch die Teilnahme an den Kampfhandlungen zur Verteidigung der Interessen Russlands kann ein Verurteilter seine Schuld gegenüber der Gesellschaft sühnen und so die Ziele der strafrechtlichen Bestrafung erreichen“, nimmt optimistisch der Vorsitzende der Staatlichen Versammlung Baschkiriens (das Regionalparlament dieser russischen Teilrepublik – Anmerkung der Redaktion), Konstantin Tolkatschjow (Kremlpartei „Einiges Russland“), an.

Einen ähnlichen, aber humaneren Gesetzentwurf hat man auch im Föderationsrat (dem Oberhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) vorbereitet. Laut diesem kann ein Gericht, wenn ein Verurteilter Mut und Heldentum bei der Wahrnehmung der Militärpflicht an den Tag legt und damit seine Besserung nachweist, ihn auf Antrag des Kommandos (der entsprechenden militärischen Vorgesetzten) von der Verbüßung der Strafe oder des von ihr verbliebenen Teils befreien, wobei die Bestrafung aufgehoben oder der verbliebene Teil der Bestrafung durch eine weniger strenge Bestrafung ersetzt wird. Wenn der Verurteilte nach Gewährung eines Strafaufschubs eine Teilnahme an den Kampfhandlungen ablehnt, seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt oder verweigert, so muss ein Gericht auf Antrag der militärischen Vorgesetzten die Frage nach einer Aufhebung des Aufschubs für die Umsetzung des Urteils behandeln und den Verurteilten in eine Einrichtung des Strafvollzugs entsprechend dem früher gesprochenen Urteil schicken. Allerdings werden bei der Behandlung der Frage über die Gewährung eines Aufschubs in jedem konkreten Fall die Charakteristik der Persönlichkeit des Verurteilten, sein Gesundheitszustand, die militärische Spezialisierung und der Grad der Berufsausbildung, aber auch die Meinung der militärischen Verwaltungsorgane hinsichtlich einer Zweckmäßigkeit seines Einsatzes bei Kampfhandlungen durch das jeweilige Gericht berücksichtigt. Eine vollkommene Befreiung von der Bestrafung der Verurteilten, die an Kampfhandlungen teilgenommen haben, wird auf Gerichtsbeschluss und auf Antrag der jeweiligen militärischen Führung sowie entsprechend einem Gutachten des zuständigen Staatsanwaltes vorgenommen werden.

„Der Volkskommissar (des Innern) Lawrenti Beria und das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR verabschiedeten im Sommer und Herbst 1941 dreimal Erlasse über eine Amnestie für Verurteilte, die in GULAGs einsaßen. Die Häftlinge wurden direkt aus den Lagern zu Lehrgängen für junge Kämpfer und danach an die Front geschickt. Gemäß diesen Erlassen gerieten mindestens 750.000 Verurteilte an die vorderste Frontlinie, das heißt fast 52 Divisionen… Insgesamt kämpften um die 975.000 ehemalige Häftlinge an der Front“, betonte der einstige stellvertretende Direktor des russischen Föderalen Dienstes für den Strafvollzug, Valerij Balan.

Die Gesetzesvorlagen lösen aber begründete Beanstandungen aus – zumindest aufgrund des Fehlens einer Voraussehbarkeit der Folgen ihrer Wirkung, da sie erlauben, Verurteilte einzuberufen, die in einer Reihe von Fällen Probleme mit der Psyche haben, aber aufgrund objektiver Ursachen nicht als unzurechnungsfähige anerkannt wurden. „Das Hinzuziehen eines derartigen Kontingents zur Erfüllung von Gefechtsaufgaben unter Einsatz von Waffen erscheint sowohl hinsichtlich der Kameraden als auch der Zivilbevölkerung und der Vertreter des Gegners aus der Sicht ihrer psychischen Gesundheit als ein nichtvorhersehbares unter den Bedingungen des Gefechtsstresses“, merkte berechtigt der Stawropoler Anwalt Alexander Poltschenko an.

Beim Ziehen einer Bilanz muss noch etwas erwähnt werden: Beim Treffen angesehener Krimineller aus Russland in Dubai im vergangenen Jahr wurden neben den traditionellen Themen aus dem Leben der kriminellen Welt auch die Ereignisse in der Ukraine diskutiert. Im Interesse einer Verteidigung der kriminellen Traditionen hatten die „Diebe im Gesetz“ aus Kutaissi alle, die Waffen in die Hände genommen haben, zu „MPi-Magazinen“ (im kriminellen Jargon – „Militärs“) erklärt und allen „anständigen Inhaftierten“ vorgeschlagen, „mit ihnen dementsprechend vorzugehen“. Es versteht sich, dass mit solch einem Appell nicht Häftlinge aufgetreten sind, sondern freie „Diebe“, die sich überdies auch noch außerhalb der Russischen Föderation befinden. Aber im Gegengewicht zu den erwähnten Autoritäten sind bei weitem nicht alle einflussreichen Vertreter der kriminellen Welt bereit, ihre Überzeugungen selbst in Kriegszeiten aufzugeben.

Post Scriptum:

Das Thema „Strafgefangene Russlands in der Zone der militärischen Sonderoperation“ ist für viele Menschen im Land ein ungewohntes, ein heikles und gar umstrittenes. Und nicht nur, weil sie vor allem in den Reihen der berüchtigten Söldnerfirma „Wagner“ zum Einsatz kommen, glaubt man den zahlreichen Meldungen in verschiedensten Telegram-Kanälen. Es ist für viele in Russland kein Geheimnis, dass die Gerichte oft Urteile gegen Straftäter fällen, deren Strafmaße gelinde gesagt überraschen. Überdies sind die gesetzlichen Grundlagen für solch ein Vorgehen mehr als vage, Putins angebliche Begnadigungserlasse – eine Verschlusssache. In kleinen Orten ist gleichfalls die Erinnerung an die eine oder andere schwere Straftat noch sehr lebendig. Daher wird Empörung laut, wenn Mörder auf einmal als Helden dargestellt werden. Jüngstes Beispiel dafür ist der 46jährige Sergej Molodzow aus der Kleinstadt Serow im Ural. Mit militärischen Ehren wurde der „Wagner“-Kämpfer am 5. Januar dieses Jahres zu Grabe getragen. Bleibt zu hoffen – nicht neben seiner Mutter, die er selbst im März 2017 umgebracht hatte. Im Alkoholrausch, was jedoch diese Straftat in keiner Weise rechtfertigt.