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Der Konflikt Strelkows und Prigoschins bringt neue „Schwergewichte“ hervor


Der sogenannte „Klub der erzürnten Patrioten“ (KEP), der die Internet-Aktivitäten von Igor Strelkow unterstützt, hat beschlossen, in die Realität vorzudringen. Für Freitag, den 12. Mai ist in Moskau eine Pressekonferenz von Spitzenvertretern der informellen Bewegung angekündigt worden (obgleich auf unterschiedlichen Internetplattformen des einstigen Verteidigungsministers der Donezker Volksrepublik keinerlei entsprechende Informationen zu finden sind – Anmerkung der Redaktion). Wenn sie aber stattfindet, so wird dies zeigen, dass den Kritikern der „militärischen Sonderoperation“ Russlands in der Ukraine und des Staatssystems aus irgendeinem Grunde erlaubt wird, sie öffentlich beinahe zu diskreditieren. Die Strelkow-Vertreter verschärfen gegenwärtig gleichfalls den Konflikt mit dem Gründer der Söldnerfirma „Wagner“, Jewgenij Prigoschin, der ihnen antwortet, aber noch lautstärker die bürokratische Machtvertikale in Russland beschimpft. Er erhebt offenkundig ebenfalls Anspruch auf die Führungsrolle unter den Ultrapatrioten. Möglicherweise ist die „Redefreiheit“ beider Gruppen nur mit dieser Konfrontation zu erklären. Aber die Tatsache, dass die einst peripheren Figuren der öffentlichen Agenda zu deren entscheidenden Akteure geworden sind, erlangt an und für sich eine strategische Bedeutung. Besonders, wenn die Offiziellen mit eigenen Händen das Thema der Sonderoperation politisieren, scheinbar gerade mit einer Ausrichtung auf die Zukunft.

Außer Strelkow an sich wurden noch eine Reihe von Sprechern der möglichen Pressekonferenz genannt, deren genaue Uhrzeit und Veranstaltungsort erst im letzten Moment augenscheinlich aufgrund von Sicherheitserwägungen bekannt werden sollen. Dies sind beispielsweise der KEP-Koordinator Pawel Gubarjew, der im Jahr 2014 zum berüchtigten „Volksgouverneur des Donbass“ geworden war, aber schnell von den stärkeren einheimischen Gruppierungen vom Machtruder verdrängt wurde, wahrscheinlich auf Anweisung der damaligen Moskauer Kuratoren des „russischen Frühlings“. Noch eine bekannte Persönlichkeit ist Viktor Alksnis, ein konsequenter Gegner der in Russland agierenden Herrschenden und der schon lange das Label eines „rot-braunen“ besitzt. In der Ankündigung ist auch der einstige Vertreter der Führung der in der Russischen Föderation verbotenen Nationalbolschewiken, Michail Grubnik, ausgewiesen. Er gilt als das „Gespenst von Neu-Russland“ und früherer Untergrundkämpfer aus Odessa, der sich heutzutage mit der Organisierung einer Unterstützung für die russischen Einheiten in der Zone der militärischen Sonderoperation durch Freiwillige befasst.

Vom Prinzip her macht diese Zusammensetzung der Teilnehmer die für den 12. Mai geplanten Erklärungen zu nicht sehr interessanten. Jede dieser Figuren ist schon lange durch die Schlüsselthesen ihrer Rhetorik bekannt. Eine mögliche Sensation würde – allem nach zu urteilen – darin bestehen, wenn der KEP irgendwelche politischen Pläne im Kontext der im Land anstehenden Wahlkampagnen dem Publikum mitteilen würde. Was aber die Kritik an den Offiziellen aufgrund des Verlaufs und der Ergebnisse der militärischen Sonderoperation angeht, so sind da wohl keinerlei Offenbarungen zu erwarten. Derweil ist das Auftauchen der KEP-Führungskräfte in der Realität an sich anstelle ihres gewohnten Verweilens im Internet, wo sie bereits hunderttausende Verehrer und Follower, d. h. Leser und Zuschauer für sich gewinnen konnten, interessanter. Es ist klar, dass, wenn die Pressekonferenz offline stattfindet, dies bedeuten wird, dass dies irgendein Teil der Herrschenden aus irgendeinem Grunde braucht.

Wenn man sich die allerletzten Posts von Strelkow anschaut, so ist unschwer zu bemerken, dass er die aktuelle Kritik am gegenwärtigen Kreml-Kurs durch Attacken gegen Prigoschin aktiv auflockert, der sich seinerseits mit dem Gleichen befasst, wobei er sich freilich etwas mehr auf die Handlungen der Führung des Verteidigungsministeriums fokussiert. Über die Strelkow-Vertreter macht sich der Gründer der Söldnerfirma „Wagner“ eher nachsichtig, aber beißend lustig, wobei er sie augenscheinlich nicht für ernsthafte Konkurrenten im Ringen um die Sympathien der Ultrapatrioten ansieht. Es muss betont werden, dass sich dieses Lager immer mehr gerade entsprechend dem Kriterium der Haltung zur Figur von Prigoschin aufspaltet. Und seine Gegner schießen derzeit gegen ihn bereits mit ganz und gar großen Kalibern, wobei sie keine Andeutungen wie früher machen, sondern dieser bewaffneten Gruppe eine Beteiligung am traurigen Schicksal einer Vielzahl von Feldkommandeuren der ursprünglichen Donbass-Bürgerwehr vorwerfen. Prigoschin antwortet demonstrativ nicht darauf. Überhaupt redet er in der letzten Zeit nicht nur, sondern handelt auch in solchen Richtungen, die die Offiziellen und Geheimdienste offenkundig sehen müssen. Verwiesen sei zumindest auf nur eines seiner Treffen mit Freiwilligen der Territorialverteidigung in den an die Ukraine angrenzenden russischen Grenzregionen. Auf einem Video, das in den sozialen Netzwerken verbreitet wird, beklagen sich diese Menschen nicht nur einfach über das Fehlen eines Status und einer minimalen Versorgung mit Waffen, sondern bitten unison gerade den „Wagner“-Chef, ihre Bitten bis an die obersten Machtspitze weiterzuleiten.

Kurzum: Das Monopol von Strelkow & Co. bezüglich des Status der „erzürnten Patrioten“ wird seitens Prigoschins ernsthaften Zweifeln ausgesetzt. Ihm aber wirft man dementsprechend eine ineffektive Führung einer der gefechtsstärksten Einheiten der militärischen Sonderoperation und das Bestreben, auf die politische Bühne zu kommen, vor. Die maximale Offenheit der Äußerungen von beiden Seiten wird möglicherweise ausschließlich für ein Plattmachen dieser Erklärungen an sich als auch deren Autoren erlaubt. Das heißt: Die Herrschenden bedienen sich des klassischen Schemas des Einsatzes von Spoilern – genau wie im Verlauf der Wahlkampagnen. Solch ein geradliniges Begreifen des Wesens des Kampfes um die turbopatriotische Agenda scheint jedoch irgendwie nicht allzu sehr mit dem Herangehen jedes seiner Teilnehmer an offensichtlich rote Linien und periodisch mit einem scheinbaren Überschreiten dieser zu harmonieren.

Das Strelkow-Team beispielsweise bringt Prigoschin direkt mit Sergej Kirijenko, dem 1. Stellvertreter des Präsidialamtschefs, in Verbindung. Und das Wichtigste – mit einer angeblich hinter ihm stehenden Gruppe von Vertretern aus der nächsten Umgebung des russischen Staatschefs. Seinerseits beginnt Prigoschin – wenn auch durch die Blume -, auf die Vorstellung der Obersten des Landes über die Perspektiven der militärischen Sonderoperation, die nicht den Realitäten adäquat ist, anzuspielen.

Derweil werden die Positionen des „Wagner“-Gründers — allem nach zu urteilen — in der nächsten Zeit wirklich erheblich politisch untermauert. Für den 20. Mai ist der Parteitag der Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ geplant, formal für eine Rechenschaftslegung und die Wahl der Parteispitze. Er ist aber wahrscheinlich ein strategischer. Diese Parlamentspartei wird endgültig zu ultrapatriotischen Positionen mit einem bestimmten Verlust des gegenwärtigen Niveaus an Loyalität gegenüber den Herrschenden übergehen. Die Mironow-Partei steht vor einer Neubesetzung der gesamten Führungsriege, obgleich ein Abtreten des gegenwärtigen Parteichefs Sergej Mironow wenig wahrscheinlich ist. Auf anderen Positionen können aber durchaus Mitstreiter von Prigoschin auftauchen. Interessant ist, dass in der Ankündigung für den Parteitag nach wie vor die Teilnahme des Co-Vorsitzenden der Partei Sachar Prilepin ausgewiesen wird, was jedoch nach dem jüngsten Anschlag gegen ihn wohl kaum möglich ist. Es ist aber bezeichnend, dass es die Vertreter der Partei nicht für nötig hielten, die Ankündigung zu aktualisieren. Übrigens, das Verlassen der bisherigen Partei-Nische durch „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ hat laut Informationen der „NG“ eine Reihe von Machtstrukturen, die nicht mit dem Kreml-Kurator für die Innenpolitik liiert sind, dazu veranlasst, das Auftauchen eines gewissen Klubs von Sozialdemokraten zu initiieren, der wie eine gewisse Proto-Partei aussieht. Früher erschien solch eine Konkurrenz auf dem Parteienfeld als eine unmögliche. Jetzt aber ist sie scheinbar nicht bloß eine zulässige. Schließlich besteht die Sache darin, dass die zu etablierende sozialdemokratische Bewegung wie eine potenzielle Alternative zu den patriotischen Heißspornen für die äußere Kontur aussehen wird. Es kann angenommen werden, dass ein Fundament für künftige Kontakte mit eben jener europäischen Sozialdemokratie für eine Zeit gelegt wird, in der die aktiven Kampfhandlungen unweigerlich durch deren Einfrieren für die Suche nach friedlicheren Auswegen aus der Krise ersetzt werden.

Somit besteht die zweite Erklärung für die Geschichte mit der Verstärkung der Autorität jener Figuren, die man im Großen und Ganzen schon lange entsprechend den Strafrechtsparagrafen über die Diskreditierung der Streitkräfte der Russischen Föderation hätte anklagen können, darin, dass sie für eine Politisierung des Themas der militärischen Sonderoperation wirken, womit sich auch die Herrschenden an sich befassen. Aber für die Frage darüber, für welche Ziele dies getan wird, gibt es bisher – wie es scheint – keine Antwort. Augenscheinlich wird sie näher zum Jahresende auftauchen, wenn insgesamt die Zeit für die entscheidenden strategischen Entscheidungen anbrechen wird.