Im Russischen Getreideverband (RGV) beklagt man sich, dass die russischen Brotbäcker in der Produktion Mehl geringerer Qualität zwecks Reduzierung des Preises für fertiges Brot einsetzen. Freilich, die sogenannten stärksten Klassen von Lebensmittelweizen werden in Russland schon mehrere Jahre lang fast nicht mehr erzeugt, ergibt sich aus Angaben von Vertretern der Branche. Das Land erzeugt Weizen mit geringeren Verbrauchereigenschaften. Nach Meinung von Expertenhabe sich auf dem Inlandsmarkt eine „Parität“ herausgebildet: Die Zugänglichkeit von Brot muss eine 100-prozentige sein. Dies zieht aber die Notwendigkeit nach sich, die Produktionskosten zu drücken. Die Mehl-Produzenten erinnern in diesem Zusammenhang: Soziales Brot – dies ist nicht das Premium-Segment. Und Brot mit höheren Verbraucherqualitäten zu finden – dies ist auf dem freien und vom Wettbewerb bestimmten Markt kein Problem.
„Wir essen vor allem qualitativ minderwertiges Brot.“ Mit solch einer Erklärung trat jüngst der Präsident des RGV, Arkadij Slotschewskij, in einem Interview der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS auf. Er beschrieb dieses Schema so: „Da kommt eben dieser Mehlhersteller und sagt: Geben Sie mir Weizen der vierten Klasse. Für mich ist es so wirtschaftlich vorteilhafter. Und er kauft es und fügt Geschmacksverbesserer etc. hinzu. Und danach überlegt der Brotbäcker: Soll er Mehl der höchsten Sorte kaufen oder mit Mehl der ersten Sorte auskommen und bereits dem Mehl Geschmacksverbesserer etc. hinzufügen? Denn wenn er Brot aus Mehl der höchsten Sorte herstellt, kann er es nicht verkaufen, da es teures sein wird – etwa 200 Rubel der Laib“.
Wie dabei Slotschewskij mitteilte, sei in Russland die Erzeugung von Weizen der ersten und der zweiten Klasse im Zusammenhang mit dem Fehlen von Absatzmärkten wesentlich zurückgegangen. „Auf dem Binnenmarkt wird es von keinem gebraucht. Und die Auslandsmärkte sind nicht zugänglich“, wie der Chef des Russischen Getreideverbands auswies. Wie man aber entsprechend dem Interview urteilen kann, ergeben sich einige Probleme für den Absatz auf dem Binnenmarkt auch mit Weizen der dritten Klasse. „Die Brotbäcker fragen oft: Warum erzeugen wir so wenig Weizen der der dritten Klasse, qualitativ hochwertigen Lebensmittelweizen? Diese Frage löst bei mir einen Schock aus. Der durchschnittliche Weizenertrag lag in den letzten Jahren bei mehr als 80 Millionen Tonnen, Weizen der dritten Klasse machte dabei 24 Millionen Tonnen aus. Und der Inlandsmarkt kauft 16 Millionen Tonnen, in einzelnen Jahren waren es 13 Millionen Tonnen“, berichtet Slotschewskij.
Es sei daran erinnert, dass man den Weizen in Abhängigkeit von der Getreidequalität in fünf Klassen unterteilt. Von der ersten, der wertvollsten Klasse bis zu fünften, der vom Wert her minderwertigsten, der Futterweizen-Klasse. Die Untergliederung hängt vom Anteil an Gluten ab. Getreide der 1., der 2. und der 3. Klasse werden traditionell als starker Weizen angesehen. Das übrige Getreide – inklusive des Futtergetreides – als schwaches. Es sei unterstrichen: Die fünfte Klasse wird nicht als Lebensmittelgetreide angesehen und geht üblicherweise ins Tierfutter. Ein wichtiger Aspekt ist: Den sogenannten schwachen Weizen kann man durch das Hinzufügen von starkem aufbessern. Aber mit dem, wie man konstatieren kann, gibt es Probleme.
Im Zentrum für die Qualitätsbewertung von Getreide (eine Institution der russischen Agrar-Aufsichtsbehörde Rosselkhoznadzor) teilte man in der vergangenen Woche mit, dass der Anteil von Lebensmittelweizen (1. bis 4. Klasse) in der Russischen Föderation mit Stand vom 17. Juli 94 Prozent ausmachte (92 Prozent am analogen Tag des vergangenen Jahres). Die Direktorin des Zentrums, Inna Saitschenko, merkte an, dass der Anteil des Weizens der dritten Klasse 29 Prozent ausmachte. Der Anteil von Weizen der 4. Klasse – 65 Prozent. Auf Weizen der 5. Klasse entfielen sechs Prozent. Faktisch ergibt sich aus den Daten, dass überhaupt kein Weizen der 1. und 2. Klasse festgestellt wurde. Im Zentrum konstatierte man, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt 876.000 Tonnen Weizen untersucht worden seien, was 10,2 Prozent der während der Überprüfung erfassten Menge ausmachte. Allerdings könne sich die Situation gar verschlechtern.
Das Problem der geringen Qualität russischen Getreides ist ein schon seit langem bestehendes (was freilich beim gegenwärtigen 2. Gipfeltreffen „Russland-Afrika“ in Petersburg ausgeklammert wird, wenn Kremlchef Putin erklärt: „Moskau wird in den kommenden Monaten in der Lage sein, kostenlose Lieferungen von 25.000 bis 50.000 Tonnen Getreide nach Burkina Faso, Simbabwe, Mali, Somalia, in die Zentralafrikanische Republik und nach Eritrea zu gewährleisten“. – Anmerkung der Redaktion) Ähnliche Ergebnisse hatte das Zentrum für die Qualitätsbewertung von Getreide auch im vergangenen Jahr vorgelegt. Die Messungen im Sommer hatten gezeigt, dass überhaupt kein Weizen der ersten Klasse ermittelt worden war. Der Anteil von Weizen der zweiten Klasse machte 0,1 Prozent aus. Der Anteil von sogenanntem weichem Weizen der 4. Klasse hatte sich bis auf 60 Prozent erhöht, der 3. Klasse – bis auf 31,2 Prozent vom Gesamtumfang des untersuchten Getreides verringert. Aus den Werten für 2019 ergab sich, dass beinahe 80 Prozent des Weizens Getreide der 3. und der 4. Klasse sind. Der fünfte Teil entfiel auf Futtergetreide. Auf Weizen der 1. und der 2. Klasse entfielen damals mikroskopische 0,01 Prozent bzw. 0,04 Prozent.
Die „NG“ hatte bereits 2016 und 2107 berichtet, dass es im Land keine Mechanismen gebe, die die Agrarier stimulieren, qualitativ hochwertiges Getreide anzubauen. Und im Jahr 2016 hatten Experten auch das Augenmerk darauf gelenkt, dass Russland nach der 1. Klasse aufgehört habe, auch Weizen der 2. Klasse anzubauen. „Laut Angaben von Rosstat (Russlands Statistikamt – Anmerkung der Redaktion) und einigen Experten des Marktes für Brot- und andere Backwaren wird ungeachtet der steigenden Werte für die Getreideerzeugung für die Herstellung von Brot im größten Segment Getreide schlechter Qualität verwendet. Und die Menge und die Dynamik der „Verbesserungsstoffe“ in den Brotbäckereien und der Brot-Backgemische in der Russischen Föderation sind ebenfalls ein indirekter Beweis für den Qualitätsrückgang der Brot- und Backwarenerzeugnisse und eine Zunahme des Anteils von Fälschungen in der Branche“, hatten früher Experten mitgeteilt.
Im Verband der Mehl- und Graupen-Unternehmen hatte man früher konstatiert, dass für die Mehlhersteller insgesamt für den Binnenmarkt 18 Millionen Tonnen Weizen genug seien. „In der Regel wird für die Herstellung von Mehl Weizen der dritte Klasse eingesetzt, mitunter, wenn im Getreide ein hoher Gluten-Gehalt ist (26 bis 27 Prozent), kann man ihm Weizen der vierten Klasse hinzufügen. Die Qualität der entsprechenden Mehl-Partie leidet nicht darunter und wird dem staatlichen Standard entsprechen. Somit würden den Mehl-Herstellern alles in allem auch 15 Millionen Tonnen Getreide der 3. Klasse in Reinform ausreichen“, konstatierte Arkadij Gurjewitsch, Mitglied des Verbandsvorstands.
Igor Swiridenko, der Präsident des Verbands der Mehl-Hersteller, betonte, dass das gesamte Mehl, das von der Mehl-Industrie hergestellt und ausgeliefert werde, sicher und qualitätsgerecht sei. „Die geringen Preise werden durch seine Verbrauchereigenschaften und nicht durch die Kategorie „Qualität“ im Sinne von Geeignetsein-Nichtgeignetsein für einen Verzehr in Nahrungsmitteln bestimmt“, erläuterte er der „NG“.
Nach seiner Meinung müsse es im Land unbedingt billiges Brot geben, da dies ein sozial bedeutsames Produkt sei, das für jeden beliebigen Einwohner zugänglich sein müsse. „Dies betrifft aber nur das soziale Brot – aus billigem Mehl und gemäß der Standardtechnologie. Gegenwärtig werden im Land hunderte Sorten von Brot- und Backwaren hergestellt. Daher lassen Sie uns festlegen: Soziales Brot ist billig. Und für dieses wäre es nicht schlecht, Subventionen aus dem Haushalt bereitzustellen. Die Qualität aber (im Sinne der Verbraucher- und der Geschmackseigenschaften) entspricht dem Preis. Die massenhaft produzierten Sorten sind keine teuren. Aber auch keine Delikatesse. Das Premium-Segment, dies sind hohe Verbrauchereigenschaften. Und auch der Preis ist ein entsprechender“, urteilt Swiridenko.
Der Agrarier und Mitinhaber des Gestüts „Jermak“, Kirill Jermolenko, ist der Auffassung, dass die vom RGV beschriebene Situation sowohl eine richtige, gleichzeitig aber auch eine verzerrte sei. „Die Qualität des Weizens ist wirklich zurückgegangen. Und zurückgegangen ist sie vor allem aufgrund des Bestrebens der Landwirte, die Produktionskosten zu drücken, da die Ausgaben für die Produktion ständig und stabil ansteigen. Dabei steigt mal der Preis für Weizen auf dem Inlandsmarkt, mal fällt er. Aber mit einem Export befassen sich unsere Landwirte nicht selbst, da sie dies den Tradern überlassen. Zum Beginn der Aussaat-Kampagne kommt der Landwirt ohne Saatgut, Technik, Spezialisten und Dieselkraftstoff nicht aus. Ohne Düngemittel kann er aber. Dabei weiß er aber von Anfang an, dass er einen Ernteertrag geringerer Klasse erhalten wird. Dies ist die Haupt- und einzige Ursache für den Qualitätsverlust unseres Getreides“, erzählt er.
Nach Meinung von Jermolenko sei die Preisbildung auf dem Binnenmarkt für Weizen eine verzerrte. „Nur aus den Weizen-Klassen 1, 2 und 3 kann man weißes Mehl herstellen, aus dem man im Weiteren Weißbrot bäckt. Doch der Abnahmepreis zwischen der 1. und der 3. Weizen-Klasse ist minimal. Und die 4. Weizen-Klasse wird stets zum Preis der 5. Klasse, das heißt wie für Tierfutter gekauft. Wobei der Weizen hinsichtlich der staatlichen Normwerte als 1. Klasse durchgehen kann, aber in Bezug auf einen als Weizen der 4. Klasse. Und solchen Weizen kauft man nicht, und der Landwirt muss ihn als Futtermittel verkaufen“, versichert der Experte.
„Eine der Ursachen, warum für den Export häufiger Getreide der höchsten Qualität genommen wird, besteht darin, dass es besser gelagert wird und beim Transport weniger verdirbt. Dies stimulierte die Erzeuger, den Anbau gerade von harten (Getreide-) Sorten zu forcieren. Zur gleichen Zeit sichern aber die qualitativ minderwertigeren Sorten oft höhere Erträge. Es ist beständiger gegenüber Krankheiten und Schädlingen sowie den Wetterkapriolen. Durch die geringere Nachfrage auf dem Weltmarkt und aufgrund der höheren Erträge ist solcher Weizen billiger, was auch die Mehl-Hersteller und Brotbäcker veranlasst, ihm den Vorzug zu geben. Und natürlich verringert ein Rückgang der Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Getreide auf dem Binnenmarkt das Exportpotenzial des Landes“, konstatiert Artjom Schachurin, Experte der Investitions- und Consultingfirma „IVA Partners“.
„Der Binnenmarkt gibt dem Mehl geringerer Qualität in größerem Maße den Vorzug. Historisch ist Brot ein sehr wichtiges Produkt in Russland. Und im Zusammenhang damit ist sein Verbrauch ein recht erheblicher. Aus diesem Grunde muss die preisliche Erschwinglichkeit von Brot eine hundertprozentige sein, was minimale Brotpreise bedeutet“, urteilt Jekaterina Nowikowa, Dozentin an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität.