Der Philosoph Alexander Dugin ist auf der Internetseite der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti mit einem offenherzigen Beitrag mit der provokanten Überschrift „Russland braucht eine Zensur und Repressalien“ aufgetreten. In Russland haben diese Termini durchaus bestimmte Konnotationen. Der Denker unterstrich aber, dass es eine Zensur und Repressalien in jeglicher Gesellschaft geben würde. Sie seien nie strikt im Straf- oder Ordnungsstrafrecht festgeschrieben worden. Die Gesetze würden die Träger der herrschenden Ideologie verabschieden. Sie würden auch deren Auslegung vermitteln, erläuterte Dugin. Die westliche liberale Gesellschaft sei in dieser Hinsicht eine genauso totalitäre wie auch die kommunistische oder faschistische. Der Unterschied bestehe lediglich in der Ideologie und den Methoden, ist sich der 61jährige Philosoph sicher. Die Frage bestehe somit aus seiner Sicht nur darin, wie die Zensur und Repressalien in Russland aussehen sollten.
„Bisher hat man das Prinzip eines Verbots für eine Kritik am Präsidenten und an der Armee unter den Bedingungen der Führung der Kampfhandlungen verhängt. Ein durchaus verständliches und transparentes Kriterium. Es besteht gleichfalls eine bereits verabschiedete Bestimmung über das Verbot für eine öffentliche Kritik an der militärischen Sonderoperation an sich. Und je härter der Konflikt ist, umso strenger werden diese Kriterien angewandt“, konstatiert Dugin.
Weiter aber beklagt der Philosoph: Es seien bisher keine ideologischen Kriterien für die Zensur und Repressalien eingeführt worden. Und in die Kategorie der unzuverlässigen gelangen rechte und linke Patrioten – das konservativ-patriotische Segment der Gesellschaft (das selbst Dugin nahe ist) und das links-sozialistische. Dort gibt es Kräfte, die sich etwas zu Schulden kommen ließen, doch gerade die Träger dieser Ideen bilden den Kern der Freiwilligen der militärischen Sonderoperation (die den 525. Tag andauert). Daher seien in ihrer Hinsicht Lockerungen nötig, erklärte er. Bei den Liberalen aber – wie der Autor präzisiert: „bei jenen, die vorsätzlich die Ideologie unseres zivilisatorischen Feindes teilen“ – seien ihre Anschauungen an sich bereits ein belastender Umstand. Daher seien aus seiner Sicht „das Verbot liberaler Massenmedien und das Labeln der Unschuldigsten mit dem Status eines ausländischen Agenten schon ein Schritt in der richtigen Richtung“. Aber ein unzureichender. Der Philosoph ruft die Rechtsschützer auf, alle Liberalen genauso wie die potenziellen Extremisten und Terroristen ins Visier zu nehmen. Buchstäblich nach dem Prinzip: Du hast dich für Karl Popper oder Ayn Rand interessiert, also stellt dies eine Gefahr dar.
Überhaupt können derartige Appelle an und für sich aus einer bestimmten Sicht als extremistische angesehen werden. Die Liberalen, dies sind doch in einer gewissen Art und Weise eine soziale Gruppe. Liegt hier aber nicht ein notorisches „Schüren von Hass oder Feindseligkeit“ aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe vor? Obgleich auf jeden Fall in dieser Hinsicht Dugin wohl kaum etwas droht.
Wenn man einmal die ideologischen Passagen beiseitelässt, decken sich die Äußerungen des als erzkonservativ geltenden Philosophen augenscheinlich zum Teil mit realen Vorstellungen der russischen Offiziellen. Wie auch jener „umgekehrte Cargo-Kult“ – ein Standpunkt, wonach „es bei ihnen im Westen“ auch eine Zensur und Repressalien gibt (in der Ukraine würde man überhaupt erschießen, wie jüngst der Präsident anmerkte). Die Verabschiedung umfangreicher, die Rechte der Bürger einschränkender Maßnahmen im Zusammenhang mit der militärischen Sonderoperation. Und die recht umfangreiche, nicht schwächer werdende sowie oft auf eine willkürlich verstandene Zweckmäßigkeit beruhende Praxis ihrer Anwendung.
Im Zusammenhang mit den aktuellen Inhaftierungen hatten sich jüngst Journalisten bei Wladimir Putin interessiert, ob nicht das gegenwärtige Jahr das Jahr 1937 sei. Der Präsident erläuterte daraufhin die generelle Position der Herrschenden so: „Die Russische Föderation befindet sich im Zustand eines bewaffneten Konflikts mit einem Nachbarn. Ich denke, dass es eine bestimmte Haltung zu jenen Menschen, die uns Schaden im Land zufügen, geben muss… Um Erfolge zu erreichen, darunter auch in der Zone der Kampfhandlungen, müssen wir unbestimmte Regeln einhalten“.
Dies ist auch eine gewisse Anerkennung der Notwendigkeit einer „Zensur und von Repressalien“. Eine andere Sache ist, dass es um die Unzulässigkeit eines „Schlages in den Rücken“ der kämpfenden Armee geht. Dies ist die verständliche und dem Staatsoberhaupt nahe, einfache und direkte Kriegslogik. Die ideologischen Konstruktionen Dugins sind sicherlich eher unverständlich und nicht nahestehende. Die Hauptmessage des Philosophen — „Sie sperren nicht die richtigen ein!“ – wird wohl kaum vernommen werden.