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Die ambitiösen Industriepläne Tadschikistans lösen Fragen aus


In der zweiten Juli-Dekade hat in Jekaterinburg die größte Ausstellung dieses Jahres, die Industriemesse „Innoprom-2023“, stattgefunden, in deren Verlauf Tadschikistans Industrieminister Scherali Kabir die Absicht seines Landes erklärte, für große Projekte ausländische Investitionen zu gewinnen. Die Projekte wurden nicht namentlich benannt. Außerdem wurde erklärt, dass der „Umfang der Industrieproduktion der Republik im Verlauf von fünf Jahren verdoppelt werden soll“. Darunter ist ein alljährliches Wachstum von 20 Prozent zu verstehen. Und die russische staatliche Nachrichtenagentur Sputnik-Tadschikistan betonte sofort, dass „ein Wachstum der Parameter um 20 Prozent ein sehr ambitioniertes ist“. Der Industrieminister fügte hinzu: „Wir sind bereit, die besten Bedingungen zu schaffen, damit sich ein ausländischer Investor in Tadschikistan komfortabel fühlt, ein geschützter ist“.

Es ist schwer zu sagen, wie und durch was ein ausländischer Investor geschützt sein wird, wenn man nicht aufhört, der Republik Angst durch einen Einmarsch afghanischer Mujahedins in Tadschikistan und weiter in Zentralasien zu machen. Aber die Sache ist nicht nur mit Ängsten verbunden. Die Republik beschützt der 201. russische Militärstützpunkt. Ja, und China, dessen Unternehmen sich in der Republik befinden, wird einen Einmarsch nicht zulassen. Die Chinesen wollen eine friedliche Expansion und eine friedliche Entwicklung. Die Sache ist die, dass Scherali Kabir nicht bloß ambitiöse Ziele formulierte. Er berichtete ein zweites Mal in der letzten Zeit über ein beispielloses Wachstum der Industrie, wobei er jedoch nicht erklärte, wodurch solch ein großes Wachstum möglich werden wird.

Streng genommen kann man ein Wachstum der Industrieproduktion durch mehrere Formen fixieren und belegen. Die erste Form ist die einfachste und zuverlässigste: Wenn man vor einem Jahr 100 Erzeugnis-Einheiten herstellte und in diesem Jahr 200 – da haben wir ein Wachstum der Jahresproduktion um das 2fache. Das zweite Verfahren ist auch zuverlässig. Wenn man im vergangenen Jahr Erzeugnisse für eine Milliarde Dollar produzierte. Und in diesem Jahr für zwei Milliarden Dollar. Diese Zahlen fixieren ebenfalls ein Wachstum und sind leicht zu überprüfen. Freilich, die Währung muss dabei eine feste bzw. stabile sein, und keine solche, die im vergangenen Jahr bei 45 Einheiten je Dollar lag. In diesem Jahr aber bei 90 Einheiten. Denn, wenn man eine Dynamik bei einer schwachen Währung zeigen will, wird ein zweifaches Produktionswachstum selbst bei einer Stagnation der Wirtschaft gewährleistet.

Die dritte Form des Erreichens eines drastischen Wirtschaftswachstums ist, öffentlich ein großes Wachstum zu erklären. Dabei muss man sich freilich dessen erinnern, für wen die Worte geäußert werden – für Experten oder für das Volk, das Kilowatt und Kilowattstunden nicht unterscheidet. Solch eine Vorgehensweise ist in den Sowjetjahren verwendet worden, als die Fernsehgeräte mit zwölf Kanälen versehen wurden. Gucken konnte man aber nur zwei, auf denen beinahe ein und dasselbe ausgestrahlt wurde. Worte und die Realität waren für die Sowjetmenschen feierliche Kategorien. Die Sowjetunion gibt es bereits seit mehr als 30 Jahren nicht mehr. In dieser Zeit ist eine Generation herangewachsen, für die es wenig ist, Worten Glauben zu schenken. Und die Worte des Industrieministers (oder wissenschaftlich formuliert: die Prognose) kann man auf verschiedene Art und Weise überprüfen.

Die einfachste Form ist, wenn in ein einzeln herausgegriffenes Land solch ein reicher Investor wie Elon Musk kommt, der am Tag 20 Milliarden Kapitalisierung verlieren kann. Er kommt und kauft das ganze Land auf. (Aufkaufen ist kein gutes Wort, aber zutreffendes.) Aber von einem privaten Investor solche Schritte zu erwarten, ist schwer, allein schon deshalb, weil er innerhalb einer Woche die gesamte Führung austauscht.

Experten ist noch ein Verfahren zur Bewertung eines Industriewachstums „um ein Mehrfaches“ bekannt, was die Führung einiger Entwicklungsländer zu verschweigen vorzieht. Es ist logisch anzunehmen, dass für die Herstellung einer Einheit von Industrie-Erzeugnissen „im vergangenen Jahr“ eine konkrete Menge an Elektroenergie aufgewendet wurde. Logisch ist es gleichfalls, sich dessen zu erinnern, dass eine Zunahme der Industrieproduktion von einer Zunahme der Erzeugung von Elektroenergie abhängt. Diese Abhängigkeit ist keine direkt proportionale, sie ist aber gut auszumachen und kann nicht bestritten werden.

Und wenn im laufenden Jahr die Produktion von Erzeugnissen um 20 Prozent angestiegen ist, so muss auch etwa um 20 Prozent mehr Elektroenergie für deren Herstellung verbraucht worden sein. Wenn in fünf Jahren der Produktionsumfang in Tadschikistan um das 2fache ansteigen wird, so muss auch ungefähr 2mal mehr Elektroenergie dafür aufgewendet werden. Aber unter Berücksichtigung dessen, dass Tadschikistan in der Winterperiode alljährlich unter einem Strommangel leidet, wird auch die Industrieproduktion mit den anderen Wirtschaftszweigen wohl kaum über die Runden kommen und an den Grenzen eines Stromverbrauchs arbeiten.

Es ist bekannt, dass in den entwickelten Industrie- und Agrar-Ländern die Industrie bis zu 85 Prozent der Elektroenergie verbraucht. Die Zunahme der Stromerzeugung ist ein direkter Indikator für das Industriewachstum. Im Agrar- und Industrie-Land Tadschikistan macht die Industrieproduktion etwa 20 Prozent unter allen Wirtschaftsbereichen aus. Das bedeutet: Um in fünf Jahren die Herstellung von Erzeugnissen zu verdoppeln, muss das Land für die Industrie zweimal mehr Strom als im Ausgangsjahr erzeugen oder die Stromerzeugung um 20 Prozent erhöhen.

Bekannt ist gleichfalls, dass die heutige Gesamtleistung des Energiesystems von Tadschikistan um die 5190 Megawatt ausmacht, wobei durch die Wasserkraftwerke 94 Prozent der Elektroenergie erzeugt werden. Und die übrigen Stromerzeugungskapazitäten bringen die restlichen sechs Prozent. Folglich muss die Zunahme der Kapazitäten für die Industrie in den fünf Jahren 1038 Megawatt ausmachen. Jedoch ist allen, darunter den Investoren klar, dass Tadschikistan im Verlauf von fünf Jahren wohl kaum solche zusätzlichen Stromerzeugungskapazitäten in Betrieb nehmen kann. Die Inbetriebnahme neuer Aggregate durch das Rogun-Wasserkraftwerk ist problematisch. Daher erinnert man sich nicht mehr des Kraftwerks. Tadschikistan und Usbekistan haben die Errichtung von zwei Wasserkraftwerken am Serafschan-Fluss mit einer summarischen Leistung von 275 Megawatt begonnen. Im Land gibt es die technischen Unterlagen für mittelgroße und kleine Wasserkraftwerke. Aber all dies zusammen macht lediglich ein Drittel des Erforderlichen aus. Und wann neue Wasserkraftwerke errichtet werden, ist eine große Frage. Und die erforderliche Erhöhung des Umfangs an Elektroenergie und folglich der Industrieproduktion wird nicht aus dem „von irgendwoher“ geschehen. Dies belegen auch ausländische Daten. Eine Verringerung der Stromerzeugung behindert ein Wachstum der Industrieproduktion.

Der vorliegende Beitrag wäre kein vollständiger, wenn in ihm nicht die Mitteilung des tadschikischen Ministeriums für Industrie und neue Technologien vom 14. November 2022 berücksichtigt werden würde. „Die Industriellen Tadschikistans haben sich verpflichtet, im Verlauf von fünf Jahren die Produktion von Industrieerzeugnissen um das 2,5fache zu erhöhen – von 38,8 Milliarden Somoni (die tadschikische Währung) im Jahr 2021 bis auf 95 Milliarden Somoni im Jahr 2026“. In dieser Mitteilung heißt es gleichfalls, dass man in Tadschikistan plane, 870 neue Industrieunternehmen in Betrieb zu nehmen. Wie soll man diese unterschiedlichen Zahlen verstehen, wenn der bereits erwähnte Industrieminister Scherali Kabir am 16. Februar 2023 erzählte, dass allein im Jahr 2022 in Tadschikistan 505 neue Unternehmen und Werksabteilungen geschaffen worden seien? Und wenn dem so ist, so ist unklar, warum im Verlauf von fünf Jahren die Schaffung von insgesamt 870 neuen Unternehmen geplant ist.

Urteilt man anhand der unterschiedlichen Zahlen, so nennt man sie, wann man will und wie man will. Allerdings wird in fünf Jahren wahrscheinlich die unsterbliche Erklärung erklingen: „Außer Spesen nichts gewesen“.