Ein Transit von Waren aus China, der EU, der Türkei und anderen Ländern nach Russland erfolgt über Kirgisien. Diese mittelasiatische Republik wird zu einem Hub für den Transport von mit Sanktionen belegten Waren in die Russische Föderation. Die USA sind darüber besorgt, dass Bischkek diese Restriktionen nicht einhält sowie der Russischen Föderation und ihren vertrauten Personen hilft, den Sanktionen auszuweichen. Jüngst waren Vorwürfe an die Adresse der kirgisischen Offiziellen aus dem Mund von Robert Menendez, dem Vorsitzenden des US-Senatsausschusses für Außenpolitik, zu vernehmen. Präsident Sadyr Dschaparow bezeichnete dies als Versuche, Druck auf Kirgisien auszuüben.
Kirgisien erlebt einen Logistik-Boom. Geschaffen wird ein globales Netzwerk von Warenlieferungen aus China in die Länder Zentralasiens – und in erster Linie nach Kirgisien. Der Umfang des Außen- und gegenseitigen Handels Kirgisiens machte im Zeitraum Januar-April dieses Jahres 3,8855 Milliarden Dollar aus.
In diesem Zeitraum hat die Republik Waren und Erzeugnisse im Wert von 616,4 Millionen Dollar exportiert, meldet das Wirtschaftsportal www.tazabek.kg unter Verweis auf statistische Angaben. Ein großer Teil der Waren gelangt aus China nach Kirgisien. Schon heute ist eine kurzfristige Erweiterung der Durchlasskapazitäten an den beiden Grenzübergangsstellen Torugart und Irkeschtan notwendig.
Die Transportunternehmen, die sich mit der Frachtgut-Beförderung befassen, sind zu Milliardären geworden. Wie Grigorij Michailow, Chefredakteur des Wirtschaftstelegram-Kanals „LogiStan“, der „NG“ sagte, sei der Transit von Frachtgütern eine Goldader für jene, die sich heute mit diesem Business befassen würden. „Der Transit von Frachtgütern erfolgt in erster Linie aus China nach Russland, aus der EU in die Russische Föderation, aus der Türkei – auch hierher und so weiter. Offiziell billigen weder Kirgisien noch Kasachstan einen Transit von Sanktionswaren. Mehr noch, sie erklären, dass sie bereit seien, gegen einen Reexport vorzugehen. Wie ist dann aber die Errichtung dutzender Logistik-Komplexe in der Umgebung von Bischkek zu erklären, die für eine Lagerung und einen Umschlag von Frachtgütern bestimmt sind?“, fragte rhetorisch Michailow. Nach Aussagen des Experten gebe es noch einen Trend – die Einrichtung von Produktionsstätten für die Herstellung europäischer und chinesischer Markenartikel. Beispielsweise habe Usbekistan begonnen, Erzeugnisse der internationalen Marke NIKE zu produzieren.
„Eröffnet werden Fabriken, Werke und kleine Produktionsstätten für Elektronik, Haushaltstechnik, Nahrungsmittel und vieles andere, um Erzeugnisse vor Ort zu produzieren. Zumal die EU-Länder wahrscheinlich ab dem 1. September vollkommen einen Transit von mit Sanktionen belegten Frachtgütern über das Territorium Russlands in die Länder Zentralasiens verbieten können“, betonte Michailow.
Für Kirgisien sei dies nach seinen Worten eine zweite Chance, um die eigene Wirtschaft spürbar anzuschieben. Die erste Chance hatte sich zu Beginn der 2000er Jahre ergeben, als in der Republik der Markt „Dordoy“ prosperierte, über den der chinesische Reexport erfolgte. Das Land hatte sie aber nicht genutzt. Heute sei für Kirgisien vom Wesen her ein gewisser Mega-„Dordoy“ entstanden. In Kasachstan herrsche eine analoge Situation. Dies belege, dass die Vorwürfe der USA nicht grundlos seien. Für Russland und Kirgisien sei dies aber eine Wohltat. Bischkek werde einen wesentlichen Gewinn auch durch den Transit von Frachtgütern über die Bahnverbindung China-Kirgisien-Usbekistan erhalten, deren Einrichtung die Seiten mit großer Verspätung begonnen haben, übrigens, aufgrund der mangelnden Bereitschaft Kirgisiens, sich auf handfeste Vereinbarungen einzulassen.
Daher ist es logisch, dass die signifikante Zunahme der Import- und Export-Operationen zwischen Kirgisien und Russland nach Beginn der russischen militärischen Sonderoperation in der Ukraine begann, im Westen Besorgnis auszulösen. In einem Brief von Senator Menendez wird darauf verwiesen, dass die Offiziellen Kirgisiens „solch einen Handel nicht regulieren, womit sie Komplizen Russlands werden, das Gegenstände für militärische Zwecke inklusive Drohnen, Bauteile für Flugzeuge, Ersatzteile für Waffen und Mikrochips illegal importiert“. Er forderte die kirgisische Regierung auf, unverzüglich diese ernsthaften Vorwürfe hinsichtlich eines Abgehens von den Sanktionen zu untersuchen und zuverlässigere Prozeduren für die Verhinderung eines widerrechtlichen Warenstroms über das Territorium der Republik festzulegen.
Es versteht sich, dass es auch nicht ohne die „Ideologie“ abgelaufen ist. Menendez äußerte Befürchtungen hinsichtlich dessen, dass „die Unfähigkeit Kirgisiens, die internationalen Sanktionen gegen Russland einzuhalten, … ein Symptom für das andauernde Abgehen von der Demokratie und für die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen im Land ist“. Der Senator erinnerte, dass die amtierende Regierung „mehrfach die Rechte von Journalisten und unabhängigen Massenmedien verletzte, Menschenrechtler verfolgte und Vertretern der Zivilgesellschaft Restriktionen auferlegte“.
„Die einst ein Orientierungspunkt für die Demokratie in Zentralasien gewesene Republik Kirgisien bewegt sich auf einem gefährlichen Weg zu einer Autokratie. Ich rufe Sie auf, alle Restriktionen gegen unabhängige Massenmedien und Journalisten aufzuheben, eingesperrte Menschenrechtler freizulassen und die Maßnahmen zu annullieren, die die Grundfreiheiten – solche wie die Versammlungsfreiheit – einschränken“, fügte Menendez hinzu.
Worauf Sadyr Dschaparow erklärte, dass es keine Gründe gebe, um zu denken, dass „Kirgistan Russland hilft, die Sanktionen zu umgehen“. „Russland und China hängen nicht von dem kleinen Kirgistan ab. Diese Länder sind auch so Nachbarn. Zwischen ihnen gibt es 4.000 Kilometer einer gemeinsamen Grenze. Wenn Russland möchte, kann es mit Bahnwaggons oder gar mit Schiffsfrachtern jegliche Waren einführen, die es wünscht“, betonte Dschaparow. Außerdem teilte er mit, dass Bischkek eine neutrale Position einnehme. Und das Schreiben von Menendez charakterisierte er als einen Versuch, Druck auf die Republik auszuüben.
Die Worte des US-amerikanischen Senators können jedoch bedeuten, dass sich nun auch Bischkek unter einem Sanktionsdruck wiederfinden wird. Freilich wird es nicht leicht werden, irgendwelche Handels- und Wirtschaftssanktionen zu realisieren, wenn man die engen Verbindungen Kirgisiens mit dem chinesischen, dem kasachischen und dem russischen Markt berücksichtigt. Experten räumen ein, dass, auch wenn Sanktionen verhängt werden, sie nur punktuelle und in Bezug auf private Unternehmen sein werden.