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Braucht Russland ein Einfrieren der militärischen Sonderoperation?


Im Westen hat man begonnen, über die Möglichkeit eines Einfrierens des Ukraine-Konflikts zu sprechen, unter anderem unter Berücksichtigung der russischen territorialen Gewinne. Solch eine Variante wird in den Massenmedien als eine hypothetische, als eine Diskussionsvariante erörtert, unterschwellig sogar als ein bevorzugtes Szenario für die Entwicklung der Ereignisse. Es vollziehen sich bestimmte Veränderungen in der Wahrnehmung des Verlaufs und der Perspektiven der Kampfhandlungen.

In den Ländern des Westens gibt es viele Voraussetzungen für eine Abschwächung der Kampflust. Die hauptsächlichste ist die Enttäuschung hinsichtlich der Fähigkeit der Streitkräfte der Ukraine, auf dem Schlachtfeld zu siegen. Die Ergebnisse der ukrainischen Streitkräfte im Verlauf der Sommer-Herbst-Gegenoffensive werfen die Berechnungen der Strategen über den Haufen, die geplant hatten, die Russische Föderation mittels Schläge der Truppen zu schwächen, die mit westlichen Waffen ausgerüstet und nach westlichem Vorbild geschult wurden. Dies hatte eindeutig nicht funktioniert. Der Westen brauchte eine neue Strategie, die allem nach zu urteilen den in dieser Etappe durch Russland aufgezwungenen langwierigen Charakter der Kampfhandlungen berücksichtigt. Und ergo auch die Notwendigkeit, immer die Industrie, die Wirtschaft auf militärische Ziele umzustellen, um die riesige Front für eine unbestimmt lange Zeit zu versorgen und immer mehr in den Konflikt mit potenziell nichtvoraussagbaren Folgen verwickelt zu werden.

Diese Sackgassen-Situation will man im Westen augenscheinlich umgehen. Die Ermüdung aufgrund des sich in die Länge ziehenden Konflikts führt dazu, dass die uneingeschränkte Unterstützung für Kiew zu einer innenpolitisch toxischen wird – in einem größeren oder geringeren Maße. Dies findet unter anderem in der Revision der Parameter für die Programme der Militärhilfe einen Niederschlag. Außerdem ist die Aufmerksamkeit Washingtons gegenwärtig auch auf den Nahen Osten gerichtet, was für Kiew eine gefährliche Situation aus der Sicht der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit und die Ressourcen schafft.

Derzeit sind die Seiten des Konflikts nicht zu seiner Beendigung bereit. Für Kiew wird jegliche Abschwächung der mehrfach erklärten maximalistischen Position – die Rückkehr zu den Grenzen von 1991 – einer Niederlage gleichkommen. Es wird bis zum Letzten auf Washington Druck ausüben, wobei es den Umstand ausnutzt, dass die Möglichkeiten für ein Manipulieren mit der Militärhilfe seitens der USA eingeschränkt sind, auch wenn für sie ein Sieg Russlands unannehmbar bzw. nicht wünschenswert ist.

Für die Russische Föderation ist etwas anderes wichtiger. In der westlichen Wahrnehmung ist scheinbar überhaupt kein Platz für eine Analyse der Bereitschaft Russlands zu einer Aussöhnung mit der Ukraine. Als ob Frieden durch ein Fingerschnipsen erreicht werden könne. Ja, Moskaus Haltung ist offensichtlich eine flexiblere als die von Kiew. Wenn aber die Ukraine in die Phase einer außenpolitischen Unbestimmtheit eintritt, macht es da Sinn, fremde Spiele zu spielen und ihr eine Atempause zu verschaffen? Ist es nicht besser, diesen Moment auszunutzen, um die Ziele der militärischen Sonderoperation zu erreichen oder deren Umsetzung näherzubringen? Die Ressourcen sind dafür scheinbar vorhanden. Auf jeden Fall sind sie größer als die der Ukraine, für die es schwieriger wird, den Konflikt unter Bedingungen einer instabilen westlichen Unterstützung fortzusetzen.

Russland wird natürlich ein Streben nach Frieden demonstrieren. Daher sind neue demonstrative Gesten in der Art einer zeitweiligen Feuereinstellung, wie dies bereits zu Weihnachten der Fall gewesen war, nicht ausgeschlossen. Aber ein Übergang zu einem Einfrieren des Konflikts und zu gegenstandsbezogenen Verhandlungen ist augenscheinlich nicht früher als Ende des Jahres 2024 bzw. des Beginns des Jahres 2025 möglich, wenn in den USA die Zeit der Präsidentschaftswahlen zu Ende geht und sich irgendeine Bestimmtheit mit dem weiteren westlichen Kurs abzeichnet.

Dabei ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass ein Einfrieren des Konflikts, durch welche Erwägungen dies auch immer motiviert wird, faktisch eines bedeuten wird: An den Westgrenzen Russlands hat sich die Ukraine zu einer langfristigen strategischen Bedrohung verwandelt. Mit jeder Lieferung von Waffen und Technologien sowie Bereitstellung von Personal für Kiew wird jeder Spitzenvertreter in Moskau unverzüglich eine Erhöhung des Grades der strategischen Bedrohung fixieren. Dies ist die Realität, und man muss sich daran gewöhnen, mit ihr zu leben. Die Welt um Russland wird bereits nie wieder die frühere sein. Und die Grenzen für einen möglichen Kompromiss werden lediglich deutlicher das Profil dieser eigentlichen strategischen Bedrohung als eine neue Realität bestimmen. Es ist nicht gelungen, im Handumdrehen das Problem zu lösen. Es muss langfristig gelöst werden.