Je näher der 1. August kommt, wenn die russischen Regionen das Recht erhalten, die Erdgas-Tarife für die Bevölkerung anzuheben, umso mehr Veröffentlichungen tauchen in den sozialen Netzwerken auf, die die Inlandstarife in der Russischen Föderation und die Großhandelspreise in Europa, zu denen „Gazprom“ seine Produkte für den Export verkauft, vergleichen. Laut Berechnungen von Bloggern ergibt sich, dass das Gasmonopol sich angeschickt hat, seine auf den internationalen Märkten ins Wanken geratenen Angelegenheiten zu Lasten der Bürger Russlands in Ordnung zu bringen.
„Den Deutschen verkauft „Gazprom“ das Gas derzeit für 70 US-Dollar je eintausend Kubikmeter. Für den Bürger Russlands im Moskauer Gebiet beträgt der Tarif 6859 Rubel (wenn das Gas unter anderem zum Heizen genutzt wird). Das sind 97 US-Dollar. Doch dies ist für unseren Staatskonzern wenig. Ab 1. August indexiert „Gazprom“ den Tarif um 3 Prozent. Das heißt, er rundet den Preis bis auf 100 Dollar auf. Das ist um ein Drittel teurer, als er das gleiche Gas an die Deutschen mit einem Transport über tausende Kilometer nach Deutschland verkauft“, rechnen Blogger vor.
Die Sommer-Indexierung der Großhandelspreise für Gas ist in diesem Jahr für den 1. August angekündigt worden. „Gazprom“ hat bereits über die Anhebung der Preise um 3 Prozent ab dem 1. August sowohl für die Bevölkerung als auch für die anderen Verbraucher informiert.
Nun werden die Regionen über eine Veränderung der Gas-Einzelhandelspreise für die Bürger entscheiden. Für die Einwohner des Verwaltungsgebietes Saratow wird beispielsweise der Preis des Gases, das für Heizzwecke oder für Heizzwecke mit einer gleichzeitigen Nutzung des Gases für andere Zwecke von 5,38 auf 5,56 Rubel je Kubikmeter ansteigen (ein Anstieg um 18 Kopeken oder 3,5 Prozent). Nach Multiplikation des Tarifs um 1000 (in solchen Einheiten berechnen Experten die Exportpreise) erhalten wir 5560 Rubel für 1000 Kubikmeter Gas. Und entsprechend dem Kurs der Zentralbank, der für den Montag, den 27. Juli für einen US-Dollar festgelegt worden war, erhalten wir 77,5 Dollar. Soviel kostet den Einwohner dieses Verwaltungsgebietes das Erdgas. Im Verwaltungsgebiet Wladimir gilt bereits seit Juli der Tarif von 7,48 Rubel. Für 1000 Kubikmeter bezahlen die Einwohner dieser Region folglich umgerechnet jeweils 104,3 Dollar.
In den vorangegangenen Jahren, als „Gazprom“ über einen Durchschnittspreis der Exportlieferungen von jeweils 200 und mehr Dollar für 1000 Kubikmeter berichtete, ergab sich, dass die Bürger Russlands weitaus weniger zahlen. Laut Angaben von der „Gazprom“-Internetseite betrug der Durchschnittspreis für das ins ferne Ausland gelieferte Gas (nach Abzug der MWSt., inklusive Akzise und Zollgebühren) 210,6 Dollar im Jahr 2019. Geringer war er lediglich in den Jahren 2017 (200,2 Dollar) und 2016 (176 Dollar). Ernsthafte Preisexplosionen gab es 2018 (246,4 Dollar) und 2015 (245,6 Dollar).
In den letzten Monaten schwanken jedoch die Notierungen in einem Bereich von 50 bis 70 Dollar für 1000 Kubikmeter. Die Experten erinnern sich nicht an solche niedrigen Preise. Selbst in der Krise von 2009 lagen die Preise auf einem Niveau von 140 Dollar. Der Exportpreis von „Gazprom“ brach im Mai bis auf 94 Dollar ein. Und dies liegt unter dem Preis für verlustfreie russische Gaslieferungen nach Europa, berechnete man in der Nachrichtenagentur „Interfax“. Laut deren Angaben liege der Preis für verlustfreie Lieferungen bei 100 Dollar. 13 Dollar machen die Selbstkosten der Förderung aus, 14 Dollar – Steuer auf die Gewinnung von Bodenschätzen, 27 Dollar – Transport durch Russland, mindestens 20 Dollar – Transport zu den Zielmärkten in Europa. Im Ergebnis kommen über 70 Dollar heraus. Und dazu muss man aber noch die Zollgebühr von 30 Prozent hinzufügen.
Jüngst erklärte Alexander Iwanow, Leiter des Finanzdepartments von „Gazprom“, dass die Talsohle für den Verfall der Gaspreise in Europa überwunden worden sei. „Hinsichtlich der Spotpreise an den europäischen Hubs gibt es Gründe zur Annahme, dass wir zum heutigen Tag den Tiefpunkt bereits passiert haben. Eine stabilere Ausbalancierung des Marktes kann man beginnend ab dem vierten Quartal des Jahres 2020 erwarten“, bekundete er die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Preise. Im Mai erreichten die Spotpreise für Gas in Europa ein Minimum. Die durchschnittliche Notierung für Gas sackte am für Europa wichtigsten Hub, dem niederländischen TTF, bis auf 52 Dollar ab. Genau solch ein Preis wurde dort auch am vergangenen Samstag (25. Juli) für Erdgas notiert.
Es ist offensichtlich, dass die Großhandels- und Spotpreise weit von dem entfernt sind, was die Europäer für das russische Gas bezahlen. Laut Angaben der Agentur RIA Rating lag im ersten Halbjahr des Jahres 2020 der höchste Erdgas-Preis für die Bevölkerung im relativ kühlen Schweden bei 1331 Dollar. Doch auch das heiße Spanien lag nicht stark zurück: 1154 Dollar. Die Einwohner des größten Käufers russischen Erdgases in Europa – von Deutschland – zahlen jeweils 666 Dollar. Und die von Portugal, das bis zu den zwei letzten Krisen ein gewisser Orientierungspunkt für die russischen Offiziellen war – jeweils 878 Dollar. Im benachbarten Weißrussland zahlen die Einwohner jeweils 134 Dollar. Und am Ende des Ratings aus 33 Ländern liegt Kasachstan, das einzige Land, in dem das Gas für die Bevölkerung billiger ist als für die Bürger Russlands – 45 Dollar gegenüber 88 Dollar.
„Die Blogger können das Preisverhältnis berechnen, wie ihnen recht ist. Doch adäquat kann nur ein Vergleich der Preise für ähnliche Verbraucherkategorien sein“, meint Stanislaw Mitrachowitsch, führender Experte der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation. Was die Preise an den Börsen in Europa angehe, so seien sie für Großhandelseinkäufer, die beim Weiterverkauf „bis an den Gasherd“ um ein Vielfaches ansteigen. Außerdem verkauft „Gazprom“ das Gas vor allem entsprechend langfristiger Verträge, in denen gleichwohl auch teilweise eine Spot-Indexierung vorkommt (das heißt, es wird der Gaspreis an der Börse berücksichtigt), doch im Großen und Ganzen ist der Gaspreis in den langfristigen Verträgen an den Ölpreis gekoppelt, weshalb der Preis gemäß den langfristigen Verträgen höher ist als der Preis an den Börsen.
„Der Anstieg der Gaspreise in Russland, der im Sommer des Jahres 2020 annonciert wurde, befindet sich im Spielraum der Inflationsrate. Ohne eine schrittweise Anhebung der Gaspreise zumindest bis auf das Niveau der Inflation ist es schwer, sich die Möglichkeit eines Akkumulierens von Mitteln durch die Gasindustrie für ihre weitere Entwicklung und zumindest die Bewahrung der vorhandenen Infrastruktur vorzustellen“, sagt Mitrachowitsch.
„Der Binnenmarkt ist für „Gazprom“ zu einem vorteilhafteren als die Lieferungen nach Europa geworden, da „Gazprom“ beim Export von Pipelinegas einen Exportzoll zahlt und Geld für die Lieferung des Gases nach Europa ausgibt“, sagte der „NG“ der führende Analytiker der Stiftung für nationale Energiesicherheit, Igor Juschkow. „Wichtig ist aber zu verstehen, dass sich die Preise auf dem europäischen Markt regelmäßig ändern. Auf dem Spotmarkt erfolgt dies jeden Tag. In Russland aber zahlt die Bevölkerung entsprechend Tarifen, die durch das Föderale Kartellamt (FAS) festgelegt werden. Die Preise werden bei uns nicht geringer, doch sie steigen auch nicht in Abhängigkeit von der Konjunktur des Weltmarktes. Deshalb werden die Gaspreise in Russland, wenn sie in der Zukunft in Europa über die 200 Dollar gehen, nicht auf entsprechende Art und Weise ansteigen. In der Regel werden sie entsprechend der Inflationsrate indexiert.“
Die Ähnlichkeit der Preise zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eher nicht mit dem hohen Preis für das Gas auf dem russischen Markt zu erklären, sondern mit den geringen Preisen auf dem europäischen Markt, erläutert der Experte. „Dort ist der Preisverfall mit einer Vielzahl von Faktoren, die zusammengekommen sind, zu erklären. Dies sind sowohl der warme Winter als auch das Überangebot von LNG sowie das Coronavirus in der ganzen Welt, das zu einer Verringerung der Nachfrage und dementsprechend zu einer Übersättigung der Märkte führte.“
Nach Meinung von Igor Juschkow werde die Situation auf dem europäischen Markt zu keiner Verringerung der Gaspreise in Russland, besonders für die Bevölkerung, führen, da dieTarife bei uns das Kartellamt festlege. „Im Gegenteil, die Gas-Konzerne können die Aufsichtsbehörde bitten, die Preise höher anzuheben, da jetzt beispielsweise „Gazprom“ den nichterhaltenen Gewinn vom russischen Markt nicht auf dem Auslandsmarkt kompensieren kann“, meint der Experte.
Das System der Preisbildung für Gas in der Russischen Föderation muss vervollkommnet werden, doch die Unternehmen streiten hauptsächlich um die Parameter der Preisbildung für die Abnehmer in der Industrie. Mit den Lieferungen für die Bevölkerung möchte aber keiner etwas zu tun haben, sagt Juschkow. „Das Problem besteht nicht nur in den Nichtzahlungen, sondern auch in der Ungleichmäßigkeit des Gasverbrauchs durch die Bevölkerung und kommunalen Dienste. Im Winter kann eine Woche im Jahr starker Frost herrschen, und der Verbrauch schnellt hoch. Dementsprechend werden die Unternehmen, die garantierenden Lieferanten verpflichtet sein, das ganze Jahr über große Reserven an Kapazitäten vorzuhalten, um sie lediglich einmal im Jahr, in eben dieser kalten Woche, hochzufahren. Gegenwärtig liegt diese Pflicht bei „Gazprom“. Interessenten, sie zu übernehmen, gibt es vorerst keine“, sagt der Experte.