Russland hat am 8. März gleichfalls den Internationalen Frauentag gefeiert, der bekanntlich durch die deutsche Frauenrechtlerin und Politikerin Clara Zetkin initiiert worden war. Immerhin kommen gegenwärtig auf 1000 Männer 1151 Frauen in der Russischen Föderation. Und dieses Verhältnis wird derzeit auch durch den Ukraine-Krieg beeinflusst, denn viele Männer haben ihr Leben an der Front verloren oder sind verwundet worden. Frauen überwiegen in vielen Bereichen der Wirtschaft, im sozialen und Bildungsbereich, in der Politik spielen sie gleichfalls eine zunehmende Rolle, zumal: Sie wollen ebenfalls Karriere machen. Die Folge – u. a. ein Verzicht auf Kinder, so dass die demografische Situation im Land nach wie vor kritisch ist und noch lange so bleiben wird. Den Offiziellen gefällt dies natürlich nicht, so dass restriktive Maßnahmen geplant und ergriffen werden, die von der Kirche gern abgesegnet werden. Davon war freilich in der Videobotschaft des Kremlchefs zum Frauentag fast nichts zu hören. „Sie übernehmen Verantwortung für die Lösung mitunter sehr schwieriger Aufgaben, erreichen Erfolge, beeindruckende Ergebnisse in den unterschiedlichsten Bereichen, frappieren uns Männer durch das Können, alles schnell, geschickt und zur gleichen Zeit sorgfältig zu bewerkstelligen, wobei alle Details berücksichtigt werden. Sie werden mit einem ganzen Berg von Problemen und Mühen fertig und bleiben bezaubernde und anziehende“, erklärte das 71jährige Staatsoberhaupt. Was die Familie im Leben der russischen Frauen angeht, so betonte er aber: „Das Wichtigste für jede Frau sind, welchen Beruf sie auch auswählt und welche Höhen sie da erreicht, die Familie, die Verwandten und Nächsten, die unermüdliche Fürsorge für die Kinder, für deren Gesundheit, Ausbildung sowie das Streben, sie so zu erziehen, dass sie als würdige und erfolgreiche Menschen aufwachsen“.
Und zum Sahnehäubchen des Feiertages sollte ein neuer Erlass des Präsidenten werden, der am Freitag veröffentlicht wurde und demzufolge – sage und schreibe – 52 (!) Frauen begnadigt wurden, die Haftstrafen verbüßen. Laut letzten offiziellen Angaben des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug, die seit dem Jahr 2021 nicht mehr aktualisiert wurden, befanden sich im genannten Jahr 42.000 Frauen in Straflagern. Experten, die von einem Rückgang dieser Zahl in den vergangenen Jahren ausgehen, berechneten jedoch: Die 52 begnadigten Frauen machen etwa 0,1 Prozent der inhaftierten aus. Eva Merkatschjowa, Mitglied des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen, hatte bei einem letzten Treffen mit Putin im vergangenen Dezember erklärt, dass eine Amnestie ca. 25.000 Häftlinge betreffen könnte. Mit Sicherheit wird sie nicht glücklich über die lächerlich geringe Zahl der begnadigten Frauen sein. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein, wie erste Reaktionen im russischen Internet belegen, denn die Moskauer Journalistin hatte vor drei Monaten erklärt: „Ich bitte, alle Frauen zu begnadigen, die erstmals gewaltfreie Straftaten begangen haben, in deren Fällen es keine Opfer und keine, die nicht gegen deren Freilassung auftreten, sind“. Das russische Staatsoberhaupt ließ sich „von den Prinzipien der Humanität“ bei der Begnadigung leiten, ist auf der offiziellen Kreml-Internetseite zu lesen, und beschränkte sich auf 52 Frauen, „die minderjährige Kinder haben, schwanger sind, aber auch Verwandte haben, die an der militärischen Sonderoperation (Russlands in der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) teilnehmen“ (Ende des Zitats).
Von der Amnestie ausgeschlossen blieben laut bisherigen Informationen viele Frauen, deren Namen in den letzten Wochen und Monaten im Zusammenhang mit Gerichtsprozessen aufgrund einer angeblichen Diskreditierung der russischen Armee oder einer unerwünschten politischen Tätigkeit Schlagzeilen machten. An einige sei an dieser Stelle erinnert, obgleich die Liste weitaus länger ist. In Petersburg erhielt die Künstlerin Alexandra Skotschilenko eine siebenjährige Haftstrafe, weil sie in einem Supermarkt fünf kleine Preisschilder gegen Sticker mit Informationen über den Ukraine-Krieg ausgetauscht hatte. In dieser Woche wurde in Moskau die U-Haft für die Theatermacherinnen Jewgenij Berkowitsch und Swetlana Petrijtschuk bis zum 10. April verlängert. Ende April erwartet sie der Beginn eines Prozesses wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“, die man in ihrem Theaterstück „Finist – Heller Falke“ ausgemacht haben will. Darin heiraten junge Russinnen Krieger des „Islamischen Staates“ und folgen ihnen (die Vorlage bildete das reale Schicksal der Moskauerin Warwara Karaulowa). In dem beim größten russischen Theaterfest „Goldene Maske“ wurde das Stück ausgezeichnet und gefeiert. Nicht begnadigt wurde ebenfalls Lilia Tschanyschewa aus Ufa, die einst den Nawalny-Stab in der Hauptstadt Baschkiriens geleitet hatte. Mehr als sieben Jahre Lagerhaft erhielt sie wegen der angeblichen Anstiftung zu Massenprotesten, was die Staatsanwaltschaft als zu milde empfindet. Wann der Prozess neu aufgerollt wird, ist heute unklar. Neun Jahre Lagerhaft erhielt Xenia Fadejewa aus Tomsk, weil ihr die Organisierung einer extremistischen Gemeinschaft unter Ausnutzung der Dienststellung einer Stadtabgeordneten sowie die Beteiligung an einer Organisation, die die Persönlichkeit und Bürgerrechte antastet, vorgeworfen wurde.
52 Bürgerinnen Russlands wurden durch Präsident Putin am 8. März per Amnestie-Erlass begnadigt. Richtig Freude kommt da nicht auf. Es bleibt vielmehr ein bitterer Beigeschmack, der sich – schaut man sich die Gerichtstermine an, die durch das unabhängige Menschenrechtsmedia-Projekt OVD-INFO veröffentlicht werden – mit Sicherheit noch verstärken wird.
Lächerliche 0,1 Prozent
19:08 9.03.2024