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Was für einen Kosmos brauchen wir?


  1. Am 12. April 1961 absolvierte der Bürger der Sowjetunion, Juri Alexejewitsch Gagarin, den ersten Flug in der Menschheitsgeschichte mit einem Raumschiff aus dem OKB-1 (Versuchs- und Konstruktionsbüro-1) ins Weltall. Der Generalkonstrukteur des sowjetischen Kosmos-Programms war Akademiemitglied Sergej Pawlowitsch Koroljow.

    Der Tag der Raumfahrt, der 12. April ist wohl einer der bekanntesten (und am meisten geachtete) Feiertag im heutigen Russland. Laut allen soziologischen Untersuchungen bleiben die Erschließung des Kosmos und die Raumfahrtindustrie der Russischen Föderation auf den Spitzenpositionen der Ratings in Bezug auf die Frage „Worauf kann Russland stolz sein?“. Dies hebt allerdings nicht die Tatsache auf, dass nur acht Prozent der befragten Bürger Russlands der Auffassung sind, dass die Weltraumforschung in den letzten 20 Jahren das Lebensniveau in unserem Land positiv beeinflusst hat (laut Angaben des staatlichen Meinungsforschungszentrums VTsIOM). Möglicherweise gibt es da aber nichts Paradoxes.

    Die Raumfahrtindustrie ist eine der perspektivreichsten und rasch wachsenden Richtungen der Wirtschaft. Laut Angaben von Deloitte hatte mit Stand per Ende des Jahres 2022 der globale Kosmos-Sektor seit dem Jahr 2013 direkte Investitionen im Umfang von 272 Milliarden Dollar für 1791 Unternehmen gewonnen. Russland überlässt allmählich den USA und China diesen Markt. Im Jahr 2016 überholte China erstmals Russland hinsichtlich der Anzahl der Starts von Weltraumraketen. Ab Mitte der 2010er Jahre hat sich die Situation für uns kritisch zu verändern begonnen. Der Grund: Das US-amerikanische Unternehmen SpaceX ist auf den Markt der kommerziellen Raketenstarts gekommen. Die russische Raumfahrtagentur Roskosmos kann bisher nicht mit den Projekten für die Trägerraketen Falcon 9 und Falcon Heavy von Elon Musk konkurrieren.

    „Seit Beginn der 2000er Jahre sind in Russland bezüglich der Anzahl der Starts faktisch keine signifikanten Trägerraketen entwickelt und auf den Markt gebracht worden. Zum Vergleich: Der Zeitraum für die Entwicklung bis zum ersten Start der Trägerrakete Falcon 9 des Unternehmens SpaceX machte weniger als fünf Jahre aus“, betonte der Wirtschaftsexperte Michail Romanow aus der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Russlands Anteil an den gesamten kommerziellen Einnahmen aus der Raumfahrt (inkl. der Entwicklung von Anlagen und Ausrüstungen, Leistungen für Raketenstarts, TV-Übertragungen, der Datenübermittlung sowie der Erbringung anderer Kosmos-Dienstleistungen) mache weniger als ein Prozent aus.

    Tatsächlich ist die Hoffnung der heutigen einheimischen Raumfahrt die schwere Trägerrakete „Angara-A5“, die die „Proton-M“-Trägerraketen ablösen soll. Den ersten Versuchsflug absolvierte sie am 23. Dezember 2014, den zweiten – am 14. Dezember 2020 und den dritten – am 27. Dezember 2021. Den vierten erwartete man am 9. April und dann am 10. April. Möglicherweise wollte man entsprechend der russischen Tradition den Start dem Feiertag, dem Tag der Raumfahrt widmen. Aber auch am 10. April passierte es erneut: „Es wurde das Kommando „Abbruch des Starts“ gegeben. Erst am 11. April, mit dem dritten Versuch erfolgte erfolgreich der Versuchsstart der schweren Trägerrakete „Angara-A5“.

    Und zu verstehen, was da das Huhn ist und was das Ei, ist sehr schwierig… Entweder fliegen wir wenig ins Weltall, weil die technologische Basis der Wirtschaft Russlands nicht bereit ist, Innovationen zu implementieren (lt. Angaben des Zentralen Wirtschafts- und Mathematik-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften ist der Verschleiß der Anlagen und Ausrüstungen in den Branchen, die den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt bestimmen, größer als in den Sektoren des mittleren technologischen Niveaus und beträgt über 50 Prozent). Oder haben wir es mit einem technologischen Hinterherhinken zu tun, denn wir beginnen offenkundig, Positionen bei der Erschließung des Kosmos zu verlieren. Wie kann man diesen verderblichen Prozess stoppen?

    Enthusiasten behaupten, dass wir die Erschließung des Kosmos scheinbar gerade dafür brauchen würden, um Hochtechnologien (nicht nur für die Raumfahrt) zu entwickeln. Der Kosmos gewährt wirklich einmalige Bedingungen für solch eine Entwicklung. Gebraucht wird ein extremes Vakuum – bitte sehr. Eine technologisch wichtige lange Mikrogravitation – dies ist keine Frage. Die Leichtigkeit eines Erhitzens von Körpern bis zu 6000 °C und deren Abkühlung bis zu Temperaturen, die dem absoluten Nullpunkt nahekommen – gratis in jeglichen Dimensionen. Potenziell unbegrenzte Vorräte an Gold, Platinoiden, Bunt- und seltenen Erdmetallen… Die USA beispielsweise, die sich das Ziel gestellt haben, die ersten im Rennen um mobile Fernmeldeverbindungen der 5G-Generation zu sein, räumen dabei solch einem seltenen Erdmetall wie Cäsium die bestimmende Rolle ein. Es spielt eine Schlüsselrolle in den Orientierungssystemen für Flugzeuge, beim Niederbringen von Öl- und Gasbohrungen, aber auch … in Satelliten für eine globale Positionsbestimmung.

    Bei uns klappt es damit vorerst nicht besonders. Für eine Selbstberuhigung kann man natürlich die aktiv realisierten Mondprogramme der USA, Japans, Chinas und Indiens, aber auch die Programme für eine Erforschung des fernen Kosmos als eine ineffiziente Nutzung von Ressourcen bezeichnen. Mögen doch unsere geopolitischen Konkurrenten Zeit und Geld für Vorhaben aufwenden, die stark an wissenschaftliche Phantastik erinnern. (Der US-amerikanische Apparat „Lucy“ hofft beispielsweise in Kratern des der Sonne am nächsten gelegenen Planeten Merkur, Eis zu finden, das selbst ungeachtet dessen nicht taut, dass die Temperatur auf der dortigen Oberfläche rund 400 ^C ausmacht.) Oder es sei gar einfach nur Fantasy. (Das japanische Unternehmen Martian Moons Exploration will in diesem Jahr eine Sonde zum Mars-Mond Phobos schicken, auf ihm einen 30 Kilogramm schweren Rover einsetzen, der wiederum Bodenproben sammeln soll. Und die Sonde soll danach all diese Proben zur Erde bringen.)

    Wir aber befassen uns mit bodenständigeren und erfassbareren Sachen. Mit einer Entwicklung von beispielsweise militärischen Kosmos-Systemen. Ja, und da ist der Hauptauftraggeber der Familie der „Angara“-Trägerraketen das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation. Jedoch sind da Nuancen möglich, die auch noch mit den nationalen „Traditionen“ der Verwendung von Budgetmitteln verbunden sind… Wie in den Medien mitgeteilt wurde, ist im Dezember des vergangenen Jahres ein „Roskosmos“-Topmanager, der für die Realisierung des staatlichen Waffenprogramms hinsichtlich des Weltraum-Teils zuständig war, des Raubs von Geldern im Umfang von 400 Millionen Rubel angeklagt worden. Der Angeklagte bestreitet seine Schuld.

    Ja, und die Inlandsausgaben für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in der Russischen Föderation liegen weit hinter den Werten der heutigen Raumfahrt-Spitzenreiter zurück. Laut Angaben der Gewerkschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften befinden sich die Inlandsausgaben für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Russland in den letzten Jahrzehnten auf einem Niveau von 1 bis 1,09 Prozent des BIP, während sie in den USA im Jahr 2020 bereits 3,4 Prozent ausmachten, in Japan – 3,27 Prozent, in Deutschland – 3,14 Prozent und in China – 2,4 Prozent. In dieser Hinsicht sind die Perspektiven bei uns auch keine kosmischen. Im laufenden Jahr sind 1,17 Prozent geplant. Vorgesehen ist, im Jahr 2030 die Ausgaben für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bis auf 2,17 Prozent zu bringen. Und erst bis zum Jahr 2035 – bis auf 3,39 Prozent.

    Was bleibt da noch? Wie merkwürdig es sein mag, nach wie vor gilt das Abkommen zwischen „Roskosmos“ und der NASA über gemeinsame bemannte Flüge. Am 2. April ist ein Entwurf einer neuen russischen Raumstation gebilligt worden. „Roskosmos“ arbeitet am Abschluss staatlicher Verträge für ihren Bau. Geplant ist, ab 2027 Elemente der russischen Raumstation in den Weltraum zu bringen und zusammenzubauen. Abgeschlossen werden sollen diese Arbeiten im Jahr 2032. Und für das Jahr 2031 ist der Start eines russischen Kosmos-Apparates zur Venus vorgesehen, teilte dieser Tage der wissenschaftliche Leiter des Instituts für Kosmos-Forschungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Lew Seljonyj, mit.

    Wie der kunstwissenschaftliche Begriff „Papier-Architektur“ als ein durchaus allgemein gängiger anerkannt wird, kann man entsprechend einer Analogie von einem „Papier-Kosmos“ in Bezug auf die russischen Programme sprechen. Alles wird nur geplant, im besten Falle für den Beginn der 2030er. Das heißt, gerade bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Sonde Europa Clipper einen der größten Jupitermonde – Europa – erreichen soll. Die Anlagen der Sonde sind speziell entwickelt worden, um den unter Eis liegenden Ozean des Mondes Europa hinsichtlich eines Vorhandenseins von Leben bzw. Überresten von Leben dort zu untersuchen.