Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, hat erklärt, dass Moskau begonnen habe, seine Friedenstruppen aus Bergkarabach abzuziehen. Es sei daran erinnert, dass sie sich gemäß einem Abkommen vom 9. November 2020 fünf Jahre lang in Aserbaidschan aufhalten konnten. Danach hätte die Aufenthaltsdauer automatisch um genau solch einen Zeitraum unter der Bedingung, dass Baku oder Jerewan nicht dagegen sind, verlängert werden können.
Der Berater des Präsidenten Aserbaidschans, Hikmet Hajiyev, berichtete, dass die Führung seines Landes und die von Russland die gemeinsame Entscheidung über einen vorzeitigten Abzug der Friedenstruppen getroffen hätten. „Der Prozess hat bereits begonnen. Die Verteidigungsministerien Aserbaidschans und Russlands ergreifen die entsprechenden Maßnahmen zur Umsetzung dieser Entscheidung“, sagte er. Laut Informationen aserbaidschanischer Medien hätten die russischen Militärs bereits das alte Kloster Dadivank an der Grenze zu Armenien verlassen. Die aserbaidschanischen Offiziellen nennen es Hudavang und halten es nicht für ein armenisches, sondern ein aserbaidschanisches.
Bemerkenswert ist, dass mit diesem Ort einer der ersten Skandale in der Geschichte der Friedensmission verbunden ist. Als neben dem Kloster die ersten Friedenstruppen aufgetaucht waren, erklärte einer der Militärs von ihnen einem Journalisten unter den Bedingungen einer Wahrung der Anonymität, dass „die heilige Stätte auf jeden Fall bewahrt werden muss“. Dabei war damals der Klostervorsteher Pater Ovanes gewesen, der während des zweiten Karabach-Krieges mit einer Maschinenpistole fotografiert wurde, wobei er zu verstehen gab, dass er bereit sei, sein Haus vor den Aserbaidschanern zu verteidigen.
Parallel dazu verlassen die russischen Friedenstruppen ihren Stützpunkt in Khodschaly. „Es wird erwartet, dass der historische und große Prozess in einigen Tagen abgeschlossen wird. Damit stellt Aserbaidschan die vollständige souveräne Kontrolle über Karabach und all seine Gebiete wieder her“, schreibt „Musavat“.
Seinerseits informierte das armenische Nachrichtenportal www.news.am unter Berufung auf eine diplomatische Quelle, dass man die Friedenseinheiten etappenweise abziehen werde. Wobei sie nicht über Armenien nach Russland fahren werden (wie sie gekommen waren), sondern über Aserbaidschan nach Dagestan.
Gemäß den Vereinbarungen, die im November des Jahres 2020 abgeschlossen wurden, hatte man 1960 Militärs mit Schusswaffen, 90 Schützenpanzerwagen sowie 300 Fahrzeuge und Spezialtechnik nach Karabach geschickt. Dabei waren im Verlauf der „konterterroristischen Operation“ Bakus im September vergangenen Jahres fünf russische Blauhelmsoldaten inkl. des stellvertretenden Befehlshabers des Blauhelm-Kontigents, Iwan Kowgan, getötet worden. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew hatte sich für das Vorgefallene entschuldigt. Außerdem ist im Dezember des Jahres 2023 noch ein Blauhelmsoldat ums Leben gekommen, zwei erlitten Verletzungen. Ihr Schützenpanzerwagen BTR-82 war von einer Gebirgsstraße abgekommen.
Von der „NG“ befragte Experten sind der Auffassung, dass der Abzug der Blauhelmtruppen aus Bergkarabach zu keiner Verringerung des Einflusses von Russland auf den Südkaukasus führen werde. Eine Verringerung des Einflusses hat sich jedoch schon ereignet. Und der Abzug der Blauhelmsoldaten ist nicht die Ursache, sondern eine Folge dieses Prozesses. Alexander Iskandarjan, Leiter des Kaukasus-Instituts sagte, dass sich die Fähigkeit Moskaus, Einfluss auf die Länder der Region auszuüben, nicht nur aufgrund des zweiten Karabach-Krieges und dessen Ergebnisse, sondern auch aufgrund des russisch-ukrainischen Konfliktes verringere.
„Der Abzug der Blauhelmsoldaten ist eine Folge, wobei keine sekundäre, sondern eine drittrangige… Andererseits war ihre Anwesenheit in Aserbaidschan beginnend ab dem Jahr 2023 keine funktionale gewesen. Sie hatten weder die Blockade von Bergkarabach als auch die Vertreibung der Armenier von dort verhindern können. Und danach ist es überhaupt unklar geworden, womit sie sich dort befassen. Im Zusammenhang damit war der Abzug der Blauhelmtruppen vorausbestimmt“, erklärte Iskandarjan.
Der Vorstandsvorsitzende des Zentrums für die Analyse internationaler Beziehungen, Farid Schafiyev, ist der Meinung, dass sich die Blauhelmsoldaten in Karabach aufhalten sollten, weil es dort eine armenisch-stämmige Bevölkerung gegeben hatte. Die hat es aber abgelehnt, in der Region zu leben. „Die Separatistenführer hatten mehrfach einen Dialog mit Baku abgelehnt. Daher haben die aserbaidschanischen Offiziellen im September vergangenen Jahres entschiedene Handlungen unternommen… Insgesamt hat Aserbaidschan keine Beanstandungen hinsichtlich des Wirkens der Blauhelmsoldaten. Es hatte einige Reibungsstellen gegeben. Insgesamt aber waren sie ein Stabilitäts- und Sicherheitsfaktor gewesen“, resümierte Schafiyev. Was die Beziehungen mit Russland angeht, so denkt der Experte, dass Moskau ein regionaler Akteur bleibe, mit dem Baku weiterhin freundschaftliche Beziehungen unterhalten werde.
Wadim Muchanow, Leiter des Sektors Kaukasus im Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, ist auch der Annahme, dass, da es in Karabach keine Konfliktparteien mehr gebe, die man aussöhne müsse, die russischen Truppen dort nichts zu tun hätten. Dabei betonte er, dass ihr Auftauchen in der Region von vielen anfangs angezweifelt worden sei – aufgrund der großen Risiken, selbst in der armenisch-aserbaidschanischen Konfrontation in Mitleidenschaft gezogen zu werden. „Ungeachtet dessen entsandte Russland Blauhelmsoldaten dorthin. Und im Verlauf von drei Jahren hatten sie die Zivilverteidigung geschützt. Faktisch war das russische Blauhelm-Kontigent ein Puffer zwischen der armenischen Community und jenem Druck, den Baku und Jerewan auf sie ausgeübt hatten. Wenn es nicht die Blauhelmsoldaten gegeben hätte, hätte es weitaus mehr Opfer unter den Armeniern gegeben“, ist sich Muchanow sicher.