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Brüssel will seinen Einfluss in Zentralasien verstärken


Aschgabat beging die 30jährige Zusammenarbeit zwischen Turkmenistan und der Europäischen Union. Die Sondervertreterin der EU für Zentralasien, die finnische Diplomatin Terhi Hakala, die im Vorfeld die turkmenische Hauptstadt besucht hatte, zog eine Zwischenbilanz und skizzierte die Perspektiven für die Partnerschaft. Die EU beabsichtige, auch weiterhin das Zusammenwirken mit Turkmenistan und den anderen Ländern Zentralasiens zum Wohle aller Seiten zu entwickeln. Das Schlüsselprojekt, das dazu bestimmt ist, die Verbindungen zwischen Europa und Zentralasien zu verstärken, ist das Transkaspische Transportkorridor. Diese internationale Route erlaubt, die Transportdauer für Frachtgüter bis auf 15 Tage zu verringern. Europa demonstriert gleichfalls für turkmenisches Gas Interesse, das über die Türkei geliefert wird.

Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 30jährigen Jubiläum der Beziehungen Turkmenistans und der EU erfolgte in Aschgabat eine entsprechende Konferenz, bei der Vizepremier und Außenminister Raschid Meredow und die EU-Sondervertreterin für Zentralasien Terhi Hakala auftraten. Meredow unterstrich, dass der offizielle Brüssel-Besuch von Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow im Jahr 2007 der Entwicklung des Zusammenwirkens einen Impuls verliehen hätte. Damals waren im Verlauf des Besuchs die Hauptrichtungen der Partnerschaft bestimmt worden – die Sicherheit, die Energiewirtschaft, das Transport- und das Bildungswesen sowie die Kultur und ein humanitärer Dialog. Diese Agenda bleibe nach Aussagen von Meredow auch für den gegenwärtigen Präsidenten Serdar Berdymuchamedow, der die Politik einer Kontinuität fortsetze, eine vorrangige.

Terhi Hakala konstatierte ihrerseits, dass die EU massiv in der Region Zentralasiens präsent sei und beabsichtige, die Arbeit dort zu verstärken. „In den nächsten 30 Jahren planen wir, die Arbeit sowohl in Turkmenistan als auch in den anderen zentralasiatischen Ländern in einer Partnerschaft zum Wohle dieser Länder und der Europäischen Union fortzusetzen“, unterstrich Hakala, wobei sie daran erinnerte, dass im Januar dieses Jahres in Brüssel ein Transport- und Investitionsforum EU-Zentralasien erfolgte, und im März – Diskussionen zu den zugesagten zehn Milliarden Dollar seitens der EU für das Projekt eines Transkaspischen Korridors, der helfen wird, die Handelsbeziehungen zu erweitern. „Dies wird die Erweiterung nicht nur des Transport-, sondern auch des Energiekorridors fördern“, betonte die EU-Vertreterin.

Der Aschgabat-Besuch von Terhi Hakala bestätigte das strategische Interesse der Europäischen Union für die Region. Im Februar hatte Hakala Bischkek besucht, wo sie Fragen im Zusammenhang mit Afghanistan und der bilateralen Zusammenarbeit mit Kirgisiens Führung erörtert hatte.

Das Interesse von Brüssel für Zentralasien wie auch das Interesse von Washington wird durch zwei Faktoren verursacht. Erstens strebt die EU an, dass sich die Länder der Region an das Sanktionsregime gegen Russland halten. Zweitens ist Europa an den Rohstoffressourcen Zentralasiens interessiert, besonders unter den Bedingungen des Verlustes des russischen Marktes.

Turkmenistan löst mit seinen gewaltigen Gasvorräten besondere Aufmerksamkeit der Europäischen Union aus. Fortgesetzt werden die Gespräche zum Bau der Transkaspischen Gaspipeline. Und Europa prüft bereits mögliche Varianten für eine Finanzierung dieses Vorhabens. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in der nächsten Zeit ein Konsortium für den Bau der Gaspipeline gebildet wird. Zu Investoren können europäische Entwicklungsbanken werden. Vorerst aber werden die Lieferungen des turkmenischen Gases entsprechend dem System SWAP via Iran in die Türkei vorgenommen. Der türkische Energieminister Alparslan Bayraktar und Aserbaidschans Wirtschaftsminister Mikail Djabbarov unterzeichneten am 14. Mai ein Abkommen über Zusammenarbeit im Gassektor zwischen Ankara und Baku. „Die Türkei und Aserbaidschan, die die Zusammenarbeit erweitern, leisten damit einen signifikanten Beitrag sowohl für ihre Energiesicherheit als auch für die Sicherheit der Lieferungen von Energieressourcen nach Europa. Unsere Beziehungen im Bereich Erdgas haben unter Berücksichtigung des heutigen Abkommens einen neuen Aspekt gewonnen“, zitierte der Fernsehkanal NTV Bayraktar.

Nach Aussagen von Bayraktar besitze dieses Abkommen eine Reihe von Besonderheiten. Bis zum Jahr 2030 wird aserbaidschanisches Erdgas aus dem Kaspischen Meer in die Türkei geliefert. Von dort aus werde weiter ein Teil der Mengen nach Europa exportiert. Ein wichtiger Aspekt des Abkommens sei der Transit turkmenischen Gases via Aserbaidschan und Georgien in die Türkei. Der Minister erläuterte, dass das Abkommen mit Aserbaidschan im Rahmen der Arbeit zur Aufstockung der Gaslieferungen nach Europa, unter anderem nach Bulgarien und Griechenland, unterzeichnet worden sei. Und dies bedeute, dass auch turkmenisches Gas in Länder der EU fließen werde.

Serdar Aitakov, Experte für Zentralasien, wirft der Europäischen Union eine Anwendung von „Doppelstandards“ und eines „raffinierten Neokolonialismus“ in Bezug auf Turkmenistan vor. Nach seiner Meinung verschließe der Westen die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen im Land, um im Gegenzug einen Zugang zum turkmenischen Gas zu erhalten. „Der Westen bewertet in all seinen humanitären und Menschenrechtsdokumenten die Situation in Turkmenistan als eine katastrophale. Aber die Spitzenvertreter eben jenes Westens empfangen mit offenen Armen die Spitzenvertreter Turkmenistans und besuchen sie gern und mit einer Hoffnung – der auf das turkmenische Gas“, sagte Serdar Aitakov der „NG“.

Der Experte verweist auf die geringe Werte Turkmenistans in den internationalen Ratings, auf das Fehlen einer Presse- und Redefreiheit, den begrenzten Zugang zum Internet, auf die massenhaften Menschenrechtsverletzungen… Er führt gleichfalls Beispiele für ungesetzliche Ausreiseverbote, für die Verletzungen der Frauenrechte sowie für das Verschwinden von Menschen in Gefängnissen, darunter auch jener, deren Haftdauer bereits abgelaufen ist, hin. Dabei sei deren Verwandten nichts über deren Schicksal bekannt.

„Bezeichnend ist, dass die Weltbank und der IW jedes Mal das Fehlen selbst geringster wirtschaftlicher Freiheiten, das Existieren von zwei Wechselkursen für die nationale Währung – eines offiziellen und des realen, der sich um das 5fache unterschiedet – hervorheben. Es ist unmöglich, in nicht ein einziges Land der Welt eine Überweisung vorzunehmen und aus jeglichem Land Geld zu erhalten, das selbst von nächsten Verwandten überwiesen wurde. Und dies alles vor dem Hintergrund der in der Verfassung Turkmenistans legitimierten Manipulationen mit der Machtübergabe im Rahmen einer Erbschaft unter Umgehung alle Wahlmechanismen. All dies, weshalb sich die westlichen Bürokraten erzürnen, wird in den Bewertungen für die Situation in Turkmenistan als durch akzeptabel angesehen“, unterstrich Aitakov.

Nach seiner Meinung legalisiere die EU faktisch den Status eines „geliebten Diktators“ für solche Präsidenten wie in Turkmenistan, wobei ihnen erlaubt werde, das eigene Volk im Gegenzug für Gaslieferungen zu unterdrücken. Und natürlich sei das neue Programm „Global Gateway“ ein absolut neokoloniales und ein auf den Erhalt eines Zugangs zu den Rohstoffen der Region – zu Erdgas und „kritischen Mineralien“, die für die EU in anderen Regionen und Ländern verloren wurden – ausgerichtetes.