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10.000 Mark Kopfgeld auf einen Schriftsteller


Am 7. Juli jährte sich zum 140. Mal der Geburtstag von Lion Feuchtwanger – eines Schriftstellers, der ein stürmisches Leben durchgemacht hatte, eines Autors, der stets eine staatsbürgerliche Position hatte und versuchte, mit den Kräften seiner Begabung auf die Lage in der Welt Einfluss zu nehmen.

War aber Feuchtwanger ein jüdischer Schriftsteller? Das war er. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich vom Geist her für einen Juden hält. Er war ein jüdischer Schriftsteller nicht nur von der Nationalität her. Die Personen sehr vieler seiner Werke sind Juden. Und das jüdische Thema erklingt oft und markant.

Jedoch hatte man dem jüdischen Schriftsteller Feuchtwanger nicht selten Antisemitismus vorgeworfen. Wie im Übrigen auch jüdischen Nationalismus. Wer war er also? Wenn man es simpel formuliert: ein durch die Welt hetzender und auf alle Ereignisse reagierender Intellektueller.

Er trat gegen den Ersten Weltkrieg auf. Er war gegen die Formierung des Nazismus in Deutschland. Und er beschrieb den Prozess der Ausprägung und Festigung der aufkeimenden nationalen Idee im Roman „Die Geschwister Oppenheim“ (erstmals 1933 veröffentlicht, der Titel wurde aber nach 1935 auf Verlangen eines deutschen Nationalsozialisten durch den Autoren in „Die Geschwister Oppermann“ geändert – Anmerkung der Redaktion). Auf der Flucht vor dem Nazismus ging er von Deutschland aus nach Frankreich. Und veröffentlichte dort den Roman „Der falsche Nero“ (erstmals 1936 erschienen – Anmerkung der Redaktion). In ihm war in der Figur der beschränkten Marionette (des arbeitsscheuen Töpfers Terenz – Anmerkung der Redaktion), die per Zufall die Möglichkeit erhalten hatte, die Geschichte zu lenken, recht deutlich Hitler auszumachen. Das Buch war vom Amsterdamer Querido-Verlag herausgebracht worden, und die Faschisten in Deutschland hatten es gelesen und 10.000 Mark auf den Kopf des Schriftstellers ausgelobt.

Aus Frankreich kam Lion Feuchtwanger auf Einladung der Auslandskommission beim Verband der sowjetischen Schriftsteller in die UdSSR (im Dezember 1936), lebte mehrere Monate lang in unserem Land und traf sich sogar einige Male mit Stalin. Die Angelegenheiten gingen so weit, dass Feuchtwanger und Stalin kumpelhaft das erörterten, dass die überall aufgestellten Porträtbüsen des Führers grobschlächtig und inakkurat angefertigt worden seien. Stalin habe angeblich erklärt (wenn man Feuchtwanger Glauben schenkt), dass diese Büsten ein gewisser Schutz der Bürokraten seien. „Wir haben andere Angelegenheiten und Sorgen. Und auf die Büsten guckst du nicht“, sagte angeblich das Genie aller Zeiten und Völker.

Nach der Rückkehr nach Frankreich beschrieb Feuchtwanger recht anständig alles, was er gesehen hatte, in dem Buch „Moskau 1937: Ein Reisebericht für meine Freunde“. Darunter die Prozesse gegen Grigorij Sinowjew, Georgij Pjatakow und Karl Radek. Er beschrieb gleichfalls seine Begegnungen mit Stalin.

Da ergibt es sich scheinbar, dass Feuchtwanger die Worte des Führers „Wir haben nicht einfach eine Demokratie, die aus den bourgeoisen Ländern übernommen wurde“. Sie sei eine „ungewöhnliche“, das heißt: eine „sozialistische“ gerührt hatten. Man begann, Feuchtwanger ins Russische zu übersetzen und in der UdSSR herauszugeben. Die Auflagen waren große gewesen.

Im Herbst 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Im Winter des Jahres 1940 verhaftete man Feuchtwanger als einen Deutschen, als einen Vertreter des Landes, dem Frankreich den Krieg erklärt hatte. Nachdem man sich Klarheit verschafft hatte, ließ man ihn frei. Im Sommer des gleichen Jahres kam Marschall Philippe Pétain in Frankreich an die Macht. Und Feuchtwanger wurde nun bereits nicht als ein Deutscher, sondern als ein Jude festgenommen. Und er kam in das Internierungslager Les Milles. Schließlich hatten doch die Deutschen ihr Kopfgeld auf Feuchtwanger nicht annulliert.

Unter abenteuerlichen Umständen schaffte es Feuchtwanger, aus dem vom Faschismus erfassten Europa in die USA zu fliehen. Seine Befreiung hatten amerikanische Freunde unterstützt, die dann den Schriftsteller auch über den Atlantik brachten. Obwohl er es bis in die Vereinigten Staaten geschafft hatte, verweigerten die Behörden der USA Feuchtwanger aufgrund des Buches „Moskau 1937: Ein Reisebericht für meine Freunde“ die Staatsbürgerschaft. Allerdings kann man in den USA auch ohne deren Staatsbürgerschaft leben.

Natürlich war er auch gegen den Zweiten Weltkrieg.

Und danach gab es in der UdSSR den 20. Parteitag der KPdSU, gab es den Rechenschaftsbericht von Nikita Chruschtschow, setzte die Tauwetter-Periode ein. Und man verhängte gegen Lion Feuchtwanger, einen Mann, der vor dem Faschismus in die USA geflohen war, in der Sowjetunion ein Verbot. Aufgrund eben dieses Buches „Moskau 1937: Ein Reisebericht für meine Freunde“. Während bis dahin, Feuchtwanger 1953 mit dem Staatspreis der DDR auf dem Gebiet von Kunst und Literatur ausgezeichnet wurde.

Nachdem er sich bereits in Amerika niedergelassen hatte, trat er nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den einsetzenden Kalten Krieg zwischen der UdSSR und den USA auf. Er war ebenfalls gegen eine Restaurierung von Elementen des Nationalismus in Westdeutschland der Nachkriegszeit.

Unter allen Werken Feuchtwangers sind wohl die bekanntesten die Romane „Jud Süß“, „Die hässliche Herzogin Margarete Maultasch“, natürlich „Der jüdische Krieg“, „Goya oder der arge Weg der Erkenntnis“, „Die Füchse im Weinberg“ und „Spanische Ballade“ („Die Jüdin von Toledo“). Diese Romane sind zwar historische, die aber auf die Ereignisse ihrer Zeit reagierten. Die anderen Romane Feuchtwanger sind aber oft auch über die Vergangenheit. Man nehme nur einmal „Die Geschwister Oppenheim“/„Die Geschwister Oppermann“.

Dies ist ein Roman, der die Zeit beschreibt, in der sich Hitler selbst bewies und behauptete, wie sich dabei die Psychologie und Denkweise der gewöhnlichen deutschen Bürger veränderten, wie sich der Faschismus entwickelte und wie das, was vor zwei Jahren noch als eine schreckliche Erfindung und als ein Albtraum angesehen wurde, im Zuge des Triumphzuges des Nationalismus zu einer Realität wurde.

Einerseits arbeitete Feuchtwanger aufmerksam mit dem Material, tauchte tief in die Details der Epochen ein. Andererseits blickte Feuchtwanger praktisch überall auf die Epoche mit den Augen eines Menschen aus den Zeiten der Marktwirtschaft und der marktwirtschaftlichen Ware-Geld-Beziehungen.

Im Mittelalter mangelte es an einer Bewegung von Kapital. Und da taucht auf den Seiten des Romans „Die hässliche Herzogin…“ der Jude Mendel Hirsch mit Familie und Clan auf, der die Wirtschaft von Luxemburg, Tirol und Zürich aufleben lässt. Schlecht war es im mittelalterlichen Österreich um den Banken-Bereich und Kapitalumlauf bestellt. Jud Süß erreicht undenkbare Höhen am Hof von Herzog Karl Alexander. Er wird zum Finanzberater, vom Wesen her aber beinahe zum zweiten Mann des Herzogtums, vor dem alteingesessene Grafen und Herzoge, deren Stammbäume hunderte Jahre lang ausmachen, kriechen.

In der „Spanischen Ballade“ bringt die Angelegenheiten Kastiliens der Jude Jehuda Ibn Esra auf Vordermann, den König Alfonso VIII. für das Amt des Escribanos (eigentlich im Spanischen ein Notar – Anmerkung der Redaktion) – des Schatzmeisters des Staates – anheuerte. Die Geschichte von Ibn Esra ist eine traurige. Alfonso VIII. hatte ihn gewonnen, da die Wirtschaft des Landes in einer Krise steckte. Der König brauchte aber einen Krieg. Nur auf dem Schlachtfeld kann ein wahrer Ritter Ruhm und Ehre verdienen, dank denen sein Name in der Geschichte über Jahrhunderte bleiben wird. Die Aufgabe des Escribanos war, die Wirtschaft des Landes so zu beleben, damit Alfonso einen Krieg beginnen kann. Der Monarch brauchte Geld. Begriff aber Ibn Esra, dass jeglicher Krieg, selbst ein siegreicher einen Niedergang der Wirtschaft bedeutet? Laut Feuchtwanger hatte er das begriffen. Dabei hatte er aber alles getan, damit der Staat aufzublühen begann. Und er erreichte dies. Hatte dies König Alfonso verstanden? Natürlich nicht. Was soll denn da die Wirtschaft? Er brauchte den Ruhm eines Ritters.

Als das Geld zusammengetragen worden war, führte Alfonso VIII. die Armee in die den Krieg. Die entscheidende Schlacht verlor er, und er verlor ihren Grundstock. Der Ritterorden von Calatrava war fast vollkommen vernichtet worden.

Und Alfonso VIII. war in dieser Schlacht in der Rolle eines Feldherrn. Um einen Friedensvertrag nach der Niederlage abzuschließen, entsandte der König bereits einen anderen Juden. Denn Ibn Esra und seine wunderschöne Tochter hatte der Pöbel zerfetzt. Denn er brauchte ein Opfer, an dem man die Wut und den Zorn aufgrund der Niederlage Kastiliens auf dem Schlachtfeld auslassen konnte.

Und die Einwohner der Stadt Toledo brachten Ibn Esra und seine Tochter Rahel, die die Mätresse von König Alfonso, um. Es ist schade um die Schönheit Rahel. Sie hatte einfach Liebe gewollt.

Natürlich ist Feuchtwanger voreingenommen. Aber ein Schriftsteller hat wohl ein Recht darauf (wenn er dies begabt und nicht belehrend tut).

Nach Feuchtwanger haben in allen Ländern und zu allen Zeiten gerade ins Exil gegangene Juden und jüdische Gemeinden, die sich auf einem höheren Entwicklungsniveau im Vergleich zu den Einwohnern der Staaten Europas, die sie aufgenommen hatten, befanden, die hiesigen Volkswirtschaften aufleben lassen und waren Wegbereiter der Ideen des noch lange nicht beginnenden Kapitalismus gewesen. Derart waren Mendel Hirsch und Süß, derart war auch der Escribano Ibn Esra.

Warum hatte Feuchtwanger die „Spanische Ballade“, der sich bereits in den USA befand, geschrieben? Er war gegen eine Wiedergeburt nationalistischer Stimmungen in Deutschland. Ja, und da verfasste er seinen neuen Protest.

So hatte er es gesehen. Diesen Roman vermochte der schwerkranke Feuchtwanger schon nicht mehr selbst niederschreiben. Er diktierte ihn einer Stenografin.

Sein zentraler Roman, genauer gesagt: seine zentrale Trilogie historischer Romane (bekannt als Josephus-Trilogie – Anmerkung der Redaktion) – dies sind „Der jüdische Krieg“, „Die Söhne“ und „Der Tag wird kommen“. Diese Bücher sind keine Biografie eines Historikers und Feldherren, der zuerst gegen die Römer gekämpft hatte und später auf ihre Seite gewechselt war, der von den Juden verflucht wurde und eine siebenbändige Geschichte beginnend ab dem 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bis in die 70er Jahre des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung (Eroberung von Jerusalem der Fall von Masada) verfasste. Flavius Josephus, dem man mit besonderer Gnade erlaubt hatte, den Vorname von Imperator Vespasian – Flavius – anzunehmen, ist die zentrale Figur der Trilogie.

Diese Trilogie ist facettenreich. In ihr gibt es sehr viele handelnde Personen, viele philosophische Gedanken. Da ist sowohl der Kampf von Nationalismus und Kosmopolitismus, der die jüdische Nation auseinanderreißt (der den Schriftsteller in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sehr bewegt hatte). Da sind aber auch die Themen der Vertreibung und des Platzes des jüdischen Volkes in der Welt. Und stets ist da das Feuchtwanger bewegende Thema der Rolle des jüdischen Volkes in der Menschheitsgeschichte.

Der Roman „Der jüdische Krieg“ (erstmals 1932 erschienen – Anmerkung der Redaktion) ist zeitgemäß und aktuell. Und er wird ein gelesener bleiben und sein. Die von Feuchtwanger aufgeworfenen Probleme existieren auch heute.

Der Roman ist recht dynamisch. Dynamisch sind die Haupthelden. Philosophische Ideen prallen aufeinander, aufeinanderprallen aber auch Menschen – Richter über das Schicksal anderer. Und was für Menschen! Sehr facettenreich (und im Übrigen modern) ist der ständig die Gönner wechselnde und zur gleichen Zeit in seiner Volatilität unveränderte Doktor Josef Ben Matthias – Josephus Flavius. Sehr diffizil ist der General der römischen Armee und spätere römische Kaiser Vespasian Flavius. Da sind gleichfalls die jüdischen Geistlichen, die Anführer des Aufstands und Prinzessin Berenike, die zwischen der Liebe zu dem römischen Feldherrn und künftigen Imperator Titus Flavius sowie ihrem Judentum hin und her gerissen wird. Im Großen und Ganzen ist da auch der Rom freundlich gesinnte Statthalter Agrippa… Dies ist lediglich ein Teil der Personen der Trilogie. Für alle findet Feuchtwanger im Roman einen Platz, alle Charaktere sind durchgezeichnet.

Armeen prallen aufeinander – die hervorragend eingespielte römische Militärmaschine und die fanatisch patriotische Armee Israels. Beschrieben wird der Horror der Folgen aufgrund der Einnahme Jerusalems durch die Römer, beschrieben wird der Triumph groben und brutalen Soldatentums vor dem Hintergrund des Feierns der Sieger in Rom. Den Imperator und seinen Sohn verglich man mit Göttern. Und man hatte noch 2500 besiegte Juden auf Schiffen nach Rom gebracht. Sie alle fanden im Kolosseum den Tod. Solcherart war der Triumph. Und die jüdische Gemeinde von schaute auf diesen Triumph. Was sollte sie auch anderes tun?

Und schließlich wurden da noch „Die Füchse im Weinberg“ oder „Goya oder der arge Weg der Erkenntnis“ und andere Werke geschrieben…