Die Verhaftung (oder Festnahme) des 39jährigen „russischen Zuckerbergs“ Pawel Durow in Frankreich, die am vergangenen Samstag erfolgte, bleibt eines der wichtigsten und rätselhaftesten internationalen Ereignisse. Es hat dabei deutlich gemacht, wie bedeutsam – wie sich herausstellte – das Projekt Telegram und sein Besitzer und Verwalter der Chiffrier-Codes dieses Messengers für unterschiedlichste Bereich sind. Die hatte er ungeachtet des Drucks auch keinem übergeben – so erklärt es auf jeden Fall Durow selbst. Wodurch auch immer seine Festnahme ausgelöst wurde, in ihr spielt die große Politik eine Rolle. Und folglich wird Vieles im Schicksal des Milliardärs und seines Messengers, dessen Nutzerzahl einer Milliarde nahekommt, von politischen Absprachen abhängen.
Am Sonntag teilte die Staatsanwaltschaft von Paris mit, dass sie am 26. August eine Presseerklärung vorlegen werde. In der werde erläutert werden, in was für einem prozessualen Status sich Durow befindet und welche Vorwürfe in dem Fall konkret formuliert worden sind. Vorerst aber ist russischen Diplomaten ein Zugang zu ihm verwehrt worden. Verständlich, da Durow auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt und folglich als ein französischer Staatsbürger behandelt wird. Laut Medienberichten sei der Milliardär Inhaber von insgesamt zwei weiteren Staatsbürgerschaften, neben der russischen und der erwähnten französischen. Die der VAE, die hinsichtlich ihres Erhalts eine der kompliziertesten ist, und die des in der Karibik gelegenen Staates Sankt Kitts und Nevis (gehört zum Britischen Commonwealth, womit er alle diesem Status zustehenden Privilegien genießt). Die französische Staatsbürgerschaft hat der Milliardär laut mehreren Angaben im Jahr 2021 erhalten.
Die Geschichte um die Festnahme von Pawel Durow löste augenblicklich eine Vielzahl von Versionen und Vermutungen aus. Und sowohl das eine als auch das andere sind in erheblichem Maße Folge des Schweigens der französischen Rechtsschutzorgane, die sich selbst am zweiten Tag der nach der Festnahme nicht beeilten, Erläuterungen zu geben. Vertreter der Polizei gaben nur bei Wahrung der Anonymität Kommentare gegenüber Medienvertretern. Die Mitarbeiter der Pariser Staatsanwaltschaft erwiesen sich als noch kontaktscheuer. Sie lehnten es bis zur offiziellen Erklärung am Montag, dem 26. August kategorisch ab, Frage zu dem Fall zu beantworten, die gleich von mehreren französischen Medien gestellt worden waren.
Entsprechend den vorhandenen Informationen ergibt sich ein recht unvollständiges rätselhaftes Bild der Samstag-Ereignisse und dessen, was ihnen vorausgegangen war. Etwa gegen 20 Uhr Ortszeit war der Privatjet Durows am Samstag im Pariser Flughafen Le Bourget gelandet. Gleich nach der Landung hat man den Milliardär auf der Grundlage eines Haftbefehls festgenommen, der laut den einen Angaben vor einem Jahr ausgestellt worden war, laut anderen – vor relativ kurzer Zeit. Einer der Untersuchungsbeamten, der für den Fall zuständig ist, sagte gegenüber der Zeitung „Le Figaro“, dass Durow von dem Haftbefehl gewusst habe, dennoch beschlossen hätte, nach Paris zu fliegen. „Möglicherweise aufgrund des Gefühls einer Straffreiheit“, zitiert das Blatt seine Quelle. Eine recht merkwürdige Vermutung. Aber wenn man wieder den Angaben dieser Zeitung urteilt, so wirft man Durow ein mangelhaftes Moderieren bei Telegram vor. Der Messenger-Dienst werde durch unterschiedlichste Kriminelle – von Drogenhändlern bis zu Verbreitern von Kinderpornografie — aktiv genutzt. Die angebliche Weigerung des Telegram-Besitzers, die Inhalte zu moderieren, wird als eine Mittäterschaft qualifiziert. Das heißt als eine Straftat, aufgrund der man auf jeden Fall hinter Gitter geraten kann. Zumindest für die Zeit der vorläufigen Festnahme. Weshalb Durow, selbst wenn er wirklich ein „Gefühl von Straffreiheit“ verspürte, es riskierte, in ein französisches Gefängnis zu geraten, blieb am zweiten Tag seiner Inhaftierung ein Rätsel.
Ein anderes Rätsel hängt mit der Reiseroute des Milliardärs zusammen. In Frankreich landete er aus Aserbaidschan und nicht aus Dubai kommend, wo er seit mehreren Jahren lebt. Was er gerade in Baku gemacht hatte und warum er von dort direkt nach Paris geflogen ist, ist unklar. Spekulationen um ein mögliches Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in der aserbaidschanischen Hauptstadt zerstreute am Montag Kremlsprecher Dmitrij Peskow.
Alle Versionen für die Festnahme Durows, die sich von jener geradlinigen unterscheiden, die die französischen Rechtsschützer anonym in den Medien nennen, laufen vom Wesen auf eins hinaus: Den Gründer von Telegram habe man festgenommen, um von ihm die Chiffrier-Codes des Messengers zu erhalten. Den Zugang zu den Schriftwechseln in diesem Messenger können die Behörden vieler Staaten interessieren, unter denen auch Frankreich ist. Durow hat es aber prinzipiell abgelehnt, diese Informationen preiszugeben. Ihn hatte auch nicht die Androhung einer Blockierung des Messengers in Russland eingeschüchtert. „Was Telegram angeht, so hat das Projekt keine Personendaten und Chiffrier-Codes an dritte Seiten herausgegeben und wird dies auch nicht tun. Der Messenger ist unter zig Millionen Nutzern auf dutzenden Märkten populär, und die Androhung einer Blockierung auf einem oder zwei von ihnen beeinflusst nicht seine Politik zur Wahrung der Vertraulichkeit“, hatte Durow im Jahr 2015, kurz nach seiner Ausreise aus der Russischen Föderation erklärt.
Politische Beanstandungen kann es seitens Frankreichs in Bezug auf den Inhalt der Schriftwechsel auf Telegram aufgrund mehrerer Ursachen geben.
Erstens wird der Messenger-Dienst von russischen Teilnehmern der Operation in der Ukraine aktiv genutzt. Frankreich als ein NATO-Land und einer der entscheidenden Verbündeten der Ukraine kann dies nicht ignorieren. Sich mit dem Messenger von Durow zu befassen, hat zweitens die französischen Behörden auch der Druck veranlasst, der unter anderem von außen und seit dem Jahr 2021, als der Milliardär die französische Staatsbürgerschaft erhielt, ausgeübt wird.
Gerade in jenem Jahr hatte das bundesdeutsche Justizministerium zwei Verfahren gegen Telegram aufgrund dessen Inhalte eingeleitet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte, dass es der Messenger abgelehnt hätte, mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten. Klagen über Telegram waren von unterschiedlichsten europäischen Organisationen zu hören. Beispielsweise hatte kurz vor der Verhaftung von Durow die Profi-Fußballliga Frankreichs ihre Beanstandungen gegenüber dem Messenger-Dienst kundgetan, die über die unerlaubten Übertragungen von Fußballspielen des Landeschampionats ungehalten war.
Drittens ist nicht ausgeschlossen, dass die Festnahme von Durow mit den schwierigen aserbaidschanisch-französischen Beziehungen zusammenhängt. Frankreich unterstützt aktiv Armenien, Aserbaidschan wird dagegen in Paris einer Unterstützung der Separatisten in Neukaledonien bezichtigt. Unter diesen Bedingungen drängt sich eine Verbindung zwischen dem Baku-Besuch Durows und dessen Festnahme durch die französischen Behörden auf.
Was immer auch dieses Ereignis sein mag, es schlägt eine neue Seite in der Geschichte der Beziehungen von Staat und Geschäftsleuten, die mit dem Internet zu tun haben, auf. Fälle, in denen der Gründer einer so populären Internetplattform aufgrund seiner Berufstätigkeit in Haft geraten ist, hat es noch nicht gegeben. Es überrascht daher nicht, dass unter den Durow-Unterstützern der Inhaber des sozialen Netzwerkes X, Elon Musk, war. „Freiheit. Freiheit! Freiheit?“, schrieb er auf Französisch im Messenger X und prophezeite, dass man in fünf Jahren wegen Likes für Mems bestrafen werde. Da möchte man aber gern glauben, dass sich Musk in seiner Prognose irrte.
Der Schlag gegen Telegram droht zu einem Schlag gegen Russland zu werden
17:22 26.08.2024