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Ist ein Resetten der Beziehungen Russlands und Europas möglich?


Der gegenwärtige Chef der EU-Diplomatie, Josep Borrell, hat in einem Interview für das Internet-Portal Euractiv erklärt, dass er an kein Resetten der Beziehungen mit Moskau in der nächsten Zukunft glaube, da der bewaffnete Konflikt seines Erachtens andauern werde. Und für die Europäische Union sei dies eine „rote Linie“. Veränderungen in der „fernen Zukunft“ schließt er dabei nicht aus. Vom Prinzip her glaubt Borrell, wie man aus seinem Interview resümieren kann, nicht an eine Perspektive von Verhandlungen mit der Russischen Föderation und ist der Annahme, dass die russische Führung „das Imperium wiederaufstehen lassen“ und „nicht mit der Ukraine aufhören“ möchte.

Es ist symptomatisch, dass die russischen Massenmedien und Nachrichtenportale die Nachricht über die Äußerungen des Chefs der europäischen Diplomatie mit unterschiedlichen Akzenten verbreiteten. Die einen akzentuierten, dass Borrell ein baldiges Resetten ausschloss, andere, dass Borrell dies generell für möglich halte. Der europäische Beamte hatte sowohl das eine als auch das andere gesagt. Seine Worte darüber, dass ein Tauwetter vom Prinzip her möglich sei, und das Aufzeigen einer „roten Linie“ können jedoch als eine bedeutsame Information aufgefasst. Borrell ist durch seine harten Aussagen im Zusammenhang mit dem Konflikt Russlands und der Ukraine bekannt. Er erklärte dieser Tage unter anderem, dass ein Verbot für Kiew, Schläge gegen das russische Territorium zu führen, ein Untergraben des Vertrauens in die EU bedeute.

Noch vor kurzem schien es, dass der Konflikt Moskaus und Kiews für Europa keine „rote Linie“ ist, sondern ein Punkt, nach dem es keine Rückkehr mehr gibt. In einem gewissen Sinne ist dem auch so. Es ist sich schwer vorzustellen, dass unter Berücksichtigung des Aussetzens und sogar des Abbruchs der systematischen Kontakte die Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union auf den Stand von vor zumindest zehn Jahren zurückkehren. Ein Resetten würde jetzt ein Aufheben (zumindest ein teilweises) der Sanktionen, eine schrittweise Wiederherstellung der Business-Kontakte, eine Freigabe von Konten, eine Lockerung des Visa-Regimes sowie ein Canceln der Restriktionen für die Bürger, die nach Europa reisen, bedeuten. Dies sind Konturen der „alten Normalität“. Moskau-Besuche europäischer Staatsmänner und Europa-Visiten von Wladimir Putin sowie ein Lächeln und ein gemeinsames Fotografieren bei Foren sind sicherlich nicht zu erwarten.

Josep Borrell sagte, dass unter den Bedingungen des bewaffneten Konfliktes keinerlei Resetten möglich sei. Was aber, wenn die Oberhäupter Russlands und der Ukraine dennoch einen Friedensvertrag unterschreiben? Und was wird sein, wenn Washington dennoch nach einer gewissen Zeit auf Kiew angesichts der (trostlosen) Perspektiven für eine Fortsetzung der Kampfhandlungen Druck ausübt? Was wird sein, wenn die großen Weltmächte den Konfliktparteien Sicherheitsgarantien gewähren wollen? Die EU wird da vor die Tatsache gestellt werden, dass der Konflikt beendet worden ist. Die Präsidenten der beiden Länder haben sich nicht umarmt, die Staaten haben keine normalen Beziehungen wiederhergestellt, doch die Papiere sind unterzeichnet worden. Niemand wird bereits schießen und ums Leben kommen. Offensichtlich ist dies eben die „ferne Zukunft“ laut Borrell. Wie schnell werden die europäischen Länder die ruhenden Beziehungen mit Moskau anschieben und sich der eigenen Interessen erinnern wollen?

Die Strukturen der EU werden wahrscheinlich langsamer auf die Veränderungen als die Führungen der einzelnen Staaten – beispielsweise von Deutschland, Italien, Spanien und gar Frankreich – reagieren. Die Europäische Union wie auch die NATO sind bürokratische Organisationen, die gezwungen sind, sich oft hart zu äußern und die Idee zu verteidigen. Dies tun auch die Beamten vom Schlage Borrells. Würde er im Sessel des Premierministers Spaniens sitzen, ist nicht auszuschließen, dass er sich flexibler äußern würde, in völliger Übereinstimmung mit der sich ändernden Konjunktur.

In der Politik der Interessen gibt es aber ganz wenige Punkte, nach denen eine Umkehr unmöglich ist. Heutzutage scheint es, dass sich Moskau und Kiew bei jeglichen Verträgen niemals wieder vertragen werden. So schien es aber auch im Fall mit Moskau und Tbilissi. In der Innenpolitik Georgiens haben sich jedoch Veränderungen vollzogen. Und heute ist selbst die Bewertung der Ereignisse in Südossetien im Jahr 2008 in vielem eine Frage der Konjunktur und dessen, welche Elite an der Macht ist. Eine Rückkehr zu den Beziehungen vor Beginn des jeweiligen Konflikts ist schwierig, ganz und gar nicht unumgänglich, aber möglich. Im Fall hinsichtlich der europäischen Länder und Moskaus hängt sie in vielem vom politischen Willen und den Bedingungen, die man als geeignete bezeichnen kann, ab.