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Den Protesten in Georgien ist innerhalb von drei Wochen die Puste ausgegangen


Am Samstag hat die Zentrale Wahlkommission Georgiens die offiziellen Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 26. Oktober bekanntgegeben. Im Verlauf von zehn Tagen müssen danach die Mitglieder des Parlaments ihre erste Sitzung durchführen. Wahrscheinlich wird es Präsidentin Salome Zurabishvili ablehnen, an der Legitimierung dieses Ereignisses teilzunehmen. Aber die Prozedur werde auch ohne sie stattfinden, versicherte Premierminister Irakli Kobachidse. Überdies schwankt ein Teil der gewählten oppositionellen Abgeordneten und kann von der Ankündigung zurücktreten, die Arbeit des Parlaments zu boykottieren.
Innerhalb von drei Wochen nach den Parlamentswahlen hat es die georgische Opposition nicht vermocht, ernsthafte Beweise für deren Fälschung zu finden. Eines der letzten Argumente war: Am Vorabend der Wahlen habe die Zentrale Wahlkommissionüberraschend die Markierungen für die Abstimmung in den Wahllokalen ausgetauscht, damit es einfacher werde, dies auszumachen, wer und wo ein Häkchen gemacht hat. Solche Argumente überzeugen nicht nur die Gerichte, sondern auch die einfachen Gegner der Regierungspartei, die immer seltener zu Protestaktionen kommen. So traten am 11. November bei einem Meeting im Zentrum von Tbilissi Vertreter der Europäischen Union auf, aber zu deren Publikum waren im besten Falle nur einige tausend Menschen geworden.
Innerhalb der Opposition hat sich auch eine Spaltung abgezeichnet. Beispielsweise haben die Mitglieder der Vereinigungen „Koalition für Veränderungen“ und „Einheit – Nationale Bewegung“ öffentlich auf eine Arbeit im neuen Parlament verzichtet und an die Zentrale Wahlkommission die Forderung übergeben, sie nicht als gewählte Abgeordnete zu registrieren. Sie hatten gehofft, so die Arbeit der Gesetzgebenden Versammlung lahm zu legen. Die Wahlkommission teilte aber mit, wie auch erwartet wurde, dass sie nicht könne, ihnen nicht die Abgeordnetenausweise auszustellen. Dabei haben es „Gakharia – Für Georgien“ und „Starkes Georgien“, die ebenfalls ins Parlament eingezogen sind, abgelehnt, sich der Initiative der Kollegen anzuschließen, wobei sie auf einen unnötigen Populismus hinwiesen.
Einer der Anführer der „Koalition für Veränderungen“, Nika Gvaramia, ist der Auffassung, dass sie hoffen, sich einen Zugang durch eine Hintertür ins Parlament zu belassen. „Jeder Oppositionelle, der sich anschickt, in dieses Parlament einzuziehen, muss klar begreifen, dass dies sein politischer Selbstmord ist“, warnte Ana Zitlidse, Mitglied des politischen Rates der Vereinigung „Einheit – Nationale Bewegung“.
Derweil werden die Gegner der Partei „Georgischer Traum“ bald den letzten Verteidiger in der Machtvertikale verlieren – Salome Zurabishvili. Sie ist das letzte Staatsoberhaupt, das durch eine direkte Abstimmung gewählt wurde. Im Januar werden 300 Wahlmänner, zusammengestellt aus Mitgliedern des Parlaments und kommunaler Machtorgane, einen neuen Präsidenten wählen.
Derweil hat im Europaparlament eine Diskussion stattgefunden, die der Situation in Georgien gewidmet war. Ende November werden die europäischen Parlamentarier eine neue Resolution zu diesem Thema verabschieden. Ein Teil der Abgeordneten fordert weiterhin die Verhängung von Sanktionen gegen Tbilissi inklusive Wiederherstellung des Visa-Regimes.
„Vor beinahe drei Wochen habe ich persönlich direkte Manipulationen an verschiedenen Orten des Landes gesehen. Massenhafte Abgaben von Stimmzetteln, das Ausbleiben einer geheimen Stimmenabgabe und Einschüchterungen. Dies ist noch ein Beispiel für das Abgehen von der Demokratie… Wir müssen Sanktionen gegen alle verhängen, die dafür die Verantwortung tragen, und die Georgier in ihrem Streben nach Demokratie unterstützen“, erklärte die Vertreterin Tschechiens Markéta Gregorová.
Diesen Bewertungen stimmte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, zu. Nach seinen Worten hätten die Oktoberwahlen vor dem Hintergrund ernsthafter Verstöße stattgefunden. Daher würde die Abstimmung nicht dem Status eines Kandidaten für eine EU-Mitgliedschaft entsprechen. Dabei unterstrich Schinas, dass „Georgischer Traum“ die Angst der Wähler vor einem Krieg instrumentalisiert hätte.
Zur gleichen Zeit haben die extrem rechten Abgeordneten des Europaparlaments Georgien unterstützt. Der Franzose Thierry Mariani, der dem Block „Patrioten für Europa“ angehört, der unter dem Einfluss von Ungarns Premierminister Viktor Orban gebildet worden war, hat beispielsweise aufgerufen, die Entscheidung der Georgier zu achten. „Seit dem 26. Oktober habe es nicht einen Tag ohne eine Einmischung der europäischen Spitzenvertreter in die Angelegenheiten Georgiens gegeben. Dem muss ein Ende gesetzt werden, wenn sich die EU nicht wie die UdSSR aufführen will“, erklärte der 66jährige Politiker.
„Ich war Mitglied einer Beobachtermission. Ich war dort am Wahltag. Es hatte überhaupt keinerlei Empfindung von Repressionen gegeben… Die OSZE-Mission erklärte bei einem Briefing, dass es bei den gut organisierten Wahlen einige Zwischenfälle gegeben hätte. Dies habe aber nicht den ehrlichen Charakter der Wahlen beeinflusst. Die Georgier sind stolze Menschen. Sie wollen sich aber nicht der „Regenbogen“-Agenda Brüssels unterordnen“, verteidigte die Partei „Georgischer Traum“ das Mitglied der Partei „Alternative für Deutschland“, Hans Neuhoff.
Der Politologe Gia Chuchashvili sagte in einem Gespräch mit der „NG“, dass das Schicksal des in Georgien herrschenden Regimes davon abhänge, inwieweit die Opposition und ihre westlichen Partner gemeinsam auf „Georgischer Traum“ Druck ausüben könnten. Dabei warnte er, dass dieser Prozess viel Zeit in Anspruch nehmen könne.
„Bisher erklären die Oppositionellen, dass sie nicht ins Parlament kommen werden. Aber vor vier Jahren hatten sie genau das gleiche gesagt, und danach haben sie es sich anders überlegt. Tatsächlich hängt vieles davon ab, inwieweit der Westen bereit sein wird, wenn nicht die Wahlergebnisse anzuerkennen, so zumindest die Augen vor ihnen zu verschließen. Wobei dies direkt mit den Straßenaktivitäten in Georgien verbunden ist. Bisher kann man sie nicht mit dem vergleichen, was im Frühjahr während der Proteste gegen das Gesetz über ausländische Agenten der Fall gewesen war. Aber am Tag der ersten Tagung des Parlaments der neuen Legislaturperiode kann sich alles ändern. Derzeit sparen sich die Menschen sozusagen Kräfte auf, wobei sie begreifen, dass sie eine Marathondistanz zu überwinden haben. Überdies orientiert sich die EU auch an den USA. Dort ist man aber mit den eigenen Problemen beschäftigt, die mit der Wahl von Donald Trump zusammenhängen. Wahrscheinlich weiß der Republikaner selbst noch nicht, was er mit Tbilissi machen soll“, erläuterte Chuchashvili.
Nach Aussagen des Experten könne die Aufhebung des visafreien Regimes mit der EU erheblichen Einfluss auf die innenpolitische Situation in Georgien ausüben. Zu diesem Zeitpunkt könne insgesamt die proeuropäische Demokratie entscheiden, dass der Gründer von „Georgischer Traum“ Bidzina Ivanishvili das Land in eine Sackgasse geführt habe. Und da könne das Regime vor aller Augen in die Brüche gehen. Dafür müssten aber die Gegner der Regierung weitaus aktiver sein, um Brüssel zuerst zu solch einer Entscheidung zu provozieren und danach die sich ergebene Möglichkeit für einen Sieg zu realisieren