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Baku erteilte Moskaum verbalem Sträuben eine Abfuhr


Das Jahr 2024 geht für Russland mit einem bitteren Beigeschmack zu Ende. Zahllose Naturkatastrophen, große Verluste durch den Ukraine-Krieg und Unglücke prägten das Jahr. Und kurz vor dem Jahreswechsel hat es das Land besonders hart getroffen, zumal erneut deutlich wurde, wie schwer man sich in Moskau mit der Wahrheit tut. Erst ereignete sich in der Meerenge von Kertsch eine ökologische Katastrophe, zwei altersschwache Tanker sanken, und das ausgetretene Schweröl suchte die Küsten der Verwaltungsregion Krasnodar und der Krim-Halbinsel heim. Die Arbeiten zur Beseitigung der schweren Folgen werden noch viel Zeit in Anspruch nehmen, wobei sich die Offiziellen und Behörden lange schwertaten, einen föderalen Notstand zu erklären.
Doch schlimmer kam es am 25. Dezember. Der Flug 8243 der aserbaidschanischen Airline AZAL auf der Route Baku-Grosny endete tragisch bei Aktau an der kasachischen Küste des Kaspischen Meeres. 38 Menschen fanden den Tod, 29 überlebten. Und sofort tauchten zahllose Fragen auf: Wieso war der Embraer-190-Jet auf einmal im kasachischen Luftraum? Was erfolgte auf dem eigentlich kurzen Flug aus der Hauptstadt Aserbaidschans in die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien? Warum war auf den Landkarten für ein Verfolgen von Flugrouten der Jet teilweise verschwunden? Und was haben die merkwürdigen Beschädigungen am Heck des Flugzeuges zu bedeuten?
Auf der Suche nach Antworten wurde wieder einmal deutlich: Moskau tut sich schwer, um eine schnelle Aufklärung zu ermöglichen, um die Wahrheit zu sagen. Folglich wurden daher Erinnerungen wach. Im deutschen Fernsehen verwies ein Experte auf das Unglück der MH 17 der Malaysia-Airlines, bei dem am 17. Juli 2014 alle 298 Insassen, darunter 80 Kinder und 15 Besatzungsmitglieder, ums Leben kamen. Ein niederländisches Gericht hielt es für erwiesen, dass eine russische Luftabwehrrakete des Typs Buk M1 die Boeing-777 über dem Osten der Ukraine getroffen und ihren Absturz verursacht hatte. Schaut man weiter in die Luftfahrtgeschichte, so fällt einem der Abschuss des Korean-Air-Lines-Flug 007 ein. Sowjetische Luftabwehreinheiten hatten die Boeing-747 über Sachalin am 1. September 1983 vom Himmel geholt, weil sie angeblich in einer Flugverbotszone unterwegs war, dort Spionage betrieb. 269 Mensen fanden den Tod.
Ja, und nun der AZAL-Embraer-Jet. Auf russischer Seite gab es Spekulationen und Versuche, die wahren Unglücksursachen zu verschleiern, wie Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew am Sonntag in einem Interview für den staatlichen Fernsehkanal AzTV erklärte. Kremlsprecher Dmitrij Peskow meinte beispielsweise einen Tag nach dem Unglück, dass es nicht richtig sei, Hypothesen über den Absturz zu äußern. Die aber betrafen konkret die Schäden am Heck des abgestürzten Flugzeugs, die nun wirklich nicht durch irgendwelche Vögel verursacht worden waren. Das Moskauer Wirtschaftsblatt „Kommersant“ hatte gleichfalls auf Merkwürdigkeiten rund um den Zielflughafen Grosny hingewiesen. Die Rede war von ukrainischen Drohnenattacken, die von den russischen Nachrichtenagenturen am 25. Dezember verschwiegen wurden. Dass dies aber dazu führte, dass der sogenannte Plan „Teppich“ für den Airport in Kraft gesetzt und die GPS-Signale durch russischen funkelektronische Abwehrkräfte unterdrückt wurden, war erst am 27. Dezember durch den Chef der russischen Zivilluftfahrtbehörde, Dmitrij Jadrow, verkündet worden. Offenkundig erfolgten hinter den russischen Kulissen Diskussionen, wie man sich weiter in der heiklen Situation verhalten sollte und traf wohl keine richtige Entscheidung. Derweil nahm aber der Druck auf die Moskauer Offiziellen zu. Der aserbaidschanische Parlamentarier Rasim Musabekov nahm in einem Interview für die Nachrichtenagentur Turan kein Blatt vor den Mund und betonte: „Die Maschine der Azerbaijan Airline ist über Grosny, auf russischem Territorium beschossen worden. Dies kann nicht verleugnet werden“. Russland müsse sich dafür entschuldigen. Überdies annullierten mehrere Fluggesellschaften eine Vielzahl von Flügen aus Russland. Allein AZAL aus zehn Städten der Russischen Föderation. Die kasachischen Behörden hatten es auch gar abgelehnt, russische Kriminalisten zur Aufklärung des Unglücks hinzuziehen.
Kremlchef Wladimir Putin sah sich angesichts der nichtzurückzuweisenden Indizien genötigt, seinen aserbaidschanischen Amtskollegen Alijew anzurufen. Aber erst am 28. Dezember, wobei er in gewohnter Manier formulierte. Die offizielle Internetseite des russischen Staatsoberhauptes meldete am vergangenen Samstag: „Wladimir Putin entschuldigte sich im Zusammenhang damit, dass es zu einem tragischen Zwischenfall im Luftraum Russland gekommen war, und bekundete noch einmal tiefes und aufrichtiges Beileid den Familien der ums Leben gekommenen Menschen und wünschte den Betroffenen baldige Genesung. In dem Gespräch wurde betont, dass das aserbaidschanische Passagierflugzeug, das exakt dem Flugplan folgte, mehrfach versucht hatte, zur Landung im Flughafen der Stadt Grosny anzusetzen. Zu dieser Zeit hatten ukrainische Kampfdrohnen Grosny, Mozdok und Wladikawkas angegriffen, und die russischen Luftabwehrmittel hatten diese Angriffe abgewehrt“. Aber nicht ein einziges Wort hinsichtlich eines Eingestehens der russischen Schuld, wobei Experten auf die Tatsache hinweisen: Die Länge des Embraer-190-Jets beträgt etwas mehr als 36 Meter, die Länge der erwähnten Kampfdrohnen im Durchschnitt maximal fünf Meter. Folglich hätte die russische Luftabwehr einen eklatanten Fehler begangen.
Natürlich konnte der Samstag-Anruf Putins Alijew in keiner Weise befriedigen. Im bereits erwähnten Interview für AzTV machte er keinen Hehl daraus und erinnerte, dass Baku drei prinzipielle Forderungen an Moskau gestellt habe. Erfüllt sei lediglich eine, die der nach einer Entschuldigung. Aber eine Anerkennung der Schuld und eine Bestrafung der Schuldigen auf russischer Seite stehen noch aus. Wie lange, kann heute schwer gesagt werden. Auf jeden Fall haben die aserbaidschanisch-russischen Beziehungen durch die ausgebliebenen gerechtfertigten und adäquaten Schritte nach dem Flugzeugunglück einen Schaden erlitten. Das Vertrauen in die russischen Offiziellen ist lädiert, so dass auch die Absage Bakus an eine Beteiligung des Zwischenstaatlichen Flugkomitees an der Aufklärung aller Ursachen der Katastrophe mehr als kategorisch war. „Und der Grund ist klar. Denn es ist kein Geheimnis, dass diese Struktur vor allem aus russischen Beamten besteht. Und an der Spitze dieser Struktur stehen Staatsbürger Russlands. Die Faktoren einer Objektivität konnten hier nicht vollkommen gewährleistet werden“, sagte Ilham Alijew am Sonntag.