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Die Tretjakow-Galerie hat sich von der neuesten Kunst abgewandt


  • Im vergangenen Jahr hat die Tretjakow-Galerie eine Filiale in Samara eröffnet. Und weiter – ein neues Gebäude in Moskau, mit einer Ausstellung zu den Peredwischniki (eine nach 1870 entstandene Gruppe russischer Künstler, vorrangig Maler, die Vertreter des Realismus in der Malerei waren und durch das Land mit ihren Arbeiten zogen – Anmerkung der Redaktion). Das weltbekannte Museum hat aber auch die Abteilung für aktuelle Strömungen, eine der energischsten, aufgelöst. Doch gerade auf deren Grundlage hatte sich der offenkundig schwächelnde Ausstellungsplan der Galerie zu Beginn des Jahres faktisch über Wasser gehalten. Das an eine ewige Baustelle erinnernde neuen Galeriegebäude an der Moskauer Kadaschewskaja-Uferstraße hatte man zweimal eingeweiht. Zuerst Ende Mai, als dort das Festival „Intermuseum“ stattfand. Danach Ende Oktober mit einer großen Schau von Arbeiten der Peredwischniki. Das Gebäude stand also mehrere Monate faktisch ungenutzt herum. Sowohl die Filiale in Samara als auch das Gebäude an der Kadaschewskaja-Uferstraße waren lange vor der nunmehrigen Direktorin Jelena Pronitschewa (wurde am 9. Februar 2024 ernannt, nachdem sie zuvor das Polytechnische Museum in der russischen Hauptstadt geleitet hatte – Anmerkung der Redaktion) konzipiert worden. Ja, aber die Auflösung der Abteilung für aktuelle Strömungen, die als eine Umstrukturierung im Museum mit der Etablierung der Abteilung für die Kunst der zweiten Hälfte des 20. und des 21. Jahrhunderts präsentiert wurde, ist ein neuer Schritt. Wobei die bisherige Abteilung für aktuelle Strömungen nicht nur für das Ansehen der Galerie auch durch frühere markante Projekte wirkte. Allein im Jahr 2024 wurden aus der Sicht der Ausstellungsarbeit der Winter und das Frühjahr gerade durch die Expositionen zum Wirken von Alexander Konstantinow und Jurij Slotnikow zu Erfolgen. Eine offizielle Reaktion der Staatlichen Tretjakow-Galerie tauchte erst auf den Accounts des Museums in den sozialen Netzwerken nach einem offenen Protestbrief von Andrej Jerofejew, einem der früheren Leiter der aufgelösten Abteilung, auf und beschränkte sich auf die allgemeinen Phrasen, wonach alles gut werde, ohne weitere konkrete Aussagen. Was die Ausstellungstätigkeit der Staatlichen Tretjakow-Galerie angeht, ist nicht immer bekannt, welche Projekte schon lange geplant worden sind und welche nicht. Aber der Vektor für die weitere Entwicklung ist jetzt in die Vergangenheit, eine recht weitzurückliegende ausgerichtet worden. Das Gebäude an der Kadaschewskaja-Uferstraße wurde mit den Peredwischniki richtig eröffnet. Im Museum präsentierte man dies als erstes großes Projekt seit 50 Jahren, das sie auf neue Art und Weise vorstelle und überhaupt das wichtigste für das Museum für die Jahre 2024/2025 sei. In den Sälen zieht sich über die entsprechenden Texttafeln die russische Mentalität dahin, eine Mission usw. Das Neue wird letztlich hauptsächlich durch den Archivteil gezeigt. Die Tretjakow-Galerie hatte aber schon einzelne Schauen mit Werken von Nikolaj Ge, Isaak Lewitan, Konstantin Korowin, Wladimir Serow, Ilja Repin, Archip Kuindschi und Wassilij Polenow organisiert. Zum zweiten Projekt wurde eine Ausstellung von Viktor Popkow, eines Vertreters des sogenannten rauen Stils. Seine Retrospektivausstellung fand vor zehn Jahren in der Akademie der Künste statt. Ja, und nun die erste, überhaupt die allererste Ausstellung des Avantgardisten und Mistreiters von Kasimir Malewitsch (und Sohn des Peredwischniki-Vertreters Alexej Sawrassow) Alexej Morgunow, die lange geplant, aber verschoben wurde. Und letztlich wird er bescheiden vorgestellt, in einem der Säle der ständigen Exposition zum Avantgardismus. Es kommt das Gefühl auf, dass nicht nur die neueste Kunst, sondern auch der Avantgardismus unter der neuen Direktorin an die Peripherie verdrängt worden sind. Obgleich das Museum offenkundige Schwierigkeiten mit Ausstellungen hat, die seltener eröffnet werden und länger andauern. Und es scheint, dass man sich die meisten von ihnen nicht unbedingt anschauen muss. Die Tretjakow-Galerie ist zu einem Langweiler geworden und hat schnell den Status eines bedeutenden Ausstellungsortes verloren, der unter Selfira Tregulowa (war von 2015 bis 2023 Direktorin der Tretjakow-Galerie – Anmerkung der Redaktion) erworben worden war.