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Vorstoß für Polygamie erlitt einen Eklat 6


  1. Der Rat der Ulamas (Theologen und Rechtsgelehrten) der Geistlichen Verwaltung der Moslems Russlands hat am 23. Dezember vergangenen Jahres über ein Zurückziehen der Fatwa informiert, die Polygamie erlaubte. Derweil hat man in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments) vorgeschlagen, eine strafrechtliche Verantwortung für das Eingehen einer illegitimen Ehe wiederherzustellen. Das skandalöse theologische Gutachten 4/24 „Die Problematik von Polygamie in der moslemischen Gemeinschaft Russlands“, die russischen Moslems erlaubte, bis zu vier Ehefrauen zu haben, galt nur eine ganze Woche. In den Abendstunden des 23. Dezembers war im Telegram-Kanal des Vorsitzenden des Rates der Ulamas der Geistlichen Verwaltung der Moslems, Schamil Aljautdinow, die Mitteilung gepostet worden, dass das Kollegium der Theologen „im Zusammenhang mit den in den Massenmedien erschienen Informationen, wonach die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation aufgerufen hatte, die Fatwa zu canceln (am 23. Dezember 2024), aber auch im Zusammenhang mit den Reaktionen der russischen Öffentlichkeit die Fatwa zurückzieht“. „Dafür gilt Gottes Wille, und der Rat der Ulamas der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Russischen Föderation sieht keinen Sinn, sich auf eine Polemik einzulassen“, fügte der 50jährige Religionsvertreter, der selbst mit seiner Gattin Silja sechs Kinder erzieht, hinzu. Die Polygamie genehmigende Fatwa war durch den Rat der Ulamas am 17. Dezember verabschiedet worden. Gemäß diesem Dokument des Kollegiums der islamischen Theologen wurde das Schließen einer Nikah (rechtsverbindliche Vereinbarung über eine Ehe im Islam) durch einen Mann, der bereits verheiratet ist, mit einer anderen Frau in einigen Fällen genehmigt: „die Unfähigkeit der Gattin, aufgrund des Gesundheitszustands Kinder zu gebären“, „im Zusammenhang mit dem Ende des reproduktiven Alters oder anderen objektiven Gründen“, „der Unwille der Ehefrau, Kinder zu gebären“, „der Wunsch des Mannes, einer alleinstehenden Frau und ihren Kindern soziale und materielle Unterstützung zu gewähren“ usw. Dabei hatte man von Anfang an (vor allem Frauen) darauf hingewiesen, dass der Staat keine polygamen Ehen anerkenne. Der Vorsitzende der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Russischen Föderation, Mufti Rawil Gainutdin, hatte erläutert, dass das theologische Dokument eine Antwort auf die Wünsche zahlreicher Frauen sei, die zu Opfern eines Betrugs seitens Männer geworden waren. Der 65jährige Mufti hatte noch ein rechtfertigendes ernstes Argument angeführt: Die Witwen der während der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine gefallenen Männer bedürfen einer Obhut, und entsprechend einem moslemischen Brauch übernehme diese Aufgabe ein Bruder des gefallenen Kämpfers. Das Oberhaupt der Geistlichen Verwaltung unterstreich gleichfalls gesondert, dass die Fatwa nicht der Zivilgesetzgebung der Russischen Föderation widerspreche. Er versicherte gar, dass sich die zweiten bzw. dritten Ehefrauen nicht an Staat um Beihilfen für ihre Kinder wenden würden. Damit hatte jedoch der Mufti mangelhafte Kenntnisse hinsichtlich der russischen Familiengesetzgebung demonstriert. Gleich nach Veröffentlichung hatte die Fatwa eine starke Welle an Kritik ausgelöst. Die Opponenten hoben unter anderem hervor, dass Frauen formal als alleinstehende Mütter angesehen und zu einer Last für das System der sozialen Absicherung werden würden. Bekundet wurden die Befürchtungen, dass die Ehe-Novität zu einem Schritt des Aufzwingens von Elementen des Scharia-Rechts in Russland werde. Im Tagesverlauf des 23. Dezembers kursierten in den Medien Meldungen, wonach man in der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation der Fatwa Aufmerksamkeit geschenkt hatte. „Das theologische Gutachten des Rates der Ulamas der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Russland „Die Problematik von Polygamie in der moslemischen Gemeinschaft Russlands“ widerspricht der geltenden Gesetzgebung und den Grundlagen der staatlichen Familienpolitik auf dem Gebiet der Bewahrung und Festigung der traditionellen russischen geistig-moralischen Werte. Dem Vorsitzenden der zentralisierten religiösen Organisation „Geistliche Verwaltung der Moslems der Russischen Föderation“ ist die Aufforderung zur Beseitigung der Gesetzesverletzung erteilt worden“, zitierte die russische Nachrichtenagentur Interfax eine namentlich nicht genannte Quelle in der Aufsichtsbehörde. Dabei wurde betont, dass „der Staat die internen Festlegungen religiöser Organisationen achtet, wenn die ausgewiesenen Grundsätze der Gesetzgebung der Russischen Föderation nicht widersprechen“. Moskaus Mufti gemäß der Version der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Moskau, Ildar Aljautdinow, versuchte, das Statement der Generalstaatsanwaltschaft anzufechten, wobei er erläuterte, dass die Fatwa über Polygamie die Gesetze des Staates nicht ersetze und lediglich einen empfehlenden Charakter trage. Und die Nikah, die von den Moslems mehrfach geschlossen werden kann, ersetze nicht die Registrierung einer Ehe im Standesamt, ohne die die Ehefrauen nicht berechtigt sind, auf das gemeinsame Eigentum mit den Gatten Anspruch zu erheben. Jedoch hatte man am gleichen Tag in der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Russland entschieden, die Fatwa zurückzuziehen. Die offizielle Mitteilung darüber wurde in den Mittagsstunden des 24. Dezember auf der Internetseite der religiösen Vereinigung veröffentlicht. Die Vorsitzende des Staatsduma-Ausschusses für den Schutz der Familie sowie für Fragen der Vater- und Mutterschaft sowie Kindheit, Nina Ostanina (KPRF), hatte vor dem Hintergrund der umstrittenen Fatwa vorgeschlagen, eine Haftung für religiöse Polygamie als ein Propagieren „nichttraditioneller Familienbeziehungen“ zu etablieren. Ein entsprechendes Schreiben sandte sie an Justizminister Konstantin Tschujtschenko. Ostanina rief gleichfalls auf, den Artikel 6.21 des Ordnungsstrafrechts durch einen Zusatz über das Propagieren von Polygamie zu ergänzen, aber auch den Paragrafen über eine strafrechtliche Ahndung im Falle des Schließens einer Ehe ohne die Lösung der vorangegangenen wiederherzustellen. „Die Versuche, Polygamie zu popularisieren, die den Gesetzes des Landes und unserer Verfassung widerspricht, zeugt von dem Wunsch, den Menschen klarzumachen, dass Polygamie und ein Zusammenleben mit zwei oder mehreren Frauen eine Norm sind“, erklärte die Abgeordnete. Solch eine Meinung bekundete ebenfalls der Vorsitzende des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen, Valerij Fadejew. „Der Rat hat Polygamie nicht erlaubt und konnte ihn in keiner Weise erlauben, da sie bereits in den heiligen Schriften der abrahamitischen Weltreligionen verankert worden ist. Und deren Texte unterliegen nicht der Zuständigkeit der russischen Gesetze. Im Gegenteil, das theologische Gutachten ist ein Versuch, den falsch verstandenen Begriff Polygamie im Rahmen der religiösen Tradition einzuschränken“, erklärte am gleichen Tag, am 24. Dezember der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Russischen Föderation, Damir Muchetdinow. Er erläuterte, dass das Problem der Polygamie auch so im Land existiere, und die Ulamas „haben lediglich die Verantwortung übernommen, diese eitrige Stelle am Körper des moslemischen Organismus von Russland zu öffnen“. „Da das Thema ein heikles ist und das private, das Intimleben der Menschen betrifft, ist es absolut unmöglich, es per Direktive über die Annahme eines Gesetzes in der Staatsduma, über das Erklären als ein verbotenes zu lösen. Genauso wie wir beispielsweise keine Verbesserung der demografischen Situation durch die endlosen Appelle von Abgeordneten und Gouverneuren, Kinder zur Welt zu bringen, sehen. Die Ulamas sind einen anderen Weg gegangen, indem sie auf die Anhänger durch die Autorität der Tradition und die Meinung von Theologen Einfluss nehmen. Die theologischen Gutachten der Ulamas haben a priori keine rechtlich verbindliche Gültigkeit“, zitiert der Telegram-Kanal der Geistlichen Verwaltung der Moslems von Russland die Meinung von Muchetdinow.