- Dass Julia Klöckner, die Präsidentin des Deutschen Bundestages, nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, ist allseits bekannt. Genauso wie die Tatsache, dass die 52jährige CDU-Politikerin im Westteil Deutschlands aufgewachsen ist und dort ihre Ausbildung in der Schule und in der Mainzer Universität erhielt. Dies gilt somit auch für die Geschichtskenntnisse, über die sie heute verfügt. Die unterschieden sich jedoch sicherlich von denen, die in der damaligen DDR vermittelt wurden und über die ihre Altersgefährten und älteren Deutschen im Ostteil des Landes verfügen. Ganz zu schweigen von dem Geschichtswissen, dass in der einstigen UdSSR und im heutigen Russland vermittelt wird. Dieser Gedanken scheint heute ein wichtiger zu sein, da vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Geschichte zu einem der Schauplätze ideologischer Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und Russland (und den ihm nahestehenden Staaten) geworden ist. Zu spüren ist dies vor allem in diesem Jahr, in dem der 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg über Hitlerdeutschland begangen wurde. Erinnert sei an die Diskussionen darum, wer den größten Beitrag für diesen Sieg geleistet hatte. Und gerade sie belasten derzeit erneut die russisch-deutschen Beziehungen, die nach Auffassung des bekannten Deutschland-Experten Wladislaw Below vom Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften eine Talsohle nach der anderen erreichen. Das in Russland als ausländischer Agent gelabelten Levada-Zentrum informierte gar in der ersten Juni-Dekade, dass eine von ihm Ende Mai durchgeführte Befragung ergab: Deutschland ist die Nummer 1 unter den Russland unfreundlich und feindlich gesinnten Staaten. 56 Prozent der Befragten hatten die Bundesrepublik als erstes Land neben vielen anderen wie Großbritannien oder Frankreich genannt. Ja, die Beziehungen zwischen Moskau und Berlin eskalieren, vor allem nach der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Dies löst große Besorgnis in der russischen Hauptstadt aus, zumal man sich an der Spree offensichtlich darauf eingestellt hat, noch mehr die Regierung in Kiew im Konflikt mit Russland zu unterstützen. Davor warnte Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende des russischen Unterhauses – der Staatsduma -, in einem Schreiben an seine Amtskollegin Klöckner. Der russische Spitzenpolitiker erklärte: „Wir wissen, dass die deutsche Regierung plant, eine Raketenproduktion in der Ukraine aufzubauen. Damit wird die BRD immer mehr in ein militärisches Vorgehen gegen Russland hineingezogen“. Mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg hatte er hinzugefügt: „Wohin das führen kann, verstehen Sie selbst.“ Julia Klöckner wertete dies als eine Drohung des russischen Duma-Chefs und betonte, dass sich der Bundestag nicht einschüchtern lasse. „Weder in seiner außenpolitischen Haltung noch in seinem geschichtlichen Selbstverständnis und seiner Gedenkkultur“, werde sich der Bundestag einschüchtern lasse. Mit solch einer Reaktion hatte Wolodin offensichtlich nicht gerechnet und sah sich gezwungen, nachzulegen (am 11. Juni) und öffentlich zu diesen und anderen Worten der Präsidentin des Deutschen Bundestages detaillierter den russischen Standpunkt darzulegen. Im Staatsfernsehen Russlands war dies dementsprechend auch eines der Topthemen. Freilich werden in Deutschland nur wenige Bürger um den Brief von Wjatscheslaw Wolodin wissen. Daher hat die Redaktion „NG Deutschland“ eine Übersetzung des umfangreichen Schreibens vorbereitet. „Sehr geehrte Frau Klöckner, ich sehe, dass Sie entschieden haben, unseren Schriftwechsel auf eine öffentliche Ebene zu heben. Gut, ich bin einverstanden. Ich erinnere daran, dass es in meinem Schreiben an Ihre Adresse vor allem um eine Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit und die Anerkennung jener Tatsache, dass die Hauptrolle bei der Vernichtung des deutschen Nazismus gerade das sowjetische Volk und seine Rote Armee gespielt hatten, ging. Mit Achtung stehen wir dem Beitrag der Alliierten zum Sieg im Zweiten Weltkrieg gegenüber. Wir werden auch nie den heldenhaften Kampf der deutschen Antifaschistischen vergessen. Doch man kann auch nicht das vergessen, dass gerade die Sowjetunion den entscheidenden Beitrag zum Sieg geleistet und in diesem Kampf 27 Millionen Menschen verloren hatte, die USA – 418.000, Großbritannien – um die 300.000. Und Frankreich hatte überhaupt vor Nazi-Deutschland kapituliert, obgleich einzelne seiner Vertreter heldenhaft bis zum Sieg gekämpft hatten, darunter auch an der Ostfront. Bedauernswert ist, dass Sie gar nicht einmal genau den Namen jener Armee anführen können, die Berlin eingenommen hatte, wobei Sie die als „einstige sowjetische“ bezeichnen. In diesem Zusammenhang bin ich genötigt, daran zu erinnern: Dies war die Rote Armee. Gleichfalls bedauernswert ist, dass Sie zugunsten der aktuellen politischen Konjunktur in der „einstigen Sowjetarmee“ „viele ukrainische Soldaten“ besonders hervorhoben. Wenn man bis ans Ende dieses Weges geht, so lassen Sie uns ebenfalls die weißrussischen, die kasachischen, die georgischen, die armenischen, die aserbaidschanischen, die usbekischen, die kirgisischen und anderen Soldaten aufzählen. Übrigens, im Verlauf des Zweiten Weltkriegs haben die Verluste gerade Russlands im Bestand der UdSSR praktisch 70 Prozent ausgemacht. Was die Nachkriegsbeziehungen zwischen unseren Ländern angeht, so werden wir nicht vergessen, dass gerade die Sowjetunion gegen einer Aufteilung Deutschlands aufgetreten war und später eine Schlüsselrolle bei dessen Vereinigung 1990 gespielt hatte. Heutzutage reden in Deutschland wenige darüber, ich hoffe aber, dass Sie dies nicht bestreite werden. Dies ist eine historische Tatsache. Was die „demokratisch gewählte Regierung“ in Kiew angeht, so würde ich gern daran erinnern, dass die Präsidialamtszeit des Oberhaupts des ukrainischen Staates vor einem Jahr abgelaufen ist, und seine Vollmachten mussten gemäß der Verfassung der Ukraine an sich und einer Reihe anderer Gesetze an den Vorsitzenden der Werchowna Rada übergehen. In der ukrainischen Gesetzgebung ist dies klar festgeschrieben worden. Es sind keinerlei gesetzlichen, konstitutionellen Formen für eine Verlängerung der Vollmachten des Präsidenten der Ukraine durch das Grundgesetz dieses Landes vorgesehen worden, selbst unter den Bedingungen eines Kriegszustands. Aber das Wichtigste besteht darin, dass die Regierung der BRD zusammen mit Polen und Frankreich im Jahr 2014 während der akuten innenpolitischen Krise in der Ukraine als Garant für die Vereinbarungen zwischen der Opposition und dem Präsidenten der Ukraine über eine friedliche, eine legitime Lösung aller Streitigkeiten aufgetreten war. Aber danach hatte Ihre Regierung so getan, als ob sie den in der Ukraine vorgenommen verfassungsfeindlichen bewaffneten Umsturz nicht bemerkt hätte. Somit ist die ursprüngliche Quelle der heutigen Offiziellen in der Ukraine eine staatsfeindliche, eine blutige Machtergreifung. Ist Ihnen nichts darüber bekannt? Über den Schutz was für einer Demokratie sprechen Sie? Ich erinnere gleichfalls daran, dass diejenigen, die in Kiew die Macht ergriffen hatten, sofort Kampfhandlungen begannen, einen Krieg gegen jene Regionen Ukraine, die die Verbrecher, die die Macht im Land an sich gerissen hatten, nicht akzeptieren und nicht anerkannten. Und dieser Krieg wurde ungestraft durch das Kiewer Regime bis zum Jahr 2022 geführt, das heißt acht Jahre lang. Dabei hatte Russland alles dafür getan, um den blutigen Konflikt im Südosten der Ukraine im Rahmen der Vereinbarungen zu beenden, die im Jahr 2015 in Minsk erzielt wurden. Jedoch waren die Minsker Abkommen, wie wir später aus öffentlichen Erklärungen früherer Spitzenvertreter der BRD und Frankreich erfuhren, von ihnen nicht für das Erreichen eines Friedens in der Ukraine, sondern für die Vorbereitung auf einen Krieg unterstützt worden. Ausschließlich als eine Pause für ein Vollpumpen der Streitkräfte der Ukraine mit Waffen. Haben Sie, sehr geehrte Frau Klöckner, diese Erklärungen etwa nicht gesehen? Ergo hat Russland im Jahr 2022 den Krieg in der Ukraine nicht begonnen, sondern setzt seine Streitkräfte ein, um ihn zu beenden, genauso wie es auch versucht, einen Frieden am Verhandlungstisch zu erreichen. Was den zweiten Teil meines Schreibens angeht, so betraf er die menschenhassenden Handlungen des Kiewer Regimes, das terroristische Attacken gegen Zivilisten Russlands unternimmt. Gerade darin schließt sich das heutige Kiewer Regime fest der Praxis der Nazis an und wird selbst zu einem nazistischen. Anders als nazistische kann man die Offiziellen nicht bezeichnen, die Menschen unter den Flaggen von Bandera und Schuchewytsch vereinen, das heißt derjenigen, die während des Zweiten Weltkrieges mit dem Hitler-Okkupationsregime aktiv zusammengearbeitet und entsprechend seinen Befehlen in der Ukraine Millionen Juden, Polen, Russen und Vertreter anderer Nationalitäten vernichtet hatten. Was das terroristische Wesen der heutigen Regimes in der Ukraine angeht, so genügt es, sich des kürzlichen Verbrechens im Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag durch die Geheimdienste der Ukraine auf dem Territorium der Russischen Föderation auf einen Passagierzug zu erinnern, in dem sich Frauen und Kinder, darunter Säuglinge befanden. Es sei unterstrichen – ausschließlich Zivilisten. Und dies war kein zufälliger Treffer eines Artilleriegeschosses, sondern ein zielgerichteter Sprengstoffanschlag auf einen Passagierzug. Wenn dies kein Terrorakt ist, was ist da Ihrer Meinung nach ein terroristischer Akt? Dokumentarische Beweise für die Verbrechen des Kiewer Regimes gegen die Zivilbevölkerung sind Ihnen in einem gesonderten Schreiben zugesandt worden. Und interessierte unvoreingenommene ausländische Beobachter, die sich mit ihnen vertraut machen wollen (in einer Übersetzung in europäische Sprachen) können dies auf der Internetseite der Staatsduma tun. Das Nächste: Die Übergabe von Waffen an das neonazistische Regime in der Ukraine durch Deutschland, die unter anderem gegen friedliche Bürger eingesetzt werden, ist bereits an und für sich Ursache für einen Konflikt zwischen unseren Ländern. Beispiellos ist das Auftauchen deutscher „Leopard“ (-Panzer) auf dem Territorium Russlands, auf Kursker Boden, erstmals nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs. Heute aber erörtert die Regierung Deutschlands ernsthaft eine Übergabe hochtechnologischer „Taurus“-Flügelraketen an Kiew, wobei sie ausgezeichnet begreift, dass das Kiewer nicht über die notwendigen Kompetenzen für deren Einsatz verfügt. Tatsächlich werden sich Bundeswehr-Spezialisten damit befassen. Das heißt: Deutsche Raketen werden gegen Russland eingesetzt, und dies werden deutsche Offiziere tun. Somit drängen Sie Deutschland und das deutsche Volk zu noch einem bewaffneten Konflikt mit Russland. Haben Sie dazu ein Mandat vom deutschen Volk? Von Ihren Wählern? Im Verlauf vieler Jahrzehnte haben unsere Länder nach dem Zweiten Weltkrieg viel dafür getan, um nicht nur die Kriegswunden zu heilen, sondern auch gegenseitig vorteilhafte, freundschaftliche Beziehungen zwischen dem russischen und dem deutschen Volk zu gestalten. Wir wissen, dass es in der BRD viele Menschen gibt, die aufrichtig danach streben, Beziehungen mit Russland zu entwickeln. Wir haben unsererseits stets und aufrichtig danach gestrebt und nicht einen einzigen Schritt gegen die Interessen Deutschlands unternommen. Ich unterstreiche – nicht einen einzigen. Wonach aber strebt Ihre Regierung? Nach neuen Konflikten? Wozu? Und wer wird dadurch gewinnen? Wird Deutschland gewinnen? Stellen Sie sich noch einmal diese Frage. Und beantworten Sie diese, aber nur ehrlich. Ich stehen Ihnen stets zur Verfügung. Hochachtungsvoll, W. Wolodin!
Wir haben nicht einen einzigen Schritt gegen die Interessen Deutschlands unternommen“
09:41 1.07.2025