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Im kommenden neuen Parlament Kirgisiens wird es keine „russische“ Stimme geben


Die Zentrale Wahlkommission der Republik Kirgisien hat die Annahme von Anträgen auf eine Teilnahme an den vorgezogenen Parlamentswahlen abgeschlossen, wobei mit rund 500 Anwärtern ein Rekord aufgestellt wurde. Unter ihnen sind fast das ganze Dschogorku Kenesch (das Parlament), Beamte, Vertreter der kommunalen Machtorgane, Lehrer, Blogger und sogar Arbeitslose. Experten lenken die Aufmerksamkeit darauf, dass unter ihnen keine Vertreter der russischsprachigen Bevölkerung sind. Besondere Besorgnis löst die zunehmende Rolle der religiösen Rhetorik in der Wahlkampfagitation aus. Die Abstimmung erfolgt am 30. November.

Um die 90 Parlamentssitze bewerben sich über 530 Personen, unter den 340 Männer und 192 Frauen sind. Dies teilte die stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission (ZWK) Aidana Schupujewa Journalisten mit. Weitere sieben Interessenten sind der strengen Selektion der ZWK nicht gerecht geworden. Die Ursachen für die Ablehnung sind die Tatsache, dass die die Bewerber unzureichend lang in der Republik ansässig sind, sowie das Bestehen von Vorstrafen und eine Beteiligung an organisierten kriminellen Gruppierungen.
„Der Grenzdienst legte der ZWK Informationen vor, wonach zwei Anwärter die letzten fünf Jahre nicht auf dem Territorium des Landes lebten. Bei zwei potenziellen Kandidaten wurden Vorstrafen ermittelt. Diese Angaben wurden durch das Innenministerium bestätigt. Und hinsichtlich weiterer zwei Anwärter teilte das Innenministerium mit, dass sie Mitglieder organisierter krimineller Gruppierungen seien. Ein Kandidat ist laut Informationen der Staatsagentur für Religionsfragen ein Geistlicher“, betonte Schupujewa. Laut ihren Worten haben auch drei Parteien den Wunsch bekundet, an den Wahlen teilzunehmen. Zwei von ihnen haben jedoch ihre Anträge zurückgezogen. Im Ergebnis dessen ist nur die Partei „Yntymak“ geblieben, die neun eigene Kandidaten aufstellte. Das komplette Paket an Dokumenten für eine offizielle Registrierung mussten die Kandidaten bis zum 2. November vorlegen. Die Registrierung an sich endet am 9. November. Und der Wahlkampf startet offiziell am 10. November.
Der Verzicht einiger politischer Parteien auf eine Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen belegt die Vertrauenskrise ihnen gegenüber. Die Erstellung der Parteilisten, wobei der Einfluss der Spitzenvertreter und die finanzielle Komponente die entscheidende Rolle spielten, führte zu einer Diskreditierung des Parteiensystems. Laut vorliegenden Angaben hatte der Preis für ein Einziehen ins Parlament eine Million Dollar erreicht, wonach der entsprechende „Diener des Volkes“ mit einem Skandal seine Fraktion verließ.
Bei den anstehenden Wahlen zum Dschogorku Kenesch wird ein aktualisiertes Wahlsystem zur Wirkung kommen. Gebildet wurden 30 Wahlbezirke, von denen aus jedem jeweils drei Abgeordnete gewählt werden. Obligatorische Bedingung ist dabei, dass ein Mandat für Frauen vergeben wird. Die Kandidaten können sowohl durch Parteien als auch auf Eigeninitiative nominiert werden. Ungeachtet der Änderungen bekunden Experten bereits Besorgnis aufgrund des weiteren Bestehens großer Korruptionsrisiken und eines möglichen „Kaufs“ von Abgeordnetensitzen.
Experten lenken ebenfalls die Aufmerksamkeit auf die zunehmende Verwendung religiöser Rhetorik in der Wahlkampfagitation. Ungeachtet des weltlichen Charakters des Staates, der in der Verfassung verankert worden ist, bedienen sich einige Kandidaten einer gelinde gesagt „sanften religiösen Mobilisierung“.
Unter jenen, die solche Methoden nutzen, tut sich der Kandidat von der Partei „Erkin Kyrgystan“ Tursunbai Bakir uulu hervor, der zu einer Verstärkung der Rolle der Religion in der Politik, einer Legalisierung der Polygamie und Aufhebung des Verbots für die extremistische Organisation „Hizb Ut-Tahrir“ (ist in Russland verboten) aufruft. Der Kandidat Shalolidin Nurbajew plädiert gleichfalls für eine Aufhebung des Verbots für „Hizb Ut-Tahrir“ und „Tablighi Djamaat“ (eine extremistische Partei, die in Russland verboten ist). Der Unternehmer Kenshebek Salimbekow appelliert seinerseits aktiv an die „moralischen religiösen Werte“.
Mehrere Kandidaten nutzen auch eine nationalistische Rhetorik, wobei sie die „ethnische Identität“ und die „Einheit der Nation aufgrund der Traditionen“ unterstreichen. Vor diesem Hintergrund haben in der Stadt Osch Aktionen zum Austausch von Aushänge- und Namensschildern begonnen. So haben am 29. Oktober Mitglieder der Kommission für die Staatssprache beim Bürgermeisteramt Überprüfungen der Namen von Serviceeinrichtungen für die Bevölkerung vorgenommen. Die Unternehmer, deren Cafés, Restaurants, Schönheitssalons und Läden Aushänge und Beschilderungen in Fremdsprachen hatten, darunter in russischer Sprache (und die ist laut Verfassung eine offizielle Sprache in der Republik), verpflichtete man, sie durch kirgisischsprachige zu ersetzen. Der Bürgermeister von Osch, Shenischbek Toktoralijew, hat angeordnet, diese Arbeiten bis zum 10. November abzuschließen.
Diese Maßnahmen in Osch, die auf eine Unifizierung des Sprachraums abzielen, korrelieren mit der generellen Tendenz zur Ausnutzung des Themas der nationalen Identität in der Wahlkampfagitation. Dieser Trend löst neben der Zunahme der religiösen Rhetorik Besorgnis von Beobachtern aus.
„Die bevorstehenden Wahlen zum Dschogorku Kenesch tragen den Charakter einer „Generalprobe“ vor den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027“, sagte der Politologe Asilbek Egemberdijew der „NG“. Er unterstrich die zielgerichtete „Säuberung des politischen Feldes“. Die Herrschenden unterbinden jegliche oppositionellen Aktivitäten, was die Nichteinverstandenen und die mitfühlenden Intellektuellen zu einem Schweigen nötigt.
Die voraussichtliche Zusammensetzung des neuen Parlaments wird nach seiner Meinung eine vorrangig loyale sein. Rund 30 bis 35 Prozent werden gegenwärtige Abgeordnete der 7. Legislaturperiode ausmachen, die Treue gegenüber den Herrschenden demonstrierten, einschließlich des Parlamentschefs Turgunbek uulu Nurlanbek und dessen Team. Weitere 35 bis 40 Prozent werden neue, aber ebenfalls loyale Personen ausmachen: nahestehende, Verwandte, Geschäftsleute und Kinder von Beamten. Die restlichen 30 Prozent werden neue Gesichter sein, die mit Unterstützung von Behördenstrukturen nominiert wurden (Lehrer, Ärzte, Unternehmer, ehemalige Politiker; letztere werden doch gegenwärtig als Arbeitslose ausgewiesen). Eine reale Chance haben nur fünf bis sieben Prozent der Spitzenvertreter des Volkes und unabhängigen Kandidaten. Somit schaffen die Herrschenden ein Parlament aus absolut loyalen Vertretern.
„Die gegenwärtige Opposition, die zwar auch existiert, ist gezwungen zu schweigen. Viele ihrer Vertreter werden durch Gerichtsklagen belastet, was deren offene Auftritte und eine Teilnahme an den Wahlen behindert“, betonte Egemberdijew. Nach seinen Worten löse besondere Besorgnis die nationale Zusammensetzung der Kandidaten aus. Die russischsprachige Bevölkerung ist faktisch nicht vertreten. Dies löse ernsthafte Sorge bei den in Russland lebenden kirgisischen Staatsbürgern. Zu beobachten sei eine langsame, aber sichere Spaltung in den Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Republik Kirgisistan, die durch geopolitische Faktoren, die Priorität des „chinesischen Business und Geldes“ und der neuen Sicht der Landesführung auf Russland ausgelöst wurde.
Es gibt aber eine Chance, den vorausgesagten Ausgang der Wahlen zum Dschogorku Kenesch zu verändern. Der Experte sieht ihn in einer massenhaften Wahlbeteiligung der Jugend. Die in den sozialen Netzwerken traditionell aktiven jungen Wähler bzw. Wahlberechtigten kommen selten an die Wahlurnen. Wenn sich dies aber verändert, müssen sich die Herrschenden an eine neue politische Realität anpassen. Die jungen Menschen, die zum Wählen gekommen sind, können die Erneuerung des Parlaments beschleunigen, indem sie selbst die erfahrensten Politiker überrumpeln. Die Generation Z, die oft von den „Dinosauriern“ unterschätzt wird, sei in der Lage, das Spiel zu ändern und zu bestimmen, besonders in den Städten, wo sich ihre Stimme als eine entscheidende erweisen könne, sagte abschließend Egemberdije