Die russische Blogger-Community, und zwar ihr „politisches“ Segment, ist durch die Nachricht über einen neuen Regierungsbeschluss, durch den der Aufsichtsbehörde Roskomnadzor uneingeschränkte Möglichkeiten zur Blockierung und Abschaltung des Internets im Land eingeräumt werden, beunruhigt worden. Das Dokument wird ab 1. März kommenden Jahres in Kraft treten. Tatsächlich wurden die „Regeln für eine zentrale Verwaltung des Fernmeldenetzes für eine allgemeine Nutzung“ bereits im Jahr 2020 bestätigt. Und jetzt hat man sie bloß konkretisiert. Roskomnadzor hatte alle notwendigen Vollmachten und wird sie weiter behalten. Die Netzbetreiber können in der Praxis in keiner Weise darauf Einfluss nehmen. Und die Frage besteht lediglich darin, wie oft man diesen Mechanismus zum Einsatz bringt. Anders gesagt: Im März des nächsten Jahres wird keine neue Ära in der Geschichte des russischen Internets beginnen.
Wie dem nun auch immer sein mag, in den letzten Jahren hat man die freie Nutzung der gewohnten Internet-Ressourcen mehrmals eingeschränkt. Man kann natürlich darüber streiten, für wen diese Ressourcen gewohnte sind, welcher Prozentsatz der Bürger gewohnt ist, sie zu nutzen, und behaupten, dass die Mehrheit überhaupt nicht die einen oder anderen Internetseiten oder sozialen Netzwerke aufsucht. Aber dies wird eine politische Demagogie sein, da es um die alltägliche Lebensweise der wirtschaftlich bedeutsamen und aktiven Klasse geht, deren Wachstum und Entwicklung ein Marker für den Fortschritt des ganzen Landes sind. Tatsächlich reagiert diese Klasse – die gebildeten Einwohner der Städte – sehr nervös auf jegliche Nachrichten über Einschränkungen des Internets (selbst wenn dies ganz und gar keine Neuigkeit ist).
Das hinsichtlich solcher Art von Blockierungen sensible Segment der russischen Gesellschaft hat bereits das Verbot einiger bequemer sozialer Netzwerke, die einer Organisation gehören, die in der Russischen Föderation als eine extremistische gelabelt wurde, erlebt und sich angepasst. Es hat sich herausgestellt, dass Telegram eine durchaus bequeme Alternative ist. Ohne Tweets kann man überleben. Doch für die einen oder anderen sind alte Gewohnheiten wichtig. Sie finden eine Möglichkeit für ein Umgehen der Beschränkungen. Sehr schnell hat sich eine neue Realität herausgebildet und in eine neue Normalität verwandelt. Es ist klar, dass es in einem Land mit einer entwickelten Kultur und – das Wichtigste – mit der Praxis einer legalen öffentlichen Reaktion auf jegliche Einschränkungen unmöglich ist, dies genauso schnell zu tun. Aber hier besteht kein Bedarf zum Theoretisieren. Die neuen Spielregeln sind angenommen worden.
Es hatte den Anschein, dass die Verlangsamung von YouTube, womit es auch immer begründet wurde, eine massenhafte Empörung auslösen wird, da sich dort nicht nur Vertreter der kreativen Klasse Videos anschauten, sondern auch Kinder erziehende Hausfrauen. Eine Empörung hatte es – versteht sich – gegeben. Sie hat bloß keinerlei praktische Erscheinung hervorgebracht. Und es ist schwer, über deren Ausmaß zu urteilen. Die Gesellschaft ging den gleichen Weg wie auch im Fall mit den sozialen Netzwerken. Der eine begann, alternative Plattformen zu nutzen. Andere die Einschränkungen zu umgehen, wenn es klappt. Und dritte haben einfach die alte Gewohnheit aufgegeben, da es sich herausstellte, dass diese Plattform nicht so wichtig ist.
Das gleiche passierte auch im Fall mit den Einschränkungen für Anrufe per Messengers. Dies war ganz bestimmt eine massenhafte Praxis. Und es schien, dass gegen solch eine Entscheidung eine Welle selbst im Unterhaus des Parlaments einsetzen wird. Doch die Welle wurde schnell an den Steinen der politischen Realität gebrochen. Proteste gingen nicht über den Rahmen vereinzelter Aktionen in einigen Städten hinaus. Russlands Bürger leben bereits seit einigen Monaten unter neuen Bedingungen, haben alte Annehmlichkeiten verloren. Dabei ist es schwer zu sagen, ob viele den russischen Messenger-Dienst MAX in ihren Telefonen installiert haben und ob man ihn nutzt.
In mehreren russischen Städten schaltet man periodisch das mobile Internet ab – aufgrund von Sicherheitserwägungen- Hier und da kann es den ganzen Abend keinen Zugang zum Internet geben. Mancherorts lässt man den Bürgern die Möglichkeit, ein Taxi zu ordern, Essen oder die Zustellung von Waren zu bestellen, eine Landkarte oder den Navigator-Orientierungsdienst anzuschauen sowie E-Mails zu lesen, doch hinsichtlich der übrigen Internet-Services muss man Orte mit Wi-Fi aufsuchen. Dies ist ebenfalls eine neue Realität, eine unangenehme, doch vom Wesen her akzeptierte. Wie auch jegliche weiteren Einschränkungen, die das Internet betreffen, die durchaus mögliche und vorstellbare sind.
P. S.
Bereits die zweite Woche in Folge gibt es in mehreren Vierteln der Wolgastadt Uljanowsk und in anderen Orten der Region kein mobiles Internet mehr. Die Offiziellen antworten auf entsprechende Anfragen, dass sie solche Einschränkungen in „Zonen von Sonderobjekten“ verhängt hätten. Dadurch gerieten aber in die Bereiche der Internet-Abschaltung Wohnviertel, soziale Objekte und Bürogebäude. Interessant ist, dass entsprechende Karten mit den betroffenen Zonen geheim gehalten werden. Jedoch dauerte das Ausschweigen der Behörden zu diesem gesellschaftlich relevanten Problem nicht lange. Der Minister für digitale Entwicklung des Verwaltungsgebietes Uljanowsk, Oleg Jagfarow, musste sich aufgrund zunehmender Beschwerden auf einer Pressekonferenz zur Abschaltung des mobilen Internets äußern und verbreitete sofort auch noch Tristesse: Die Restriktionen würden bis zum Abschluss der sogenannten „militärischen Sonderoperation“, die Russland bereits das vierte Jahr gegen die Ukraine durchführt, gelten, „wenn es keine anderen Entscheidungen“ aus Moskau gibt.