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Konnte Moskau Lukaschenko eine Unterstützung versagen?


Die ehemalige weißrussische Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja hat erklärt, dass das amtierende Staatsoberhaupt Alexander Lukaschenko Sicherheitsgarantien erhalten werde, wenn er zustimme, seinen Posten zu verlassen. Lukaschenko selbst erklärte bereits mehrfach, dass er die Macht in der Republik nicht abgeben werde. Zehntausende Bürger gehen derweil weiter auf die Straßen der weißrussischen Städte, ungeachtet der Gefahren einer Festnahme sowie einer ordnungs- und strafrechtlichen Verfolgung. Die Länder der Europäischen Union erklären, dass sie Lukaschenko nicht als legitimen Präsidenten anerkennen würden. 

Unter diesen Bedingungen scheint eine Frage eine angebrachte zu sein: Kann man das Setzen der russischen Herrschenden auf das amtierende Staatsoberhaupt Weißrusslands als ein gerechtfertigtes ansehen? Hätte Wladimir Putin anders handeln – die Gegner von Lukaschenko unterstützen – können? 

Eine der am meisten geliebten Wissenschaften der russischen Herrschenden ist die Geopolitik. Und Weißrussland befindet sich historisch in der Interessenshemisphäre nicht nur Moskaus, sondern auch Warschaus. Die Länder der Višegrád-Gruppe haben bereits erklärt, dass sie ihren gewissen „Marshall-Plan“ für Weißrussland anschieben würden, wenn Minsk zustimme, erneute Wahlen abzuhalten. Es kann gesagt werden, dass dieser Plan eine Antwort auf den russischen Kredit ist, den Putin und Lukaschenko vereinbart haben. 

Moskau nimmt Warschau nicht als einen eigenständigen geopolitischen Akteur wahr und ist der Auffassung, dass hinter dessen Initiativen in der Regel die Interessen Washingtons stehen. Im Kreml sieht man, dass sich der Westen schon hinsichtlich seines Kandidaten für das Amts des Präsidenten Weißrusslands festgelegt hat und Tichanowskaja unterstützte (gar nicht einmal sie persönlich, sondern jene Veränderungen, die sie verspricht). Daher wird Moskau nichts Anderes bleiben, als für Lukaschenko bei all seiner zunehmenden Unbeliebtheit einzutreten.

Die geopolitische Zuspitzung erhöht das Gewicht der konservativen Vertreter der bewaffneten Organe in der russischen Innenpolitik. Es verstärkt sich ihr Einfluss auf Wladimir Putin an sich. Unter den Bedingungen eines offenen Konflikts ist er hinsichtlich ihrer Interpretation der Tagesordnung aufgeschlossen. Der weißrussische „Batka“ („Väterchen“) ist den russischen Konservativen nicht nur als eine Figur im geopolitischen Spiel nah, sondern auch methodologisch. Vom Prinzip her plädieren sie für eine brutale Unterdrückung jeglicher Proteste, für ein Anziehen der Daumenschrauben, eine maximal mögliche Einschränkung der demokratischen Freiheiten sowie eine Prophylaxe orangener Revolutionen, deren Vorgefühl sie nie verlässt.  

Indem die russischen Herrschenden Lukaschenko unterstützen, senden sie gleichzeitig zwei Signale. Das erste an die Regimes, die typologisch dem weißrussischen ähneln: In jedem beliebigen Konflikt mit dem Westen können sie mit der Unterstützung Russlands rechnen – aufgrund geopolitischer Erwägungen. Das zweite Signal erhält die russische Gesellschaft. Und die politisch aktiven Bürger der Russischen Föderation haben alle Gründe zur Annahme, dass die Herrschenden in der Manier von Lukaschenko mit ihnen umgehen werden, wenn sie die Ergebnisse jeglicher Wahlen anfechten wollen und auf die Straßen gehen. 

Bleibt die Frage nach der Legitimität. Lukaschenko verliert sie vehement. Und ein hypothetisches Setzen des Kremls nicht auf den amtierenden Präsidenten, sondern auf seine Gegner erscheint da schon nicht als ein solch phantastisches. Das ist eine Frage der Aktualität, der strategischen Weitsicht und des Vermögens, die Welle zu erfassen. Jegliche Vereinbarungen Putins mit Tichanowskaja würden heute als vollkommen legitime aussehen. Moskau könnte seine geopolitischen Interessen auch bei einem Machtwechsel in Minsk wahren. Schließlich gibt es auch aktuelle analoge Beispiele: Russland hat Armenien nach dem Machtantritt von Nikol Paschinian nicht verloren.

Solch ein Schachzug sieht raffiniert und subtil aus. Und es ist nicht ganz klar, was Washington, Brüssel und Warschau zu tun bleiben würde. Eine Anerkennung des Westens ist ein relevanter Teil der Legitimität. Was wäre, wenn die USA und die europäischen Hauptstädte sofort den Sieg Lukaschenkos bei den Wahlen anerkannt hätten? Was wäre, wenn sie gewollt hätten, ihn konsequent in ihrem geopolitischen Spiel auszunutzen? Auf wessen Seite wäre dann die Legitimität gewesen? Die Antworten auf diese Fragen werden wir schon nicht erfahren. Doch das Wesen besteht darin, dass das russische Setzen auf Lukaschenko ursprünglich nicht das einzig mögliche gewesen war.