Bischof Konstantin Bendas, Vorstandsmitglied der Russischen vereinigten Union der Christen evangelischen Glaubens (der Pfingstler)
Russlands Regierung setzt die Verschärfung der Gesetzgebung über religiöse Vereinigungen fort. Am 22. September war sozusagen im letzten Moment die Gesetzesvorlage „Über die Vornahme von Änderungen am Föderalen Gesetz „Über Religionsfreiheit und über religiöse Vereinigungen“ hinsichtlich einer Vervollkommnung der rechtlichen Regelung der Tätigkeit religiöser Vereinigungen“ von der Tagesordnung der Staatsduma genommen worden. Wie kundige Personen im Unterhaus des russischen Parlaments erläuterten – „aufgrund des Rummels, den man in den Medien und den sozialen Netzwerken der Konfessionen gemacht hatte“. Ergo ist Rummel manchmal nützlich und hilft, gesetzgeberische Unvernunft zu stoppen.
Dieser Gesetzentwurf ist meines Erachtens lediglich eine weitere Etappe in dem Projekt zur Verstärkung der Kontrolle der religiösen Sphäre durch die staatlichen Institutionen. Und um dies zu verstehen, müssen wir einen Exkurs in das Jahr 2016 unternehmen, als das sogenannte Jarowaja-Oserow-Gesetzespaket (Irina Jarowaja, Duma-Abgeordnete der Kremlpartei „Einiges Russland“ und Andrej Oserow, Abgeordneter der Duma-Fraktion der Partei „Gerechtes Russland“, die die Hauptinitiatoren des Gesetzespaket waren – Anmerkung der Redaktion) angenommen wurde. Die Verabschiedung der Gesetze wurde damals buchstäblich wie eine Sonderoperation realisiert. Im Entwurf, der zur 1. Lesung vorgelegt worden war, gab es nicht ein Wort, das religiöse Fragen tangierte. Während der Sitzung dankte der Abgeordnete Andrej Oserow den Kollegen dafür, dass sie den Entwurf unterstützt hatten, und teilte lakonisch mit, dass zur 2. Lesung noch eine Reihe von Änderungen zum Gesetz „Über die Religionsfreiheit“ vorgeschlagen werden. Bis zum Abschluss der Arbeit der Staatsduma-Legislaturperiode waren rund zehn Tage geblieben. Und die zweite und sofort die dritte Lesung waren auf den Plan für den letzten Arbeitstag zusammen mit noch gut einhundert anderen Gesetzesvorlagen gesetzt worden. Doch die zusätzlichen Änderungen waren hinsichtlich des Umfangs um Einiges größer als der Wortlaut des Gesetzes, das in der ersten Lesung verabschiedet worden war. Wie später Irina Jarowaja in einem ihrer Interviews eingestand, hatte sie selbst diese Änderungen zu jenem Zeitpunkt nicht gelesen. Als Co-Autor war der zuständige Ausschuss für Angelegenheiten gesellschaftlicher Vereinigungen und religiöser Organisationen nicht einbezogen worden. Und nach meinen Angaben waren nicht mit einer religiösen Organisation Konsultationen durchgeführt worden.
Bis zum heutigen Tag ist bereits viel über die verhängnisvollen Folgen der Annahme des „Jarowaja-Paketes“ gesagt und geschrieben worden. Daher sei lediglich eine hervorgehoben: Mit der Verabschiedung des Gesetzes „Über Religionsfreiheit“ ist der Staat erstmals in die Reglementierung des gottesdienstlichen Lebens der religiösen Organisationen und einfach der gläubigen Menschen eingedrungen. Die missionarische Tätigkeit ist aber für die meisten Konfessionen ein untrennbarer Bestandteil ihrer religiösen Praxis. Ein Christ ist kein Christ, wenn er nicht über Christus den Menschen erzählt, die Ihn nicht kennen. Das Herzstück des Evangeliums ist die Bergpredigt, in der diese Worte zu vernehmen sind: „Ihr seid das Salz der Erde. … Ihr seid das Licht der Welt“. Entsprechend diesem Gesetz sind wegen extremistischer Tätigkeit bereits mehrere tausend Organisationen und Bürger zur Verantwortung gezogen und bestraft worden. Wer sind sie? Da ist zum Beispiel eine Oma, die es in einer baschkirischen Kleinstadt gewagt hatte, das Neue Testament einem jungen Mann zu schenken. Der aber war unglücklicherweise entweder ein Polizist oder ein freiwilliger Helfer der Polizei. Oder die Kirche der Pfingstbewegung in Nishnij Tagil, an der ein Schild mit dem Namen nur am Haupteingang zum Gebetshaus war. Aber an weiteren vier technischen und Brandschutzausgängen gab es keine Beschilderung. Weiter ist da eine religiöse Gruppe aus sieben Personen in einem Dorf des Verwaltungsgebietes Nishnij Nowgorod, in dem der Ortpolizist zuerst das Aushängeschild an der Gartenpforte abriss und dann die Gemeinde aufgrund dessen Fehlen bestrafte. Oder auch eine Studentin aus Simbabwe in der medizinischen Akademie von Nishnij Nowgorod, die beim Gottesdienst der evangelischen Kirche zusammen mit allen Psalmen gesungen hatte. Sie wurde wegen einer ungesetzliche Missionarstätigkeit bestraft und des Landes verwiesen… Getroffen hat es gleichfalls die Kirche der Christen evangelischen Glaubens im Moskauer Verwaltungsgebiet, wo in der Pastorenwohnung auf einem Bücherregal Bibeln in einer Synodalübersetzung und andere religiöse Literatur ohne eine Markierung gefunden worden waren… Und diese schlimme Statistik von „Extremismus“-Fällen wird irgendwo akkumuliert, so dass ich mich nicht wundern werde, wenn man diese Fälle eines Tages aus der Schublade hervorholt, um missliebige Organisationen zu diskreditieren, zu verbieten oder zu liquidieren.
Etwas Ähnliches versuchte man auch jetzt zu realisieren. Der Gesetzentwurf „Über die Vornahme von Änderungen am Föderalen Gesetz „Über Religionsfreiheit und über religiöse Vereinigungen“ hinsichtlich einer Vervollkommnung der rechtlichen Regelung der Tätigkeit religiöser Vereinigungen“ war am 21. Juli in die Staatsduma eingebracht worden. Aber bereits am 22. Juli gehen die Abgeordneten in die Ferien. Am 15. September war die erste Plenartagung der Herbstserie, und schon für den 22. September wurde eine Abstimmung zu unserer Gesetzesvorlage anberaumt.
Kommen wir zum eigentlichen Gesetzentwurf. Völlig zu recht lenken alle Kommentatoren die Aufmerksamkeit vor allem auf die zusätzlichen Forderungen, die für eine Aufnahme in Punkt 5 des Artikels 24 vorgeschlagen werden: „Die Geistlichen und die das religiöse Personal religiöser Organisationen bildenden Personen, die eine geistliche Ausbildung in ausländischen Bildungseinrichtungen (Zentren) erhalten haben und eine religiöse und Lehrtätigkeit auf dem Territorium der Russischen Föderation wahrnehmen, durchlaufen eine Attestierung entsprechend den Modalitäten, die durch die Gesetzgebung der Russischen Föderation festgelegt worden sind. Die Geistlichen und die das religiöse Personal religiöser Organisationen bildenden Personen, die eine geistliche Ausbildung in ausländischen Bildungseinrichtungen (Zentren) erhalten haben, erhalten vor Beginn der Wahrnehmung einer religiösen und Lehrtätigkeit auf dem Territorium der Russischen Föderation eine zusätzliche Berufsausbildung in den geistlichen Bildungseinrichtungen, die entsprechend dem vorliegenden Föderalen Gesetz registriert worden sind“.
Was bedeutet dies in der Praxis? Dass man von jedem beliebigen Bürger Russlands oder Ausländer, in dessen Reden irgendeine religiöse Rhetorik zu vernehmen war, zum Beispiel wenn er sagte: „Christus ist auferstanden!“, das Vorhandensein eines Diploms über eine theologische Ausbildung in einer russischen, im Ministerium für Bildung und Wissenschaft lizensierten Bildungseinrichtung fordern kann, wobei entsprechend einem Programm, das wiederum eine staatliche Akkreditierung durchlaufen hat. Und ich übertreibe in keiner Weise. Wir haben bereits drei Jahre Gerichtspraxis, die den Normen der Verfassung in den Fragen der Glaubens- und Religionsfreiheit sowie einfach dem gesunden Menschenverstand widerspricht.
Weiter: Die Autoren der Gesetzesvorlage unternehmen ein weiteres, sicher das hundertste Mal den Versuch, in den religiösen Organisationen eine Mitgliedschaft zu verbieten. Sie ersetzen diese durch den Begriff „Teilnehmer einer religiösen Vereinigung“. Wer ist aber solch ein Teilnehmer? Dies ist kein Gründer. Eine klare Auslegung dieses Begriffs ist im Gesetz nicht enthalten. Dementsprechend wird es in der Praxis freie Spielräume geben. Du hast an einem Gottesdienst teilgenommen, ergo bist du ein Teilnehmer. Und wenn dieser Teilnehmer der Verübung ungesetzlicher Handlungen verdächtigt oder bezichtigt wird, Gott bewahre, dass er kein Extremist ist, so erstreckt sich die Verantwortung auch auf diese religiöse Organisation. Es sei daran erinnert, dass das Zentrum für die Abwehr von Extremismus die Vollmachten hat, in solch einem Fall die Tätigkeit der religiösen Organisation für die Dauer von bis zu drei Monaten zu suspendieren, und dies ohne eine Gerichtsentscheidung.
Und noch ein nicht unbedeutender Aspekt: Im Falle einer Annahme der Änderungen müssen alle religiösen Organisationen ihre Satzungen neuregistrieren. Aus langjährigen Erfahrungen weiß ich, dass es selten gelingt, die im ersten Anlauf zu tun. Die Vertreter der Kirche werden jahrelang bei den Behörden vorstellig, um den erfolglosen Versuch zu unternehmen, eine Neuregistrierung zu erreichen, wobei sie Geld und Zeit dafür aufwenden. So hatte, wie ich mich erinnere, eine der Gemeinden in der Krasnojarsker Verwaltungsregion siebenmal Dokumente eingereicht und jedes Mal eine Ablehnung mit einem Verweis auf entweder eines fehlenden oder eines überflüssigen Kommas im Text erhalten. Da möchte man gern fragen: Auf wessen Kosten soll dies gehen? Oft erinnern sich Unternehmer an den emotionsgeladenen Appell unseres Präsidenten an die Steuerbehörden: „Es langt, dem Business Albträume zu bescheren!“. Ja, und hier bescheren die Regierung und die Gesetzgeber, beginnend mit den „Jarowaja-Gesetzesänderungen“ der Kirche Albträume. Reicht es vielleicht?