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Russische Gasexporte sind um die Hälfte eingebrochen


In diesem Jahr ist der Erdgasexport in der Russischen Föderation wertmäßig fast um 50 Prozent zurückgegangen, folgt aus Daten der Zentralbank über die Zahlungsbilanz. Analytiker präzisierten, dass wir zu dem Stand zurückgekehrt seien, der vor einigen Jahrzehnten beobachtet wurde. Gleichzeitig damit sind jedoch die Lieferungen von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus Russland nicht so ernsthaft eingebrochen. Im Energieministerium prognostiziert man, dass zum Jahr 2035 das LNG auf dem Weltmarkt bereits 52 Prozent ausmachen werde und damit das Pipelinegas verdränge. 

Laut den Ergebnissen der ersten neun Monate des laufenden Jahres machte der Umfang der russischen Erdgasexporte wertmäßig rund 16 Milliarden Dollar aus. Dies sind um 48 Prozent weniger als im analogen Zeitraum des vergangenen Jahres, als der Export etwa 31 Milliarden Dollar ausmachte. Solche Angaben sind in Materialien der Zentralbank enthalten, die den Bewertungen der Zahlungsbilanz gewidmet sind. 

„In diesem Jahr ist der Gasexport aus Russland auf einen Stand eingebrochen, den wir seit Beginn der Nulljahre nicht gesehen haben“, erklärten Experten des analytischen Kanals Macro Markets Inside (MMI)

Gleichzeitig damit ist der LNG-Expert im gleichen Zeitraum wertmäßig um etwa 5 Prozent – bis auf 6 Milliarden Dollar – zurückgegangen. „Insgesamt kann man sagen, dass das LNG weiter eine verstärkte Nachfrage im Vergleich zum Pipelinegas findet. Und dies unterstreicht ein weiteres Mal die ganze Zweifelhaftigkeit der verschiedenen Pipeline-Vorhaben“, resümieren die Analytiker von MMI. 

Übrigens, in „Gazprom“ hat man bereits den LNG-Lieferanten eine Destabilisierung des europäischen Marktes vorgeworfen. Während des Zuschlagens der ersten Welle des Coronavirus hätten sie, wie die stellvertretende Vorstandschefin des Konzerns, Jelena Burmistrowa, meint, auf dem europäischen Markt die Preise unter die Rentabilität purzeln lassen, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax. „Während das LNG auf den Markt kam und von ihm verschwand, ist unser Pipelinegas geblieben, wobei es seine Zuverlässigkeit und Erschwinglichkeit bewies. Während die LNG-Lieferanten den Markt mit billigem Spot-Gas übersättigten und damit den Preis einbrechen ließen, haben wir das Angebot konsequent und vernünftig aufrechterhalten“, erklärte die stellvertretende „Gazprom“-Vorstandschefin. Wobei Burmistrowa, wie die Nachrichtenagentur behauptet, nur das US-amerikanische LNG gesondert hervorgehoben hätte. „Die größten LNG-Lieferanten für den Markt Europas sind jedoch (laut den Ergebnissen des Jahres 2019) Katar, die USA, Russland, Algerien und Nigeria.“

„Im letzten Jahrzehnt ist der LNG-Verbrauch in der Welt viermal schneller als die Förderung von Erdgas angestiegen“, teilte der russische Energieminister Alexander Nowak in einer Videobotschaft an die Teilnehmer der Konferenz der Erzeuger und Verbraucher von LNG mit. „In dieser Zeit hat sich auch die Zahl der importierenden Länder mehr als um das 2fache erhöht. Laut Prognosen wird bis zum Jahr 2030 die internationale Nachfrage nach LNG bis auf 580 Millionen Tonnen zunehmen. Und der Anteil des LNG am internationalen Gashandel wird sich von 35 Prozent im Jahr 2017 bis auf 52 Prozent im Jahr 2035 erhöhen.“

Der Minister fügte hinzu, dass Russland bis zum Jahr 2025 über 68 Millionen Tonnen LNG im Jahr erzeugen werde. Und in der Perspektive könne der Anteil der Russischen Föderation auf dem globalen LNG-Markt 25 Prozent vom weltweiten Gesamtumfang erreichen. Nach Aussagen Nowaks würden die russischen LNG-Erzeuger über ein hohes Potenzial aufgrund der weltweit größten Ressourcenbasis (20 Prozent der internationalen Vorräte), der geografischen Nähe sowohl zu Europa als auch zu Asien, aber auch aufgrund der mit dem Nördlichen Seeweg verbundenen Perspektiven verfügen. „Wir werden erhebliche Mengen an LNG operativ und mit geringeren Kosten erzeugen und in jedes beliebige europäische oder asiatische Land liefern können“, erläuterte Nowak.

Der Rückgang des russischen Erdgasexports in diesem Jahr ist durch ein Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Faktoren ausgelöst worden, unter denen nicht nur die Zunahme des Angebots von LNG ist, sagte der Analytiker der Firma „Finam“ Alexej Kalatschjow gegenüber der „NG“. Der Experte verwies auf die Verringerung des weltweiten Gasverbrauchs aufgrund der Pandemie, „weshalb das LNG zu reduzierten Preisen auf den europäischen Markt gelangte, das im Osten nicht gebraucht wurde… Dazu kamen auch die ungewöhnlich großen Gasvorräte in den europäischen Speichern. Ich vermute, dass diese Marktverzerrung allmählich überwunden wird“, fügte Kalatschjow hinzu.  

Dabei hat das LNG tatsächlich seine Vorteile – eine „große Mobilität“. Man kann es dorthin liefern, wohin du keine Gaspipeline verlegst. Russland würde laut einer Präzisierung des Experten diesem Trend nicht hinterherhinken und nehme auf dem LNG-Markt einen soliden Platz ein. „Der LNG-Markt ist perspektivreicher, da er eine Freiheit bei der Auswahl der Richtungen für den Absatz gewährt. Für die Realisierung von Projekten zur Errichtung der erforderlichen Infrastruktur wird jedoch die Unterzeichnung genau solcher langfristigen Verträge wie auch beim Bau von Gaspipelines gebraucht“, erläuterte Vitalij Gromadin, Senior-Analytiker des Unternehmens „BCS – Welt der Investitionen“. 

„Bisher hat es für Russland keinen Sinn, auf Pipelinegas zu verzichten. Obgleich man sich in 20 Jahren über die Zweckmäßigkeit des Baus neuer Gaspipelines nach Europa Gedanken machen kann“, meint Natalia Miltschakowa, stellvertretende Leiterin des Zentrums „Alpari“. Die Expertin gesteht ein, dass das verflüssigte Gas immer mehr zu einem ernsthaften Konkurrenten werde. Der Anteil des nach Europa exportierten russischen LNG nehme zu. Es gelange auch nach Asien. „Die größten Käufer russischen LNG sind Japan und Norwegen. Norwegen ist aber eher ein Hub für den Weiterkauf von importiertem LNG an andere Länder Europas“, teilte Miltschakowa mit. Außerdem haben, wie zuvor Interfax meldete, die Beendigung der planmäßigen Instandsetzungsarbeiten in den russischen Betrieben für die Erzeugung verflüssigten Erdgases und der Beginn der Navigation (Schifffahrt) auf dem Nördlichen Seeweg Russland erlaubt, die LNG-Lieferungen nach China im Juli des Jahres 2020 auf einen Rekordstand zu bringen. Den ersten Rang auf dem chinesischen Markt nimmt Australien ein (3,3 Milliarden Kubikmeter LNG im Juli). Danach folgen Malaysia (913 Millionen Kubikmeter), Indonesien (759 Millionen Kubikmeter) und Russland mit 717 Millionen Kubikmeter. 

„Hinsichtlich des Preiswettbewerbs mit dem LNG hat das russische Pipelinegas verständliche Vorteile in Gestalt geringeren Selbstkosten“, unterstrich Gromadin. „Allein die Kosten des Transports aus den USA inklusive Verflüssigung und Regasifizierung werden auf einem Niveau von 200 Dollar für eintausend Kubikmeter geschätzt“. Für die russischen Exportprojekte in Europa ergeben sich aber bestimmte Probleme aufgrund der politischen Situation und des Wunschs von Europa, die Abhängigkeit vom russischen Gas zu verringern.

Wie dabei Kalatschjow präzisiert, mache die entstandene Situation beispielsweise solch ein Vorhaben wie „Nord Stream 2“ jetzt zu einem nicht sehr aktuellen, unter anderem aufgrund der zunehmenden Rolle des LNG. „Wenn man einmal die Ersetzung des Gastransits durch die Ukraine mittels „Nord Stream 2“ außer Acht lässt, so ist diese Gaspipeline für eine sehr starke Zunahme des Gasverbrauchs konzipiert worden. Jedoch nach der Pandemie mit ihrem Rückgang der Nachfrage und nach dem Auftreten eines großen Angebots von LNG verschieben sich die Zeiträume für das Auftreten eines Bedarfs an den Kapazitäten von „Nord Stream 2“ um weitaus entferntere als zu Beginn des Projekts berechnet worden war“, erläuterte der Experte. 

Letztlich mache es nach Meinung der Experten wirklich Sinn, sich vorab auf einen Boom der Nachfrage nach LNG vorzubereiten. „In einer ferneren Zukunft, wenn die meisten Küstenländer Europas Terminals für die Abnahme von LNG errichten, wird man davon sprechen können, dass Russland den Anteil seines verflüssigten Gases auf dem europäischen Markt erhöhen muss“, erklärte Miltschakowa. „Doch die neuen Betriebe für eine Gasverflüssigung und die Gas-Tanker muss man schon jetzt ungeachtet jeglicher Krisen und Viren vorbereiten.“