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Lukaschenkos Regime bekommt Unterstützung durch Unionsarmee


Vor dem Hintergrund der andauernden innenpolitischen Krise in Weißrussland versuchen Moskau und Minsk, die Einheit ihrer Pläne in den Fragen der weiteren Integration beider Länder im Verteidigungsbereich zu demonstrieren. Dies bestätigen die Ergebnisse der am 27. Oktober unter Leitung von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Weißrusslands Verteidigungsminister Viktor Khrenin in Form einer Videokonferenz stattgefundenen gemeinsamen Kollegiumssitzung ihrer Ministerien. Erstens vereinbarten die Seiten weitere Schritte zur Abwehr einer äußeren Aggression, was die für das Jahr 2021 anvisierten gemeinsamen strategischen Manöver „Zapad-2021“ („Westen-2021“) demonstrieren sollen. Zweitens sind für die bevorstehende Zeit der erneuten Präsidentschaft von Alexander Lukaschenko (das heißt bis zum Jahr 2025) durch die Seiten vorrangige Themen hinsichtlich des Einsatzes der regionalen Gruppierung von Truppen beider Unionsstaaten ausgearbeitet worden. 

Wie das weißrussische Verteidigungsministerium mitteilte, wurden nach der Kollegiumssitzung Dokumente über eine Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und Weißrussland unterzeichnet. Unterzeichnet wurde unter anderem „ein Beschluss über den gemeinsamen Schutz der äußeren Grenze des Unionsstaates im Luftraum im Rahmen eines Einheitlichen regionalen Systems der Luftabwehr“. Dabei ist bisher unbekannt, ob Weißrussland der Einrichtung eines russischen Luftwaffenstützpunktes für diese Zwecke auf seinem Territorium – wie dies schon lange Moskau zu erreichen versucht – zugestimmt hat. In Minsk betonte man, dass das Hauptziel der Kollegiumssitzung mit der Organisierung „der praktischen Arbeit zur Schaffung und Verstärkung des notwendigen gemeinsamen Militärpotenzials zur Abwehr der gegen den Unionsstaat gerichteten Herausforderungen und Bedrohungen militärischer Art“ zusammenhing. 

Das heißt, in einem gewissen Sinne werden Weißrusslands inneren Probleme auch zu Problemen der Russischen Föderation, da sie ein Teil des Unionsstaates ist. Es ist schwer zu sagen, ob in ihm in den nächsten fünf Jahren eine einheitliche Unionsarmee entstehen wird. Doch ein bestimmter Bestandteil von ihr funktioniert bereits als Einheitliches regionales System der Luftabwehr. Überdies demonstriert die militärpolitische Führung sowohl in Moskau als auch in Minsk Absichten, eine gemeinsame Armee entsprechend der Zunahme der inneren Instabilität in Weißrussland zu formieren. 

Solch einen Trend demonstrierte auch Alexander Lukaschenko, als er sich im vergangenen Monat mit Wladimir Putin in Sotschi traf. Nach diesem Treffen berichtete er Gleichgesinnten in Minsk, dass er „gezwungen war, in den letzten Tagen gemeinsam mit Russlands Präsident und dem Verteidigungsminister einen gemeinsamen Schutz für den Unionsstaat zu schaffen“. Lukaschenko erklärte am 16. September bei einem Treffen mit Sergej Schoigu in Minsk: „Wenn irgendwer denkt, dass Belarus schwächelte, dass wir nicht standhalten und dass Russland sich zurückzieht, so sind dies Überlegungen für Dummköpfe. Wir sind in der Lage, die Situation nicht nur in Belarus, sondern auch entlang unserer Grenzen zu sichern. Sie müssen nicht an unserer Zuverlässigkeit hinsichtlich der Verteidigung unseres gemeinsamen Vaterlandes – von Brest bis Wladiwostok – zweifeln“. 

Solche gemeinsamen Positionen haben Moskau und Minsk am Dienstag markiert, als die Chefs der Verteidigungsministerien beider Länder die Absicht des gemeinsamen strategischen Manövers „Zapad-2021“ bestätigten. „Bereits beim Manöver „Zapad-2017“ wurden nach Aussagen von Sergej Schoigu Vorgehensweisen hinsichtlich der Abwehr einer möglichen Aggression gegen die Russische Föderation und Weißrussland entwickelt, zu einer Zeit, als die NATO-Länder ihre Militärkontingente in die Länder des Baltikums und nach Polen verlegten. Jetzt agieren diese Kontingente entsprechend dem Rotationsprinzip ständig dort, womit sie die Gefechtsmöglichkeiten qualitativ verstärken“, erklärte der Militärexperte Generalleutnant Juri Netkatschjow gegenüber der „NG“. 

Über Bedrohungen, die von der NATO ausgehen, sprachen auch die Teilnehmer der russisch-weißrussischen Kollegiumssitzung. „Die NATO verstärkt weiter die vorgeschobene Präsenz“, erklärte Sergej Schoigu. Seinerseits teilte Weißrusslands Verteidigungsminister Viktor Khrenin mit, dass in den an Weißrussland angrenzenden Ländern die Zahl der Manöver der Allianz ansteige und die Anwesenheit der US-Armee zunehme. „In den letzten Jahren ist die im Rotationsprinzip agierende NATO-Gruppierung in den Nachbarländern Weißrusslands um mehr als das 17fache größer geworden und erreichte 10.000 Militärs“, sagte er. 

Es wächst nicht nur das quantitative, sondern auch das qualitative Potenzial der NATO-Truppen, die an den Grenzen des Unionsstaates konzentriert werden. Netkatschjow lenkte das Augenmerk darauf, dass man in den Ländern des Nordatlantikpaktes die Besonderheiten der Kampfhandlungen berücksichtige, die sich derzeit in den Konfliktzonen der Welt ereignen. Und die Herangehensweisen an die Gefechtsorganisation würden sich augenscheinlich auch grundlegend ändern, da der Krieg in Bergkarabach, wo massenhaft Aufklärungs- und Kampfdrohnen eingesetzt werden, die Angreifbarkeit der Truppen durch diese Drohnen gezeigt hätte. „Auf der gemeinsamen russisch-weißrussischen Kollegiumssitzung wurden Fragen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der topografischen und geodätischen Absicherung sowie der auf dem Gebiet der Navigation für die regionale Truppengruppierung erörtert. Dies ist für die Führung des modernen Gefechts sehr wichtig, da die Drohnen unter Verwendung elektronischer topografischer Landkarten und Satellitennavigationssysteme auf die Ziele gelenkt werden. Und all dies muss in die Praxis der Gefechtstruppenteile und Kampfeinheiten der gemeinsamen Truppengruppierung der Russischen Föderation und Weißrusslands eingeführt werden, was auch auf der Kollegiumssitzung unterstrichen wurde“, meint Netkatschjow.             

Seiner Meinung nach seien solche Herangehensweisen bei der im September und Oktober dieses Jahres stattgefundenen Serie gemeinsamer Militärmanöver demonstriert worden. Darunter auch bei der strategischen Kommando- und Stabsübung „Kaukasus-2020“, bei der russisch-weißrussische Kräfte des Einheitlichen regionalen Systems der Luftabwehr auf dem Truppenübungsplatz Aschuluk agierten, aber auch bei den anderen Manövern – „Slawische Bruderschaft – 2020“ und „Unzerstörbare Bruderschaft – 2020“ -, an denen gleichfalls einige Länder der Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrages teilgenommen hatten. Für diese Übungen waren erhebliche Truppenkontingente (Einheiten der Luftlandetruppen, der Spezialtruppen und Blauhelmsoldaten) vom Territorium der Russischen Föderation aus mobil verlegt worden, die die Westgrenze des Unionsstaates erheblich verstärkten. Sie waren augenscheinlich ebenfalls für eine Demonstration der Stärke nicht nur gegenüber den äußeren, sondern auch den inneren Feinden Lukaschenkos bestimmt gewesen. Netkatschjow ist der Auffassung, dass bei diesen Manövern mit Hilfe der Russischen Föderation die Systeme für den funkelektronischen Kampf und die Luftabwehr, die Aufgaben zur Vernichtung oder Unterdrückung der Aktivität von Drohnen des angenommenen Gegners lösten, verstärkt worden seien. 

Derweil gibt es bisher nichts Konkretes darüber, welchen strategischen Weg die militärische Integration der Russischen Föderation und Weißrusslands gehen wird. Nach dem Septembertreffen der Präsidenten verheimlichte Lukaschenko nicht, dass er Moskau um neue Arten von Waffen zur Verstärkung der Sicherheit des Unionsstaates gebeten hatte. Die russische Seite hatte damals aber diese Frage nicht kommentiert. Den offiziellen Angaben nach zu urteilen, ist sie am Dienstag auch nicht bei der gemeinsamen Veranstaltung der Verteidigungsministerien detailliert erörtert worden. 

In den vergangenen Jahren hatte Lukaschenko Moskau gebeten, operative-taktische Raketenkomplexe (OTRK) vom Typ „Iskander“ und die neuesten S-400-Luftabwehrraketensysteme in die Republik zu liefern. „Die OTRK „Iskander“ werden jetzt wohl kaum nach Weißrussland geliefert werden, da Putin der NATO ein Moratorium hinsichtlich der Stationierung von Raketen mittlerer (1000 bis 5500 Kilometer) und kurzer (500 bis 1000 Kilometer) Reichweite in Europa vorgeschlagen hat“, erklärte der Militärexperte Oberstleutnant Alexander Owtschinnikow gegenüber der „NG“. „Im Westen hatte es Beanstandungen hinsichtlich der russischen Flügelrakete 9M729 für den operativ-taktischen Komplex „Iskander-M“ gegeben, die angeblich Charakteristika aufweise, die unter den Vertrag über die Vernichtung von Mittel- und Kurzstreckenraketen fallen. Es gibt aber keinen Grund, andere Raketentypen in Weißrussland zu stationieren“. 

Nach Meinung von Owtschinnikow stelle die Russische Föderation nicht die Frage nach Lieferungen moderner Arten von Waffen nach Weißrussland im Gegenzug zur Einrichtung neuer russischer Militärstützpunkte dort. „Für Moskau und Minsk besteht die Aufgabe darin, unter den Bedingungen der im Land zunehmenden Instabilität mit Hilfe des militärischen Faktors keine Eskalierung der zivilen Konfrontation zu einer bewaffneten zuzulassen. Dies ist quasi eine interne, eine verdeckte Aufgabe für die Verteidigung des Unionsstaates. Daher wird Lukaschenko offensichtlich zustimmen, dass gemeinsame russisch-weißrussische Gruppierungen von Truppen und Rechtsschutzeinheiten, darunter des Einheitlichen regionalen Systems der Luftabwehr in seinem Land präsent sein oder die Möglichkeit, schnell aus der Russischen Föderation nach Weißrussland verlegt zu werden, haben müssen“, meint der Experte. 

„Ich denke nicht, dass sich das Regime Lukaschenkos mit den Waffen der gemeinsamen regionalen russisch-weißrussischen Truppengruppierung an der Macht halten wird. Dies wird aber eindeutig ein zügelnder Faktor für die äußeren und inneren Feinde sein. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass diese eine der Hauptvoraussetzungen für die Bildung einer gemeinsamen Unionsarmee sein wird, die den Schutz des Territoriums des Unionsstaates von der Grenze mit Polen im Westen bis zur Grenze mit Japan im Osten gewährleisten wird“, betonte Owtschinnikow.