Die Beendigung des Krieges in Bergkarabach ist zweifellos ein diplomatischer Erfolg Russlands, aber auch der Türkei, für die sich ein Weg in den Kaukasus auftut. Moskau, das die Türkei auf das Territorium seines Einflusses gelassen hat, kann der NATO den Weg dorthin versperren, was für Russland wichtig ist. Die Europäische Union hat sich nach Meinung von Experten von den Problemen auf dem Territorium der GUS distanziert und damit den USA die Region überlassen. Und nun werden die Vereinigten Staaten die Probleme lösen, die mit der Ukraine, Moldawiens und Weißrusslands verbunden sind.
Dass die Spitzenvertreter Russlands, Armeniens und Aserbaidschans eine Erklärung über eine Feuereinstellung in Bergkarabach unterzeichnet hatten, teilte Wladimir Putin in einer speziellen Ansprache den Bürgern der Russischen Föderation mit. Er erklärte, dass ab Mitternacht Moskauer Zeit des 10. November eine vollständige Feuereinstellung verkündet werde. Die aserbaidschanischen und armenischen Militärs würden auf den von ihnen eingenommenen Positionen verbleiben.
Der Krieg im Südkaukasus ist beendet worden. Diese Nachricht hat man in Armenien und Aserbaidschan unterschiedlich aufgenommen. In Baku begannen nachts Volksfeste, in Jerewan besetzten Protestierende das Parlament und demolierten die Residenz von Premierminister Nikol Paschinian.
Nikol Paschinian hatte zuvor das Karabach-Abkommen als ein für sich äußerst schweres bezeichnet, aber betont, dass es keinen anderen Ausweg gegeben hätte. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew erklärte, dass die erzielten Vereinbarungen einen Punkt in der Regulierung des Bergkarabach-Konfliktes setzen würden, der seit 1988 andauert.
Entsprechend dem unterzeichneten Friedensabkommen soll Jerewan bis 15. November den Kreis Kelbadschar an Baku zurückgeben, und bis zum 1. Dezember 2020 – den Kreis Latschin, wobei es den Laschin-Korridor mit einer Breite von fünf Kilometern behält, der die Verbindung von Bergkarabach mit Armenien sichern wird. Dabei wird dieser Punkt die Stadt Schuscha, deren Befreiung man in Baku zuvor verkündet hatte, nicht berühren. Mehr noch, es wurde bekannt, dass russische Friedenstruppen diese Stadt unter ihre Kontrolle gestellt haben. Und dies separat zum Territorium von Bergkarabach, das die Friedenstruppen der Russischen Föderation beschützen sollen. Außerdem soll Armenien bis 20. November den Kreis Agdam und einen Teil des von ihm gehaltenen Kreises Qazax Aserbaidschans übergeben. Das heißt, unter die Kontrolle von Aserbaidschan kehren vier von sieben Kreisen, die früher okkupiert waren, und ein Teil des Territoriums von Bergkarabach, den die aserbaidschanische Armee zum Zeitpunkt der Feuereinstellung eingenommen hatte, zurück. Dies feiert man jetzt in Aserbaidschan und zählt die Verluste in Armenien.
In der Friedensvereinbarung ist auch betont worden, dass entlang der Berührungslinie in Bergkarabach und entlang des Latschin-Korridors ein russisches Friedenskontingent aus 1960 Militärs mit Schusswaffen, 90 Schützenpanzerwagen sowie 380 Fahrzeugen und anderer Spezialtechnik stationiert werden.
Die Friedenskräfte begannen am Dienstag parallel zum Abzug der armenischen Militärs das Kontingent in Bergkarabach zu dislozieren. Die Aufenthaltsdauer der Friedenskräfte der Russischen Föderation in der Region wurde mit fünf Jahren festgelegt, wobei eine automatische Verlängerung um weitere fünf Jahre möglich ist, wenn keine der Seiten beschließt, aus dem Abkommen auszusteigen.
Für die Verfolgung der Umsetzung der Vereinbarungen wird ein friedensstiftendes Zentrum zur Kontrolle der Feuereinstellung eingerichtet.
Der wissenschaftliche Leiter des Deutsch-Russischen Forums e. V., Alexander Rahr, sagte der „NG“, dass „dies zweifellos ein Sieg Russlands ist, aber auch der Türkei, die einen Zugang zum Kaukasus erhalten kann“. Rahr erläuterte: „Auf eine Teilnahme der Türkei an der friedensstiftenden Mission in Karabach zusammen mit Russland besteht Alijew. Er möchte dies. Und er kann die Zustimmung Moskaus bekommen, das so seine Beziehungen mit der Türkei festigen kann. Außerdem versperrt Moskau, indem es die Türkei in den Kaukasus lässt, für die NATO den Weg dorthin. Und dies ist für Russland wichtig“.
Der deutsche Politologe betonte: „Die Beendigung jeglichen Krieges ist stets wichtig. Und Paschinian hat eine richtige Entscheidung getroffen, indem er das Friedensabkommen unterzeichnete, da Armenien selbst Karabach nicht hätte verteidigen können. Aber Paschinian, der zu Beginn seiner Amtszeit als Premier von westlichen Positionen aus auftrat, ist allein geblieben. Russland hatte dies nicht gefallen. Und die westlichen Länder hatten nach der Krim (nach dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation – „NG“) angefangen, auf Karabach von der Position einer Bewahrung der Staatsterritorien zu schauen. Das heißt, sie hatten den Standpunkt Aserbaidschans akzeptiert. Nun werden Friedenstruppen Bergkarabach beschützen. Bisher sind ihnen dafür fünf Jahre eingeräumt worden. In fünf Jahren aber wird Aserbaidschan wohl kaum der Schutz von Bergkarabach durch Russland recht sein. Daher wird es auf eine türkische Friedensvermittlung bestehen“.
Was die Europäische Union angeht, so habe sie in keiner Weise auf die Situation in Karabach reagiert, erklärte Alexander Rahr gegenüber der „NG“. „Die EU befasst sich jetzt mit den Wahlen in den USA. Und sie hat sich überhaupt von den Problemen auf dem Territorium der GUS distanziert. Sie verliert ihre „Östliche Partnerschaft“. Nun werde man in der Ukraine, in Moldawien und Weißrussland anstelle der EU mit den USA handeln. Und wenn im State Department noch die aufgrund des ukrainischen Maidans bekannte Frau Victoria Nuland auftaucht, ist nicht ausgeschlossen, dass man eine Verstärkung des Einflusses der USA auf die Region, in der früher die Europäische Union aktiv wirkte, erwarten kann. Die Geopolitik in der Region verändert sich“, resümierte Rahr.
In den Ländern des postsowjetischen Raums verfolgt man die Entwicklung der Ereignisse um Bergkarabach. Und wägt ab, wie sich diese Ereignisse in anderen Brennpunkten auswirken können, zum Beispiel im Donbass und in Transnistrien.
Michail Pogrebenskij, Direktor des Kiewer Zentrums für politische Forschungen und Konfliktologie, kommentierte die Situation in Karabach so: „Dies ist zweifellos ein diplomatischer Sieg Putins. Und der Tod der russischen Piloten (unweit von Karabach war im Himmel über dem Territorium Armeniens ein russischer Hubschrauber abgeschossen worden, beide Piloten kamen ums Leben – „NG“) ist nicht der Hauptgrund für die Annahme der entsprechenden Entscheidung durch Moskau. Sie war vorab vorbereitet worden. Die Einnahme von Schuscha spielte dabei keine geringe Bedeutung. Schuscha ist für Aserbaidschan ein wichtiger Sieg. In dieser in Karabach gelegenen Stadt lebten früher vor allem Aserbaidschaner, die dann aus der Stadt geflohen sind. Baku betrachtet das in der Nacht zum Dienstag unterzeichnete Friedensabkommen als einen Erfolg. Für den Donbass aber wird der Einmarsch russischer Friedenstruppen in Bergkarabach zu keinem Vorbild. Ein Einmarsch russischer Friedenssoldaten in den Donbass ist genauso das gleiche wie ein Einmarsch russischer Grenzsoldaten dorthin. So schaut man in Kiew auf ein mögliches friedensstiftendes Szenario in der Ukraine. Außerdem werden die derzeitigen ukrainischen Herrschenden niemals eine Entscheidung in Bezug auf den Donbass treffen, ohne sich mit den USA beraten zu haben. Und dort unterstützt man nicht die Variante mit Friedenstruppen der Russischen Föderation im Osten der Ukraine. Ich denke nicht, dass man die Karabach-Variante in unserem Land realisieren kann. Andernfalls würde dies bedeuten, dass Moskau zuerst die Unabhängigkeit des Donbass anerkennt und dann ihn zum Territorium Russlands proklamiert“.
Es sei präzisiert: Laut letzten Angaben wird Schuscha unter der Kontrolle der russischen Friedenstruppen bleiben. Doch gesondert von jenem Teil Bergkarabachs, der bereits an der äußeren Begrenzung – sowohl seitens Aserbaidschans als auch seitens Armeniens — unter den Schutz der russischen Friedenstruppen gestellt wurde, wird auch der Korridor, der Bergkarabach mit Armenien verbindet, kontrolliert werden.
Hinsichtlich des abgeschossenen Hubschraubers: Ilham Alijew hat eingestanden, dass er durch aserbaidschanische Militärs abgeschossen wurde, und entschuldigte sich dafür, was geschehen ist. In Moskau hat man dieses Eingeständnis zu schätzen gewusst.
Was aber die weiteren Handlungen in Bergkarabach angeht, so soll in den nächsten drei Jahren ein Plan für das Anlegen einer neuen Fahrtstrecke durch den Latschin-Korridor, die die Verbindung zwischen Stepanakert und Armenien verbindet, mit einer Umverlegung des russischen friedensstiftenden Kontingents zum Schutz dieser Route bestimmt werden. Aserbaidschan garantiert dabei die Sicherheit der Transportverbindung durch den Latschin-Korridor.
Die Vertriebenen und Inlandsflüchtlinge sollen gemäß dem Friedensabkommen nach Bergkarabach und in die angrenzenden Gebiete unter einer Kontrolle der Verwaltung des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge zurückkehren.
Alle wirtschaftlichen und Transportverbindungen in der Region werden deblockiert. Dabei verpflichtete sich Armenien, die Transportverbindung zwischen den westlichen Regionen Aserbaidschans mit der Autonomie Nachitschewan zu gewährleisten. Die Verbindung werden russische Grenzer kontrollieren. Außerdem ist geplant, den Bau neuer Transportverbindungen zu sichern, die das Hauptterritorium Aserbaidschans mit Nachitschewan verbinden.
Es sei daran erinnert, dass sich die Situation in der Region am 27. September zugespitzt hatte. Armenien und Aserbaidschan hatten sich gegenseitig der Entfesselung von Kampfhandlungen bezichtigt. Bis zum 10. November waren drei Versuche für das Erreichen eines Waffenstillstands unternommen worden. Die hatten sich aber alle als erfolglose erwiesen.